Ukraine vor der Stichwahl: Kandidaten im (Drogen-)Test
Kurz vor der Stichwahl fordert Selenski den amtierenden Präsidenten Poroschenko zum Drogenscreening heraus. Die Ergebnisse sind fragwürdig.
W ladimir Selenski geht mit energiegeladenen Schritten auf die Kamera zu, redet beschwörend auf die Zuschauer ein. Wieder einer von tausend Videoclips, in denen der Komiker vor der Stichwahl um das Präsidentenamt in der Ukraine für sich wirbt, denkt man zunächst. Doch dann rast ein Lastwagen auf den Präsidentschaftskandidaten zu, reißt ihn zu Boden. Abrupt endet der Spot – weißes Pulver erscheint auf dem Bildschirm, das durch einen eingerollten Dollarschein weggesaugt wird, untermalt von einem Schriftzug „Jeder geht seinen Weg“.
Natürlich ist das Video ein Fake. Selenski hat Strafanzeige gestellt, bezichtigt die Mannschaft von Präsident Petro Poroschenko, dieses Video in die Welt gesetzt zu haben. Es zeigt, auf welchem Niveau der ukrainische Wahlkampf angekommen ist. Das Team von Poroschenko hat erkannt, dass man Selenski seine wichtigste Wählergruppe, die Jugend, nicht mehr wegnehmen kann. Für Poroschenko ist es schon von Vorteil, wenn Jugendliche überhaupt nicht zur Wahl gehen, sagt deswegen der Historiker Taras Bilous zur taz.
In geringem Umfang scheint dies auch zu funktionieren: „Ich habe am 31. März Selenski gewählt, einfach weil ich Poroschenko eine Lektion erteilen wollte“, berichtet Olga, eine junge Friseurin aus Kiew, der taz. „Doch irgendwas wird da schon dran sein an den Gerüchten, Selenski würde Drogen konsumieren.“ Auch ihr sei dessen Euphorie am Wahlabend unnatürlich vorgekommen. Und deswegen sei ihr die Stichwahl nicht mehr so wichtig. „Wenn das frühlingshafte Wetter anhält, hält mich am Sonntag nichts in Kiew“, sagt Olga.
Selbst wenn das Fake-Video aus dem Umfeld von Poroschenko stammen sollte: In diesem Wahlkampf ist Poroschenko der Getriebene, der sich auf das Feld des Herausforderers begeben und dessen Spielregeln akzeptieren muss. Als Selenski von Poroschenko gefordert hatte, die Debatte der Kandidaten im Olympiastadion zu führen, war Poroschenko zunächst sprachlos. Und weil jedem Wettkampf auch Dopingkontrollen vorgeschaltet sind, hatte Selenski Poroschenko auch zu einem Drogenscreening herausgefordert.
Fragwürdige Alkoholtests
Mit Sportlichkeit hat das wenig tun. Selenski belebte so alte Gerüchte, Poroschenko habe ein Alkoholproblem. Die Message kommt an: „Ich war mal mit einem Alkoholiker verheiratet“, sagt die Rentnerin Nadja zur taz. „Anfangs sind die ja noch ganz charmant, aber dann. Nein, ich will nicht, dass ein Alkoholiker unser Land führt.“
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Doch nun rätselt die ukrainische Öffentlichkeit auch über die Ergebnisse der Drogenscreenings. Selenski hat seine Analyse in einer Privatklinik machen lassen, deren Besitzer als Selenski-Unterstützer bekannt ist. Zudem war bei der Veröffentlichung von Selenskis Blutprobe, die er am 5. April abgegeben hatte, auf dem medizinischen Dokument der 2. April als Tag der Blutentnahme angegeben.
Poroschenko dagegen hat seine Probe in der Sanitätsabteilung im Olympiastadion abgegeben. Doch wo bleiben die Ergebnisse? „Die werden so lange herummanipulieren, bis herauskommt, was sie haben wollen“, vermutet die Rentnerin Nadia. „Schade, dass Timoschenko nicht mehr im Rennen ist. Ich glaube, das ist die Einzige, die immer nüchtern ist.“
Electainment – ein neuer Trend
Mitten im Streit um die Frage, welches Institut glaubwürdig genug ist für die Untersuchung der Blutproben, kam dem Bürgermeister von Kiew und langjährigem Profiboxer Vitalij Klitschko die rettende Idee. Er habe ja noch gute Kontakte zur Welt-Anti-Doping Agentur Wada, die könnte doch die Politiker auf Drogen und Alkoholabhängigkeit testen. Präsident Poroschenko ließ sich erneut Blut abnehmen. Dieses Mal lehnte Selenski ab. Er habe doch schon seine Probe abgegeben.
Taras Bilous erinnert sich an ein altes ukrainisches Sprichwort. „Auch wenn alles schlimmer kommt – es kommt anders.“ Selbst wenn Selenski verlieren sollte, habe der Komiker neue Maßstäbe gesetzt, schreibt derweil der Kolumnist Konstantin Muntjan in der Ukrainska Prawda. „Selenski hat ein neues Element gesetzt: Electainment. Electainment, ‚elections + entertainment‘, ist ein neuer Trend, ein Wahlprozess im Unterhaltungsformat.“
Doch nicht alle haben Spaß an diesem Wahlkampf. „Mir gefällt es nicht, dass man suggeriert bekommt, man könne nur wählen zwischen einem Alkoholiker und einem Drogensüchtigen, so der Journalist Roman Huba. „Was wir hier erleben, ist Sozialrassismus. Auf dem Rücken von gesellschaftlichen Randgruppen, wie eben Alkoholikern oder Drogenabhängigen, wird Wahlkampf geführt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“