Ukraine in der Gegenoffensive: Soldat soll vor Gericht
Ukraine kündigt Prozess gegen russischen Kriegsgefangenen an. UN-Menschenrechtsrat hält Sondersitzung über russische Kriegsverbrechen ab.
Das Büro der ukrainischen Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa in Kiew veröffentlichte ein unscharfes Foto des Beschuldigten. Der 21-jährige Soldat wollte den Angaben zufolge nach einem Angriff auf seinen Konvoi in der nordukrainischen Region Sumy am 28. Februar mit vier Kameraden in einem gestohlenen Auto fliehen. Das Opfer, ein 62-jähriger unbewaffneter Zivilist, war demnach mit seinem Fahrrad unweit seines Hauses im Dorf Tschupachiwka unterwegs. Laut Staatsanwaltschaft schoss der russische Soldat auf Befehl eines seiner Kameraden auf den Mann, da dieser Zeuge des Autodiebstahls geworden war. Schischimarin droht eine lebenslange Haftstrafe wegen Kriegsverbrechen und Mord.
Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft machte keine Angaben zu den Umständen seiner Gefangennahme sowie dem Schicksal der übrigen vier russischen Soldaten. Ein Termin für den Beginn des Prozesses wurde nicht genannt.
Die ukrainische Vize-Außenministerin Emine Dschaparowa schaltete sich am Donnerstag per Video zu einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf dazu. „Tausende haben in meinem Land ihr Leben verloren. Die Bombardements und der russische Beschuss sind Teil unseres täglichen Lebens geworden“, sagte Dschaparowa. „Folter, Verschleppungen, sexuelle Gewalt – die Liste der russischen Verbrechen ist endlos.“
Die ukrainische Gegenoffensive geht weiter
UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet erklärte, allein in der Region um Kiew seien bislang rund 1.000 Leichen geborgen worden. Es gebe mittlerweile Informationen über rund 300 extralegale Hinrichtungen. Viele der überprüften Menschenrechtsverletzungen könnten als Kriegsverbrechen eingestuft werden. „Das Ausmaß illegaler Hinrichtungen einschließlich der Hinweise auf Massenexekutionen in den Gebieten nördlich von Kiew ist schockierend“, sagte Bachelet.
Der UN-Menschenrechtsrat hielt seine Sondersitzung auf Antrag Kiews ab. Am Ende sollte in einer Erklärung der 47 Mitgliedstaaten eine internationale Untersuchung zu den ab Ende Februar und im März verübten Gewalttaten in den Regionen von Kiew, Tschernihiw, Charkiw und Sumy gefordert werden. Der UN-Menschenrechtsrat vollzieht bereits eine Untersuchung durch eine Expertenkommission, die vergangene Woche vierzehn Orte in den zeitweise russisch besetzten Gebieten der Nordukraine besuchte.
Derweil ging nördlich der Millionenstadt Charkiw die ukrainische Gegenoffensive weiter. Die ist mittlerweile der Grenze zu Russland so nahe gekommen, dass der Gouverneur der russischen Grenzregion Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, ukrainischen Einheiten den Beschuss des Dorfes Solochi nahe der Grenze vorwarf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht