Überwachtes Einkaufen in Hamburg: Abgescannt
In der Hamburger Sternschanze hat ein Supermarkt eröffnet, der die Kund*innen mit Kameras überwacht. Am Schluss weiß die KI, was jede*r eingekauft hat.
Rewe hat ausgerechnet im linksautonom angehauchten Hamburger Schanzenviertel einen „Pick&Go“-Markt eröffnet. „Pick&Go“ bedeutet, dass Kund*innen, die eine entsprechende App nutzen, die Waren einfach in ihre Tasche packen und den Laden verlassen können. Man muss am Ausgang nur die App scannen, dann bucht sie den Betrag für die mitgenommenen Produkte selbstständig ab. Woher weiß die App, was ich eingekauft habe? Waagen in den Regalen machen es möglich, den Rest schaffen mehrere hundert Kameras an der Decke des Marktes.
Rewe wirbt damit, dass Kund*innen hier zwischen vier Möglichkeiten der Bezahlung wählen können: Neben dem App-basierten Einfach-Rausgehen gibt es neun Selbstscan-Kassen und eine Oldschool-Kasse mit einem menschlichen Mitarbeiter. Die vierte Möglichkeit ist, den Einkaufskorb auf die Waage an der Selbstscan-Kasse zu stellen und sich selbst in einen bestimmten Bereich davor zu positionieren.
Kameras erfassen die jeweilige Kundin anhand ihres Körperbaus und setzen sie mit den Bildern in Verbindung, die sie Minuten vorher von ihr gemacht haben, als sie nasebohrend vor dem Klopapierregal stand oder alle Avocados auf der Suche nach dem richtigen Reifegrad einmal eingedrückt hat. Die intelligente Kasse nennt dann den Betrag für den ganzen Einkauf, ohne dass man die Waren einzeln einscannen muss.
Erfasst am Süßigkeitenregal
Ich habe natürlich nicht die Pick&Go-App, sondern will testen, wie es sich anfühlt, komplett überwacht einzukaufen. Ich meine: Am Ende weiß der Laden ja eh, was ich gekauft habe. Da ich im Supermarkt fast immer mit Karte zahle, weiß er auch, wer ich bin. Dass mein Körperbau am Süßigkeitenregal erfasst wird, ist allerdings neu und fühlt sich unangenehm an. In der Gemüseabteilung geht es ja gerade noch. Wobei ich mich, als ich länger vor den Blaubeeren stehe und gucke, wo die um diese Jahreszeit so herkommen und ob der Kilopreis mit der Entfernung zunimmt, nach einer Weile frage, ob ich mittlerweile verdächtig lange hier herumlungere. Ich gehe schnell ohne Beeren weiter.
Vor dem Brötchenregal hält ein Mitarbeiter drei Handys oder ähnliche Geräte in der Hand und tippt irgendwas ein. Sowieso laufen hier ziemlich viele Mitarbeiter*innen herum und scannen oder sortieren Waren. Allerdings interessieren sie sich nicht für herumlungernde Einkaufende, dafür gibt es schließlich die Kameras.
Die Besonderheit
Ein Überwachungs-Supermarkt, nur wenige hundert Meter von der Roten Flora entfernt: das muss man sich erst mal trauen!
Die Zielgruppe
Die Hamburger Sternschanze ist zu einem beliebten Ausgehviertel geworden, es gibt viele schicke Klamottenläden und teure Restaurants, aber auch viele Bettelnde. Im Park gegenüber machen Jugendliche Party.
Hindernisse auf dem Weg
Eine große Kreuzung trennt den Supermarkt vom Zentrum des Viertels, man muss an der Fußgängerampel warten.
Diese Rewe-Filiale ist ein Hotspot für im Schanzenpark chillende und feiernde Jugendliche, für den Alkoholeinkauf am Freitagabend. Ob die sich an den Kameras stören, ist schwer zu testen an einem Dienstagvormittag. Aber natürlich wird der Supermarkt auch von vielen Anwohner*innen genutzt, die ans Schanzenviertel angrenzend wohnen – und die sind gar nicht amused. Aus Prinzip stellten sich alle immer an die Bargeldkasse, hatte mir eine Bekannte erzählt. Eine Kampagne gegen den Überwachungseinkauf sei in Planung, erzählt eine andere.
Ich muss sagen: Als direkte Anwohnerin, die hier alle paar Tage einkaufen geht, würde es mich auch massiv stören, wenn jedes Mal mein Skelett gescannt würde. Als 18-jährige Partyeinkäuferin wäre es mir wahrscheinlich scheißegal. Wobei – in der Getränke- oder Gemüseabteilung ist das eine Sache, aber wie sieht es in der Abteilung „Damenhygiene“ aus? Als ich vor Schwangerschaftstests, Intimseife, Kondomen und Gleitgel stehe, kommen mir schon Zweifel, dass ich hier entspannt was aussuchen könnte, während mir dreißig Kameras in den Nacken starren. Mein 18-jähriges Ich hätte das sicher nicht geschafft.
Darstellung des Knochenbaus
Die Kameras im Supermarkt erfassen nach Auskunft des Betreibers „eine schematische Darstellung deines Knochenbaus, in Ausnahmefällen die Farbe deiner Kleidung oder auffällige Accessoires“. Widersprechen kann man nicht, es sei laut den Datenschutzbestimmungen von Rewe nicht möglich, einen entsprechenden Laden zu nutzen, ohne dass „deine Daten von Videokameras erfasst und in Ausnahmefällen in einer Cloud gespeichert werden“.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Außerdem speichert der Supermarkt die Uhrzeit und Dauer des Einkaufs sowie „deinen Weg durch den Markt“. Was man aus dem Regal nimmt und wieder zurücklegt, wird ebenso gespeichert wie die Waren und Mengen, die man am Ende erwirbt. Ziemlich viele Daten für ein paar Mandarinen, eine Packung Knäckebrot und eine Nussmischung, denke ich, als ich mich mit meinem Einkauf der Kasse nähere.
An den Roboterkassen steht kein Mensch, dafür sind knapp zehn Personen an der Menschenkasse. Ich zahle bei der freundlichen Kassiererin, inklusive „bitte, danke, schönen Tag noch“. Letztlich war das Einkaufserlebnis nicht schlimm, aber mit meinen Mandarinen, Knäckebroten und der Nussmischung habe ich auch einen geradezu verdächtig langweiligen Einkauf hingelegt. Nicht mal Tampons, Stinkekäse oder ein WC-Duftstein waren dabei.
Gut, vielleicht waren die Mandarinen, das Knäcke und die Nussmischung in Wirklichkeit nicht alles, was ich gekauft habe. Details will ich aber nicht verraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP