piwik no script img

Überleben der ProgrammkinosJetzt schlafen die Geschichten

Vom Kinobesuch kann man jetzt nur träumen. Der Preis für Programmkinos in Berlin und Brandenburg soll ihnen beim Überleben helfen.

Geschwungener Auftakt, jetzt verlassen: Eingang zum Delphi-Kino in Berlin Foto: Christoph Soeder/dpa

B eim Durchforsten der unbenutzten Postkarten wegen des gestiegenen Schreibaufkommens stieß ich neulich auf eine Werbekarte, die ich einst aus dem Delphi mitgenommen hatte: das leere Kino, schön rot beleuchtet, der Blick geht vom ersten Rang hinunter auf den opulenten Vorhang, der die Leinwand verdeckt.

Hach, diese leeren Säle. Als Radio Eins am 14. Mai über die virtuelle Verleihung des Programmkinopreises berichtete, ließ ich sie Revue passieren. Und musste daran denken, dass ich mich in Kinos, egal in welcher Stadt oder in welchem Land, stets zu Hause fühle, weil sie überall das gleiche Gefühl vermitteln: Jetzt wird es eskapistisch. Prima. Zwei Stunden raus. Vielleicht fahre ich darum so selten wirklich weg – es ist einfach nicht nötig. Die Heldenreise reicht mir.

Jetzt schlafen die Geschichten, sie sind nicht weg, sie werden nur nicht erzählt. Kirsten Niehuus vom Medienboard Berlin-Brandenburg, auf deren Kappe die 1,5 Millionen Euro Preis­gelder für die Programmkinos in Berlin und Brandenburg gehen, sagte im Radio bei der virtuellen Preisverleihung, sie wünsche sich, dass die Mietzahlungen der Kinos bis Ende des Jahres vom Senat übernommen würden. Und dass alle zusammenstehen müssen, Verleiher*innen, Kino­betreiber*innen, Filmschaffende.

Dass die Krise sich natürlich auch auf die Entstehung der Geschichten auswirkt, nicht nur inhaltlich, auch technisch. Liebes­szenen mit Masken, das geht eben nur bei „Eyes Wide Shut“. Auch da ging es nicht wirklich gut – ich ärgere mich heute noch, dass Stanley ­Kubricks Einsatz von György Ligetis „Musica ricercata II“ einem das Musikstück so richtig vergällt hat. Zum Glück spielte immerhin Sky Du Mont mit und verlieh der Maskensituation den unterschwelligen Witz, den sie benötigte.

Die Krise der Kusstechnik

Immerhin kommt man sich bei einer so groß angelegten Venezia-Orgie wie in „Eyes Wide Shut“ körperlich näher. Das gibt es eben momentan nur im Film: Die Betreiberin des Kinos Krokodil, das einen der Programmpreise bekommen hat, sagte im Radio, sie habe etwas Muffe vor den etwaigen neuen, noch zu bestätigenden Kino-Abstandsregeln – ein*e Be­su­cher*in pro 10 Quadratmeter, das bedeute für die kleinen Kinos ungefähr 7 Gäste pro Saal. Damit kann man weder Orgien feiern noch Kinos erhalten, und das Preisgeld, so wunderbar es ist, dass es in diesem Jahr zu einem Quasihilfsfonds verdoppelt wurde, reicht nicht ewig.

Dazu kommt das Problem mit dem Rückstau – es sei laut Niehuus schwer zu sagen, wann der Kinonachschub wieder geregelt werden könne. Leider sind die wunderschönen großen und kleinen Säle mit ihren verheißungsvollen Leinwänden, egal ob Delphi, Interna­tional oder Moviemento, auch kaum umzuwidmen. Das Delphi war zwar einst, in den 30ern, ein Tanzpalast, in dem dienstags und donnerstags „Hansi der Seelentröster“ beim Tanz Seelen tröstete. Aber Seelentrost durch Engtanz geht momentan überhaupt nicht.

Andererseits hat zumindest meine Generation eh am liebsten zu New Wave getanzt, dabei die Abstandsregeln von selbst eingehalten, weil man ja Platz brauchte, um die Arme thea­tralisch nach oben zu schleudern, während Andrew Eldritch düster „My heartland / heartland / heartland“ orakelte, 40-mal hintereinander. Darüber hinaus bewahrte einen die New-Wave-Stachel-Frise verlässlich vor dem Näherkommen anderer Gesichter.

Die Heartland-Theorie stammt übrigens von dem englischen Geografen Halford Mackinder; darin geht es, grob gesagt, um die Kontrolle des „Herzlands“ der Kontinente, die einem angeblich auch die Macht über die „Seemächte“ verlieh. Ich steige nicht ganz durch, aber ich glaube, Andrew Eldritch tut das erst recht nicht. Vielleicht sollte ich mal einen Film darüber anschauen. Nur wo?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!