Überfall in Burkina Faso: Bluttat stellt Militär auf Probe
Bei einem Überfall auf eine Stadt im Osten von Burkina Faso starben bis zu 200 Menschen. Die Militärregierung kann die Gewalt nicht beenden.
Ein Video in sozialen Netzwerken soll Seytenga in der Nacht zum Sonntag zeigen: Hütten und Häuser stehen lichterloh in Flammen. Ein lokaler Reporter zitiert Fliehende: „Seit drei Tagen töten Terroristen die Leute in Seytenga, sie gehen in die Häuser und entführen und töten sie“, sagt Aissatou Cissé. Hamado Sawadogo führt aus: „Zielscheibe waren vor allem Personen männlichen Geschlechts. Jetzt sind wir hier in Dori ohne alles. Wir bitten den Staat, uns zu helfen, die Leichen zu finden, damit wir sie beerdigen können.“
Am Montag zirkulieren unbestätigte dreistellige Todeszahlen. Die Regierung bittet in einer Erklärung die Bevölkerung, sich „von übereilten Bilanzen und ohne Überprüfung verbreiteten Zahlen fernzuhalten“. Burkina Fasos führende Tageszeitung L'Observateur-Paalga in der Hauptstadt Ouagadougou publiziert diesen Hinweis direkt hinter einer Mutmaßung über 170 bis 200 Tote. Andere Quellen nennen 167.
Gewalt nimmt spürbar zu
Sollten sich diese Zahlen bewahrheiten, wäre es der blutigste Überfall auf Zivilisten in Burkina Faso seit Beginn der islamistischen Terrorkampagne im Jahr 2016. Zuletzt starben im Juni 2021 im Ort Solhan mindestens 138 Menschen bei einem Terrorangriff. Das Massaker von Solhan trug maßgeblich dazu bei, dass die Unzufriedenheit im Militär über die gewählte zivile Regierung so weit zunahm, dass am 24. Januar Oberstleutnant Paul-Henri Sandaogo Damiba putschte und ein Militärregime errichtete.
Damiba will für zunächst 30 Monate regieren, während derer die Sicherheit „Priorität“ haben soll, wie er erklärt hat. Anfang April verkündete die Regierung die Aufnahme von Gesprächen mit radikalen Islamisten im Rahmen von lokalen Dialogkomitees, eine alte Forderung aus der Zivilgesellschaft. Zugleich aber verschärfte die Armee ihre militärische Gangart gegen bewaffnete Gruppen.
Seit einigen Wochen nimmt die Gewalt wieder spürbar zu. 200 Tote in zwei Monaten wurden schon vor dem Überfall auf Seytenga landesweit verzeichnet. Die Zahl der Binnenvertriebenen ist laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR von 1,74 Millionen Ende Januar auf 1,85 Millionen Ende März gestiegen. Burkina Faso zählt rund 21 Millionen Einwohner.
Der Unmut darüber steigt. Am Samstag demonstrierten die Bewohner der Stadt Pama in der südöstlichen Provinz Kompienga an der Grenze zu Benin dagegen, dass „der Terrorismus mit Riesenschritten voranschreitet“ – die gesamte Provinz außer zwei Orten sei von bewaffneten Gruppen kontrolliert. Der Protest wurde nach wenigen Minuten abgebrochen, weil er von Bewaffneten bedroht wurde, so die lokale Webseite Gulmu.
Angriffe im Goldbergbaugebiet
Der Überfall auf Seytenga folgte einem bewährten Muster. In der Nacht zum Freitag überfielen Bewaffnete die Gendarmeriestation der Stadt und töteten elf Gendarmen. Die anderen flohen. Zwei Nächte später war Seytenga schutzlos.
Auffällig ist, dass sich islamistische Angriffe in Goldbergbaugebieten häufen, zu denen Seytenga zählt. Im März wurden nahe der Stadt zehn Menschen bei einem Überfall auf eine informelle Goldmine getötet – Teil einer Serie mit insgesamt 40 getöteten Goldgräbern an drei Orten. Burkina Faso ist mit einer Jahresförderung von 70 Tonnen aus 17 industriellen Minen einer von Afrikas größeren Goldproduzenten, dazu kommen mehrere Hundert unregulierte Gruben, in denen 1,5 Millionen Menschen auf eigenes Risiko Gold schürfen und verkaufen. Sie sind leichte Beute für Untergrundarmeen.
Aber auch die größte industrielle Goldmine von Burkina Faso, Taparko, wurde am 9. April aus Sicherheitsgründen geschlossen. Sie gehört mehrheitlich der russischen Firma Nordgold des sanktionierten Tui-Großaktionärs Alexei Mordaschow. Noch hat Burkina Fasos Militärregierung, anders als die in Mali, keine russischen Söldner ins Land geholt, um wichtige Orte zu „schützen“. Das könnte sich bei einer weiteren Gewalteskalation ändern. Dann wird sich die Frage stellen, wem die neue Terrorwelle nützt.
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