Fitness durch Spinning: Treten, ohne vom Fleck zu kommen
So richtig glücklich wird unsere Autorin nicht an den Pedalen. Auch die billigen Motivationssprüche des Trainers helfen da nicht weiter.
N icht einmal drei Schritte muss ich machen, um zu begreifen, dass ich im Höllenschlund der Gentrifizierung gelandet bin. Decken, Wände, Boden – alles schwarz gestrichen. In den Leisten versteckte Neonröhren, pink, grün, gelb, tauchen den Raum in ein so schummriges Licht, dass ich an die Hollister-Filialen in großen Kaufhäusern denken muss. Die Buchung läuft selbstverständlich über App und nur mit Kreditkarte. Anfänger:innenkurs, 30 Euro, Spezialschuhe inklusive, immerhin.
Auf dem Weg zur Umkleide stehen Flipperautomaten. Vielleicht, denke ich, zum Ausflippen, falls die Übungen zu hart werden. Ich bin heute beim Spinning. Spezialklasse zu EDM-Remixen einer weltberühmten Popsängerin. Vielleicht wollt ihr wissen, wo genau – aber das verrate ich nicht. Erstens, weil diese Studios so austauschbar sind wie die Menüs in Fastfood-Ketten. Ist also egal, wo man hingeht. Und zweitens, weil ich euch dringend von dieser Sportart abraten möchte.
Der Raum: rund 50 stationäre Fahrräder, in Tribünenform angeordnet, alle Richtung Bühne ausgerichtet. Ich bin zehn Minuten zu früh dran, aber fast alle anderen sitzen schon auf ihren Rädern, eifrig in die Monitore vertieft. Ich friemle an meinem Bike herum, wir müssen unseren Namen eingeben. Die Touch-Bedienung ist von der Sorte: Warum einfach, wenn’s auch fancy geht? Neben mir steht der Trainer, leicht nervös schon, also tippe ich mit dem Rädchen hastig „A-M-K“ ein. Ging schneller. Noch eben die Fahrradgröße einstellen? Keine Zeit. Los geht’s.
Pedalieren mit AI
45 Minuten strampeln, strampeln, strampeln. Der Coach sitzt vorne, ruft Kommandos, wann wir den Widerstand für die Pedalen hoch- oder runterstellen sollen. Um mich herum sehe ich Profis und versuche zu imitieren, wie sie mit nur einer Hand die Wasserflasche öffnen, wo sie ihr Handtuch auf dem Griff positionieren und wie sehr ihr Po sich bewegt, wenn sie in die Pedalen treten. Wir alle sind per Kabel mit einer zentralen Maschine verbunden. Angeblich laden wir damit die Beleuchtung und die „AI“ der Fahrräder auf. Auf dem Display des Trainers erscheinen unsere Namen, er ruft jeden mindestens einmal: „Let’s go! Faster Amk! You can do it!“ Soll wahrscheinlich motivierend gemeint sein, ich fühle mich zum Glück nicht angesprochen.
Das Licht ist gedimmt, nur die LEDs an den Bikes leuchten in wechselnden Farben. Jede Farbe steht für einen Trainingsbereich: locker, mittel, hart sowie storno-ich-brech-ab. Ziel: immer die Farbe erreichen, die er ansagt. Ich strample wie irre, die Farbe treffe ich trotzdem selten. Und alle sehen es.
Spinning, erfahre ich später, wurde in den 1990ern als gelenkschonendes Ausdauertraining mit Gruppenmotivation erfunden. In Fitnessstudios gilt es als Kalorienkiller (bis zu 700 in 45 Minuten) mit Spaßfaktor. Mir erschließt sich davon nichts. Statt auf individuelle Pulsfrequenzen zu achten, geht es nur um schneller, höher, weiter. Dabei kann man doch die ganze Zeit nur auf der Stelle treten. Nach 15 Minuten will ich schon nicht mehr. Eine Pause? Vergiss es – die Schuhe hängen fest, ich drohe vom Rad zu kippen. Außerdem: wenn ich aufhöre, wird das System zurückgesetzt, mein „Erfolg“ (gemessen in produzierter Wattzahl) wäre futsch.
Am Ende gibt’s Preise für die Schnellsten – Platz eins und zwei: Männer. Spinning ist nichts für mich. Das Einzige, was sich hier dreht, ist mein Magen.
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