Über Rassismus reden: Expertin für Schleim
Unsere Autorin erkennt Diskriminierung, auch wenn andere Menschen diese nicht sehen. Und sie sorgt für Harmonie – meistens.
Ich habe zwei Superkräfte. Die eine ist: Ich sehe Dinge, die nicht jede*r sehen kann. Die zweite ist: Ich zaubere Harmonie. Das klingt fatal nach Eso-Kitsch und außerdem nach Angeberei, aber es geht um ein ganz anderes Thema: Es geht um Rassismus.
Merken Sie, wie Ihnen schon ganz anders wird? Das Wort steht im Raum und es soll weg. Man will es nicht hören, außer in auserwählten Kontexten. Wenn die Feiertage anstehen und Dokus über Hitler laufen, zum Beispiel. Wenn man „American History X“ beim DVD Abend vorschlägt. Dann. Aber bitte nicht so, also, so ganz selbstverständlich, im Alltag.
Meine erste Superkraft, das Sehen von Dingen, ist ganz spannend. Ich treffe viele Menschen, die meisten von ihnen sind weiße Deutsche. Manchmal sagen sie Dinge, die mich verletzen.
Sie sagen: „Du tanzt so gut, liegt dir das im Blut?“. Sie sagen: „Iraner*innen sind alle so klug“, sie sagen: „Wieso konnten sich deine Eltern so gut integrieren und wieso schaffen das andere nicht?“, sie fragen: „Sind Sie Muslimin?“, und es klingt, als würden sie damit eine Krankheit meinen.
Shida Bazyar ist Schriftstellerin. 2016 erschien ihr Roman „Nachts ist es leise in Teheran“
Puh, also ich rede gern mit Menschen und ich liebe es zu plaudern. Aber das sind alles Fragen, bei denen ich verschiedene Dinge sehe, die nicht alle Menschen sehen können.
Erstens: Ich werde diese Dinge gefragt. Mein weißer deutscher Freund nicht.
Zweitens: Ich werde diese Dinge nicht nur einmal im Leben, sondern ständig gefragt. Es gibt sozusagen eine Struktur. Drittens: Ich werde bei diesen Dingen nicht als ich, als Shida, angesprochen, sondern ich werde immer gleich als ein ganzes Kollektiv gelesen (ich kann nämlich ehrlich gesagt gar nicht besonders gut tanzen; ich halte manche Iraner*innen, Ahmadinedschad zum Beispiel, für außergewöhnlich doof; ich wüsste nicht, was meine Eltern mit „den anderen“ verbindet, für die ich sprechen soll; und ich habe ungefähr so viele Attribute des Islams an mir wie Attribute eines Heavy-Metal-Fans: nämlich gar keine. Und weder der Islam noch Metallica verdienen den abwertenden Tonfall.).
Ich stehe Menschen, die diese Dinge in der Form fragen, gegenüber und ich sehe: Rassismus.
Arrrr, schon wieder dieses Wort. Legen Sie die Zeitung nicht weg, nur, weil Sie auch schon mal eine solche Frage gestellt haben. Die Menschen, die so etwas fragen, sind meistens nämlich außergewöhnlich nett. Es geht aber nicht um nett oder nicht, es geht um meine Superkraft. Ich sehe etwas. Etwas, was mich mein Leben lang begleitet, etwas, was einer gängigen Struktur folgt, etwas, was nicht aus Zufall mir und meinen nichtweißen Freund*innen begegnet und den anderen nicht.
Stellen wir uns vor, es ginge nicht um Rassismus, sondern um grüngelben Schleim. Stellen wir uns vor, dass manche Menschen grüngelben Schleim aus den Ohren sprühen, ohne es zu merken. Und dass dieser Schleim giftig für einen kleinen Teil der Menschheit ist.
Die meisten Menschen denken: „Schleim? War da Schleim? Ich glaub nicht, ich seh ihn nicht.“ Wie auch? Die Augen schauen nach vorn, der Schleim kam links und rechts aus dem Kopf raus. Der kleine, betroffene Teil dagegen weiß ganz genau: „Das ist Schleim. Das ist Gift für mich. Ich will das nicht!“ Alle schauen sich fragend um. Nichts zu sehen. Der kleine Teil der Menschheit muss sich wohl geirrt haben.
Bei so etwas irrt man sich als Betroffene*r aber nicht. Ganz sicher nicht. Denn es wäre ja viel schöner, wenn man so etwas nicht sagen müsste. Niemand möchte gern zur nörgelnden Minderheit gehören.
Wir zaubern Harmonie
Deswegen wohl habe ich meine zweite Superkraft. Und ich habe beobachtet, dass meine nicht weißen Freund*innen sie auch ganz wunderbar beherrschen. Wir zaubern Harmonie. Wir stehen da. Wir wurden verletzt. Der grüngelbe Schleim liegt in der Luft, und er erinnert uns an die Gefahr. Die wir kennen. Die wir sehen. Nur wir. Und wir haben die Wahl: Vermiesen wir allen die Stimmung?
Was macht man, wenn man als einzige*r etwas sieht und die große Verantwortung hat, es sichtbar zu machen – oder eben nicht? Was machen Sie, wenn Ihr*e Chef*in einen Popel in der Nase hängen hat?
Es ist ein Zepterlauf an Verantwortung, der in Gang gesetzt werden kann. Die betroffenen Personen haben die große Verantwortung darüber, was passiert. Nehmen wir an, ich nutze meine Superkraft Nummer zwei nicht und spreche das Thema an.
Ich sage: „Sorry, äh, aber das gerade, das war grüngelber Schleim, und der ist wirklich gefährlich für mich, könnten Sie das bitte nicht mehr machen?“ Dann ist das Zepter der Verantwortung plötzlich, ungeahnt, aus heiterem Himmel, in den Händen der Schleimspritzer*innen.
Das ist schon ärgerlich. Da wollten die gar nichts Böses, und plötzlich haben sie so ein Zepter an Verantwortung in der Hand. Sie haben es sich gar nicht ausgesucht. Aber sie müssen reagieren. Die Reaktion ist oft so: Das Zepter wird fallen gelassen. Es fällt mir auf den Fuß. Es kommt noch mehr Schleim. Das schöne Gespräch ist dahin. Es bedarf sehr viel Geduld, von beiden Seiten, die Situation dahingehend zu bringen, dass alle sich verstanden fühlen. Dass klar ist: „Ich wollte gar keinen Schleim spritzen.“ Dass klar ist: „Ich weiß. Aber er hat mich trotzdem getroffen.“
„Ich wurde verletzt“
Aber dahin kommt man meist gar nicht erst. Denn oft genug verzettelt man sich in Diskussionen allgemeiner Art. Wenn mich Superkraft Nummer zwei verlässt, dann mache ich aus „Ich wurde verletzt“ lieber: „Das war rassistisch.“
Beides ist die Wahrheit, aus meiner Sicht. Und statt des „Ich habe jemanden verletzt“ hört mein Gegenüber nur „Rassismus“ und macht die Schotten dicht. Und beginnt allgemeine Diskussionen über die Definition von Rassismus. Und niemand kümmert sich mehr um meine Verletzung. Dass diejenigen, die den Schleim spritzen, sich allzu oft als Expert*innen für Schleimspritzerei fühlen, ist Teil des Problems.
Es wäre viel schöner, wenn die Superkraft Nummer eins, das Sehenkönnen, als Superkraft anerkannt werden würde. Von offizieller Seite. Als Kompetenz. Deutschland wäre voller Expert*innen für Schleim. Deutschland könnte seine Probleme mit diesen Expert*innen sehr viel schneller lösen.
Nicht umsonst hatten bei der Aufklärung um die NSU-Morde viele Angehörige der Opfer schon früh eine Idee darüber, was der Grund für die Ermordungen war. Nicht umsonst war der einzige Bundestagsabgeordnete, der hierzu bereits 2007 eine Anfrage an die Bundesregierung stellte, türkischer Herkunft. Betroffene erkennen Schleim, wenn sie ihn sehen.
Leider fürchte ich, dass Deutschland aus den Betroffenen vorrangig die Expert*innen für Harmonie gemacht hat. Es sollte Weltmeisterschaften darin geben, wie oft wir mitten im Bildungsbürgertum sitzen und wortlos Verletzungen hinnehmen, weil wir niemandem auf den Schlips treten möchten.
Schleimexpert*innen
Die meisten Menschen hören es nämlich gar nicht mal so gern, wenn jemand (ich gerade, zum Beispiel) von seinen Superkräften erzählt. So etwas spricht man anderen nicht gern zu. Dabei brauchen wir die Schleimexpert*innen aus den verschiedenen (und sich verschränkenden) Diskriminierungsformen dringend. Ich brauche die Menschen, die mir subtilen Alltagsantisemitismus erklären.
Die Debatte: Die Linke debattiert darüber, wie sich eine inklusive und gleichberechtigte Gesellschaft erreichen lässt. Es herrscht dabei große Uneinigkeit über die Strategien antirassistischer Arbeit. Wer hat welche Deutungshoheit, wer hat wie viel Macht? Und wer ist bereit zu teilen?
Die Reihe: In einer wöchentlichen Reihe beleuchtet die taz die Aspekte der Debatte. Alle Beiträge unter www.taz.de/ueberrassismusreden.
Denn wie sollte ich ihn erkennen, wenn er sich so subtil kleidet und mich persönlich dabei gar nicht trifft? Ich bin auf die Leute angewiesen, die sich der Harmonie verweigern und mir die Strukturen dahinter erklären. Damit ich aufhöre, sie zu verletzen und eine von den Personen werde, die ich in meinem Umfeld so schätze: Verbündete. Sind vom Schleim selbst nicht betroffen, sind aber trotzdem für mich da, wenn er mich trifft.
Es bedarf Vertrauen in das eigene Gegenüber, es auf die ausgeübte Diskriminierung anzusprechen. Wir könnten aufhören, Menschen zu widersprechen, wenn sie es tun. Wir könnten anfangen, es als einen Vertrauensbeweis zu sehen. Wenn ihnen Verständnis wichtiger ist als die Harmonie im Raum.
Das ist ein Kraftakt. Denn Betroffene können sich die Auseinandersetzung mit Diskriminierung nicht für die Feiertage oder für DVD-Abende aufheben. Sie möchten die Verantwortung über das Zepter genauso wenig haben wie die, an die sie es weiterreichen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!