US-Serie „True Blood“: Ein „n“ macht den Unterschied
In der Serie „True Blood“ stehen Vampire stellvertretend für die queere Szene in der realen Welt. Unsere Autorin hat darüber ein Buch geschrieben.
Der Vorspann zu „True Blood“, von der Firma Digital Kitchen produziert, enthält weder Bilder, die der Serie selbst entstammen, noch Verweise auf Vampire oder andere übernatürliche Wesen. Es handelt sich stattdessen um eine suggestive, 90 Sekunden währende Bilderfolge, deren Rhythmus das Country-Stück „Bad Things“ von Jace Everett bestimmt. Charakteristisch ist, dass der Vorspann erst nach einem Präludium einsetzt, das jeweils circa zwei Minuten dauert, manchmal etwas weniger, in Ausnahmefällen auch länger, bis zu vier, fünf Minuten.
Diese Miniatur macht meist genau dort weiter, wo die vorangegangene Folge aufhörte. In aller Regel mündet sie in einen Cliffhanger, an den das erste Vorspannbild stößt, eine grünlich-gelb getönte Unterwassereinstellung auf einen großen Wels. Die Kamera taucht aus dem Wasser auf, schaut sich, nach dem Schnitt, den Kopf eines Alligators aus der Nähe an, wobei sie die Aufwärtsbewegung beibehält.
Es folgen weitere Aufnahmen von der typischen Flora, Fauna und Topografie Louisianas, Kamerafahrten durch Bayous, an Holzschuppen auf Stelzen und an heruntergekommenen Häusern vorbei, Bilder von einem Opossum, das von einem Auto überfahren wurde, von der Metamorphose eines Falters, von einer Straße in der Dämmerung, von einem Fuchs, der im Zeitraffer von Maden zerfressen wird, von Bars, in denen aufreizend getanzt wird, von Gottesdiensten, die in religiöser Ekstase gipfeln.
Mitten in dieser Feier des tiefen Südens mitsamt seiner neogothischen Tropen – „a love letter to the Gothic South“, heißt es werbend auf der Website von Digital Kitchen – findet sich eine drei Sekunden dauernde Einstellung von einer erleuchteten Schrifttafel. Es ist Nacht, die Kamera, auf der Kühlerhaube eines von links nach rechts vorbeifahrenden Autos angebracht, gleitet an der weißen Tafel mit schwarzen Buchstaben vorbei, zu lesen ist die Hassparole „God hates fangs“, Gott hasst Fangzähne, was metonymisch für die Vampire steht.
Cristina Nord: „True Blood“. Diaphanes, Zürich, Berlin 2015, 108 Seiten, 10 Euro. Lesung am 4. Mai um 19 Uhr im taz Café.
Schwule und Lesben statt Fangzähne
Ich brauchte eine Weile, bis ich das „n“ in „fangs“ bemerkte. Während der gesamten ersten Staffel las ich auf dem Billboard einen anderen Satz: „God hates fags“, die Hassparole, mit der radikale Christen in den USA ihre Abscheu gegen Schwule und Lesben, gegen Trans- und Intersexuelle bekunden, etwa die Westboro Baptist Church aus Topeka, Kansas, die eine Website gleichen Namens betreibt. Neben vielen wirr angeordneten Bibelzitaten findet sich dort eine Übersicht über Protest- und Blockadeaktionen, mit denen die Bibeltreuen gegen die Repräsentanten des verhassten liberalen Amerikas zu Felde ziehen.
Dass meine Augen das „n“ in „fangs“ so lange übersehen haben, ist insofern kein Zufall, als die Fehlleistung von der Serie provoziert wird. Denn „True Blood“ lässt sich über weite Strecken als eine überdeutliche Metapher auf den Kulturkampf begreifen, der die Anerkennung und die rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen in den USA begleitet – und nicht nur dort, wie die Erregung zeigt, die im Herbst 2013 Baden-Württemberg überkam.
Der Grund war das Vorhaben der grün-roten Landesregierung, den Lehrplan an Schulen in Baden-Württemberg so umzustellen, dass die Schüler mehr über sexuelle Vielfalt erfahren. Die Abwehr der „fangs“ dient in der Serie immer wieder als Konfliktmotor, sie äußert sich mal in milder sozialer Ausgrenzung, mal im Hate Crime, und sie spiegelt die Abscheu gegen „fags“, die viele konservative US-Amerikaner an den Tag legen.
Aus der Nische heraustreten
Das Szenario, das Alan Ball und die übrigen Drehbuchautoren ersinnen, ist folgendes: Nachdem sie jahrtausendelang im Verborgenen gelebt haben, möchten Vampire als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft anerkannt werden. Weil Wissenschaftler in Japan ein synthetisches Blut namens TruBlood hergestellt und vermarktet haben, können die Vampire ihre Ernährungsbedürfnisse stillen, ohne Menschen anzugreifen. Theoretisch also bilden sie keine Gefahr mehr, und deshalb können sie als Minderheit mit spezifischen Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Bedürfnissen Teil der Gesellschaft werden, so ähnlich wie Schwule und Lesben aus subkulturellen Nischen herausgetreten sind.
In der Serie heißt diese Agenda „Mainstreaming“. Der Moment, in dem die Existenz im Verborgenen beendet wurde, nennt sich religiöser konnotiert „the great revelation“. Als „True Blood“ beginnt, liegt dieser Moment bereits zwei Jahre zurück. Oft ist davon die Rede, die Vampire seien „out of the coffin“, analog zu „out of the closet“, der Wendung, die Schwule und Lesben nutzen, wenn sie ihrer Herkunftsfamilie, ihrem Arbeitgeber oder der Öffentlichkeit mitteilen, dass sie homosexuell sind.
Darüber hinaus sind die Vampire in „True Blood“ mit vielem ausgestattet, was eine Bürgerrechtsbewegung heutzutage braucht: Es gibt die American Vampire League als starke Interessenvertretung und eine Sprecherin, die keine Talkshow und keine Nachrichtensendung scheut. Dieser Figur – sie heißt Nan Flanagan (Jessica Tuck) – gehören dann auch einige der allerersten Augenblicke der Serie, wenn sie in einer Talkshow, die in einem kleinen Röhrenfernseher in einem Geschäft läuft, sagt: „We are citizens. We pay taxes. We deserve basic civil rights just like everyone else.“ („Strange Love“.)
Zudem gibt es prominente Unterstützer: In der zweiten Folge der ersten Staffel etwa gleitet die Kamera wie zufällig am Cover eines Tabloids vorbei. Die fett gedruckte Überschrift lautet: „Angelina Jolie Adopts Vampire Baby“ („The First Taste“). Und wie in der wirklichen Welt, in der radikale Stimmen aus dem Umfeld queerer Theorie und queeren Aktivismus die auf Assimilation setzende Politik der schwullesbischen Interessenverbände kritisieren, gibt es auch in „True Blood“ Vampire, die mit dem Mainstreaming unzufrieden sind, weil sie es für die falsche Politik halten. In ihren Augen impliziert es den Verlust von spezifischen Freuden und Genüssen und führt zu Selbstverleugnung und -hass.
Preis für die Anerkennung
Wenn die zentrale Achse, um die herum die Serie gebaut ist, der Konflikt um die Anerkennung der Vampire und das Ringen von liberalen und reaktionären Akteuren sind, dann dreht sich die zweite Achse in eine eher gegenläufige Richtung. Denn sie stellt die Frage nach dem Preis, den die Vampire für das Anerkanntwerden und die Menschen für das Anerkennen zahlen. Der äußere Konflikt wird von einem inneren Konflikt flankiert, insofern Vampire mit anderen Vampiren hadern, weil die nicht bereit sind, die geforderten Anpassungsleistungen zu erbringen. Ähnlich ergeht es den Menschen, von denen manche die Veränderungen gutheißen, während andere, etwa die Anhänger der Fellowship of the Sun, alles daran setzen, sie rückgängig zu machen.
Nun lassen sich die Parallelen zwischen dem Mainstreaming der Vampire und real existierenden Bürgerrechtsbewegungen nur bis zu einem gewissen Punkt belasten; spätestens dort erreichen sie ihr Ende, wo sich die Vampire tatsächlich ziemlich blutrünstig verhalten. Hinzu kommt, dass die gesellschaftspolitische Frage nach der Anerkennung von Schwulen und Lesben sich heutzutage ohne den Umweg einer Deckerzählung artikulieren lässt. Alan Ball selbst hat das getan, als er in „Six Feet Under“ der Figur des schwulen David Fisher und dessen Dilemmata großen Raum gab.
Das Interessante am Fantasy-Universum von „True Blood“ ist nicht so sehr die Frage, worauf es sich übertragen lässt, als vielmehr die Gefräßigkeit, mit der die Serie sich ein gesellschaftspolitisches Äußeres einverleibt und sich dadurch am Leben erhält; die Unverfrorenheit, mit der sie Übertragbarkeit in jedem Atemzug evoziert, ohne sie doch ganz ernst zu nehmen. „True Blood“ hat etwas, was Susan Sontag einmal so beschrieb: „a sensibility that, among other things, converts the serious into the frivolous.“
Während Sontag dieses für Camp charakteristische Gespür als apolitisch begreift, macht die Serie gerade mit und aus dem Frivolen Politik.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste