US-Repräsentantenhaus stimmt ab: „Trumpcare“ kommt durch
Mit knapper Mehrheit haben US-Abgeordnete für ein Gesetz gestimmt, das die Gesundheitsreform von Obama ersetzen soll. Viele sehen das kritisch.
Das Gesetz würde die mühsam errungenen Fortschritte der Gesundheitsversorgung der letzten Jahre weitgehend rückgängig machen. Die schwersten Nachteile gäbe es für Menschen mit niedrigen Einkommen. Rund 24 Millionen von ihnen würden binnen der nächsten Jahre ihre Krankenversicherung verlieren. Vielen SpitzenverdienerInnen hingegen würde das Gesetz finanzielle und steuerliche Vorteile in Milliardenhöhe bringen.
Statt der bundesweit geltenden Mindeststandards für Krankenversicherungen sieht „Trumpcare“ vor, dass die Bundesstaaten selbst über die Versicherungsleistungen und -prämien entscheiden. Damit drohen Menschen mit bestehenden Vorerkrankungen sowie über 50-Jährigen höhere Versicherungsbeiträge. Zahlreiche Leistungen, die gegenwärtig abgedeckt sind, könnten künftig nicht mehr von den Versicherungen übernommen werden – von Krebs-Vorsorgeuntersuchungen über Verhütung und die Behandlung von jungen Müttern bis hin zur Betreuung von Drogenabhängigen und psychisch Kranken.
Vor allem aber würde das neue Gesetz die massiven Finanzhilfen abschaffen, mit denen die Bundesregierung die Bundesstaaten bei der Krankenversorgung Medicaid für Einkommensschwache unterstützt. Auch die Besteuerung von Jahreseinkommen über 200.000 US-Dollar, mit der ein Teil von „Obamacare“ finanziert wird, soll gestrichen werden.
„Wir lösen unser Versprechen an das amerikanische Volk ein“, sagte Paul Ryan, der republikanische Sprecher, der seit Jahren in Washington einen Kreuzzug gegen „Obamacare“ führt, nach der Abstimmung. Seine Partei führt ins Feld, dass der Bund durch das neue Gesetz in den nächsten zehn Jahren 765 Milliarden US-Dollar sparen würde, die nicht mehr für Medicaid in die Bundesstaaten gehen würden.
Im Senat keine Chance?
Die Abgeordnete Sheila Jackson Lee nannte das Gesetz dagegen ein „umgekehrtes Robin-Hood-Vorgehen, bei dem von den Armen gestohlen wird, um es den Reichen zu geben“. Als Brustkrebsüberlebende beklagt die Demokratin, dass Frauen wie sie wegen ihrer „Vorbelastung“ den garantierten Zugang zur Krankenversicherung verlieren könnten.
Auch aus der Versicherungsbranche kamen kritische Stimmen. Paul Markovitch, Chef der größten kalifornischen Krankenversicherung „Blue Shield“, nannte das Gesetz „fehlerhaft“. Es würde dazu führen, „dass sich Menschen mit Geburtsfehlern oder später entstandenen Krankheiten keine Versicherung mehr leisten können“.
Viele DemokratInnen hoffen nun, dass der Gesetzentwurf nicht durch den Senat kommt, die zweite Kammer des US-Kongresses. Selbst im Repräsentantenhaus stimmten am Donnerstag zwanzig moderate RepublikanerInnen zusammen mit den DemokratInnen gegen das Gesetz.
Im Senat, in dem für jeden Bundesstaat nur zwei SenatorInnen sitzen, wissen die RepublikanerInnen, dass ihre Bundesstaaten ohne die Medicaid-Finanzhilfen aus Washington sehr schnell in katastrophale Situationen hineinschlittern könnten. Mehrere republikanische SenatorInnen haben bereits angekündigt, dass sie das Gesetz so nicht annehmen wollen.
Trump ließ sich davon nicht beeindrucken. Seinen ersten Abstimmungserfolg im Kongress am Donnerstag nutzte er, um vor der Kulisse der herbeikutschierten Abgeordneten im Rosengarten ein Gesetz zu feiern, dessen Zukunft in den Sternen steht. Dabei behauptete er erneut, künftig würden sowohl die Beiträge zur Krankenversicherung als auch die Eigenbeteiligungen sinken.
„Planlos und überstürzt konstruiert“
Ursprünglich hatte Trump schon für seinen Amtsantritt das Ende von „Obamacare“ angekündigt. Doch zugleich hatte er bessere medizinische Leistungen und geringere Kosten für Krankenversicherungen versprochen, was in seiner eigenen Partei umstritten ist. Im März musste Sprecher Ryan eine Abstimmung über seinen Gesetzentwurf im letzten Moment absagen, weil er keine Mehrheit hatte. Dem radikal-rechten Tea-Party-Flügel im „Freedom Caucus“, einer Vereinigung konservativer Abgeordneter, gingen die Einsparungen nicht weit genug.
Das neue Gesetz ist in einem harten Tauziehen in den republikanischen Reihen entstanden. Und unter so großem Zeitdruck, dass bei der Abstimmung am Donnerstag viele Abgeordnete den Text noch nicht gelesen hatten. Selbst das unabhängige Haushaltsbüro des Kongresses (CBO) wurde aus Zeitnot nicht zu Kosten und Auswirkungen des Gesetzes befragt. Einer der republikanischen GegnerInnen des Gesetzes, der moderate Abgeordnete aus Pennsylvania Charlie Dent, nannte es „planlos und überstürzt konstruiert“.
Zu dem Zeitpunkt war Trump bereits nach New York zu einem Treffen mit dem australischen Premierminister Malcolm Turnbull unterwegs. Dort lobte er die australische Gesundheitsversorgung, obwohl die eine der Inspirationsquellen für „Obamacare“ gewesen war. In der Stadt, wo Trump so unbeliebt ist wie an wenigen Orten in den USA, säumten DemonstrantInnen die Straßenränder und riefen ihm zu: „Shame, shame!“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Anschlag von Magdeburg
Aus günstigem Anlass