US-Produzent Quincy Jones gestorben: Soul und Ehrlichkeit
Mit unermüdlichem Tatendrang konterte er Diskriminierung. Nun ist der Komponist und Produzent Quincy Jones im Alter von 91 Jahren gestorben.
Allzu viele Künstler:Innen gibt es nicht, die zugleich in den Enzyklopädien von Jazz, R&B und Pop Erwähnung finden. Quincy Jones bleibt die Ausnahme. Der Arrangeur, Produzent und Komponist konnte auf eine 75-jährige Karriere zurückblicken. Sie brachte ihn, den 1933 in Chicago geborenen Trompeter, schon als Teenager in die besten Bands.
Als 15-Jähriger spielte er an der Seite von Ray Charles, ab 1951 mit dem Vibrafonisten Lionel Hampton zusammen. In jener Zeit wuchs sein Selbstbewusstsein, er brachte sich das Klavierspielen bei und führte das Prinzip in den Jazz ein, Akkordfolgen am Piano in Vierteln aufzubauen, bevor dies zum Feature im Bebop wurde.
Früh setzte Jones auf den E-Bass, der 1953 von Leo Fender eingeführt wurde. Bei seinem Engagement als „musikalischer Direktor“ in der Bigband von Dizzy Gillespie machte sich Quincy Jones 1955 unentbehrlich. Damals wandte sich die Bürgerrechtsbewegung gegen die Segregation der Schwarzen US-Bevölkerung. Quincy Jones konterte die Diskriminierung mit unermüdlichem Tatendrang.
Für sein Soloalbum „This Is How I Feel About Jazz“ notierte Jones 1956 eigene Linernotes: „Unsere Ziele beim Musikmachen bleiben Soul, Groove und Ehrlichkeit“. Das mag von heute aus kokett klingen, aber Jones trat nie auf der Stelle. Er machte für sich und andere möglich, was in der Generation zuvor undenkbar war. Er schrieb Songs für Count Basie und studierte am Berklee-Konservatorium in Boston, wo er Größen wie Miles Davis und Thelonious Monk kennenlernte. Anders als diese Visionäre war er kein Bilderstürmer.
1957 siedelte er nach Paris über und wurde Manager der Plattenfirma Barclay. Doch in Europa stieß Jones an Grenzen: Er musste eine Bigband wegen Schulden auflösen. Ernüchtert kehrte er 1959 in die USA zurück. Sein Netzwerk rettete ihn, als erster Schwarzer gelangte Quincy Jones in einem Majorlabel bis zur Leitungsebene, bei Mercury brachte er es bis zum Vizepräsidenten. Dann begann seine Tätigkeit als Produzent, er verhalf der Sängerin Leslie Gore mit „It’s My Party“ zu Starruhm.
Soundtracks für mehr als 60 Filme
Ab den 1960ern schuf Quincy Jones zudem Soundtracks für mehr als 60 Filme: zum Beispiel für den fiebrig-orchestralen Score von „The Deadly Affair“ (Regie: Sidney Lumet), mit lakonischen Titeln wie „Don’t Fly If It’s Foggy“ oder „Body on Elevator“.
Man kann nicht mit einem Arsch auf zwei Bänken sitzen, außer man ist Quincy Jones. Er ergattert immer wieder Plattenverträge und bleibt neugierig. Als die afroamerikanische Bevölkerung in den mittleren 1970er Jahren infolge einer Wirtschaftskrise zurückfiel, wirkte der Aufstieg von Quincy Jones als Antithese: 1979 produzierte er das Album „Off the Wall“ von Michael Jackson, es wurde mit neun Millionen Exemplaren seinerzeit zum meistverkauften Album eines Schwarzen.
Mit dem Crossover-Welterfolg – Jones blieb auch für Jacksons Alben „Thriller“ und „Bad“ Produzent – kamen Negativschlagzeilen. „Es entwickelt sich ein schreckliches Friss-oder-stirb-Syndrom“, formulierte US-Kritiker Nelson George über den Erfolgshunger des Gespanns. Der britische NME haderte mit den „zehn Geboten der Pseudosoulmusik“ im angeblich verwässerten Sound von Quincy Jones.
Doch dieser hat ein erfülltes Musikerleben vorzuweisen, nur ein Lebensprojekt blieb unvollendet: Er plante ein Gesamtkunstwerk, eine Oper, die die Entwicklung der afroamerikanischen Musik vom Zeitalter der Sklaverei bis zur Gegenwart nachzeichnen sollte.
Zählt man alle Werke zusammen, ergibt sich bei Quincy Jones das Gesamtkunstwerk auch so. Am Sonntag ist er im Alter von 91 Jahren in Los Angeles gestorben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?