US-Präsidentschaftwahlkampf: Wird Trump jetzt plattgewalzt?
Kamala Harris und ihr frisch vorgestellter Vize-Präsidentenkandidat haben einen Hype im Wahlkampf ausgelöst. Trägt er sie ins Weiße Haus?
Die vergangenen sechs Wochen waren wohl die erstaunlichsten, die das an Überraschungen selten arme US-Wahlkampftheater in den letzten Jahrzehnten hervorgebracht hat. Seit jenem 27. Juni, an dem Joe Biden in der TV-Debatte mit Donald Trump aller Welt bestätigte, was die Republikaner*innen immer behauptet und die Wähler*innen befürchtet hatten – dass er nämlich körperlich und mental definitiv nicht mehr in der Lage ist, erneut als Präsident anzutreten –, sind die US-Demokrat*innen einmal durch die Hölle gegangen.
Wochenlang erklärte Biden, er bleibe im Rennen, egal was komme, egal wie die Medien ihn abschrieben, egal wer ihn dazu auffordere, beiseitezutreten. Die Partei schien sich ihrem Schicksal zu ergeben, im November deutlich und vernichtend geschlagen zu werden. Und dann kam die Wende.
Am 21. Juli trat Joe Biden von der Kandidatur zurück und sprach sich für seine Vizepräsidentin Kamala Harris aus. In Windeseile fand sie nahezu einhellige Unterstützung aller wichtigen Stimmen, niemand schickte sich an, gegen sie anzutreten. Die Partei sah die Chance zur Kehrtwende, die sich durch Bidens Abgang bot, verstand, dass jetzt rasch Einigkeit und Aufbruch signalisiert werden muss, und ergriff die Gelegenheit.
In nur zwei Wochen wandelte sich die Stimmung von Depression zu Euphorie. Zum ersten Mal im gesamten Wahljahr bewegten sich die Umfragewerte in Richtung der Demokrat*innen. Die Spenden flossen wieder – und gleich in Rekordhöhe.
Und selbst wenn hinter den Kulissen heftig über die Auswahl des Running Mate, des Vizepräsidentschaftskandidaten, gepokert wurde, reihten sich alle ein, als in der vergangenen Woche dann Minnesotas Gouverneur Tim Walz benannt wurde und sich vor einer begeisterten Menge in Philadelphia der nationalen Öffentlichkeit vorstellte.
Wer ist denn überhaupt dieser Tim Walz?
Kamala Harris hat sich mit Walz jemanden gesucht, dessen inhaltliches Profil deutlich klarer ist als ihr eigenes, und der anders als sie selbst als Gouverneur auch viele Dinge umgesetzt hat. Kostenlose Schulspeisung, Waffenkontrollgesetze, das Recht auf Abtreibung, klar gewerkschaftsorientiert, Rechte auch für papierlose Migrant*innen – alles Punkte, die in Minnesota mit dem Namen Tim Walz in Verbindung gebracht werden.
Dazu ist er Ex-Militär, Ex-Lehrer, erfolgreicher Football Coach – ein volksnaher Typ und guter Redner, der schon in seinen ersten Auftritten als Running Mate zugespitzte Attacken auf die Gegenseite fuhr. Sein Begriff „weird“ – schräg, sonderbar – für das Duo Trump/Vance ist längst zum stehenden Ausdruck geworden.
Wofür steht dieses demokratische Ticket?
Wer auf die Harris/Walz-Webseite geht, findet viele Möglichkeiten, deren Wahlkampfkasse mit Spenden zu unterstützen – aber der Reiter „on the issues“, unter dem normalerweise inhaltliche Positionen zu wichtigen Themen nachzulesen wären, fehlt gänzlich.
Natürlich ist das der Tatsache geschuldet, dass Harris’ Kandidatur noch keine drei Wochen alt ist und sie eben nicht in einem langen Vorwahlprozess genötigt war, zumindest programmatische Eckpunkte festzulegen. Der Hype, den das Ticket in diesen Tagen erlebt, lebt insofern zunächst nur davon, dass hier lebendige Gegenkandidaten zu Trump angetreten sind.
Der meistgerufene Wahlkampfslogan bei den ersten Veranstaltungen in den Swing States bislang: „We’re not going back!“ – kein Schritt zurück! Das geht gegen Trump und das „Project 2025“ und funktioniert erst einmal. Um aber drei Monate Wahlkampf, TV-Debatten und Interviews zu überstehen – Harris scheut derzeit den Umgang mit Reporter*innen –, reicht das nicht aus.
Mehr noch: Solange es zu den republikanischen Kernthemen Migration, Grenzsicherung, Inflation keine klaren programmatischen Gegenentwürfe von Harris/Walz gibt, werden Donald Trump und sein Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance formulieren, was von dem „linksradikalen“ Duo alles Schreckliches zu erwarten sei.
Genau, Trump, der ist ja auch noch da. Wie hat er reagiert?
Donald Trump hat vermutlich die für ihn schlimmsten zwei Wochen des Jahres hinter sich. Natürlich hatte er darauf gehofft, dass Joe Biden an der Kandidatur festhält. Sein gesamter Wahlkampf war auf ihn als Gegner eingestellt, und Trump hatte das Gefühl, nicht viel tun zu müssen.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
In den Tagen nach der verheerenden Debatte hielt er sich zurück, erst das Attentat auf ihn und der republikanische Nominierungsparteitag brachten ihn wieder ins Rampenlicht. Ansonsten genoss er still, wenn die Demokrat*innen angstvoll einen weiteren Liveauftritt Bidens verfolgten. Das ist vorbei.
Seit der Nominierung von Tim Walz zum Vizepräsidentschaftskandidaten ist Kamala Harris mit ihm zusammen unterwegs – und plötzlich füllt sie in Swing States wie Pennsylvania, Wisconsin oder Michigan Hallen wie bislang nur Trump.
Das wurmt Donald Trump gewaltig, denn die Größe seiner Kundgebungen war für ihn stets ein wichtiges Argument. Möglicherweise hat er deshalb in den letzten Tagen auf die für ihn so typischen Großveranstaltungen fast völlig verzichtet – im direkten Vergleich hätte er womöglich nicht gut ausgesehen.
Stattdessen lud er am Donnerstag zu einer Pressekonferenz auf sein Anwesen in Mar-a-Lago. Dort behauptete er, Kamala Harris sei so brutal inkompetent, dass es kein Wunder sei, dass sie nicht mit den Medien spreche, Walz sei ein Linksradikaler, der Minnesota zugrunde geritten habe, würden Harris/Walz ins Weiße Haus einziehen, sei das der Untergang der USA. Na gut.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Dynamik dieses vollkommen neu aufgeschüttelten Wahlkampfs bis zum 5. November ist nicht vorauszusagen. Wenigstens bis zum Nominierungsparteitag vom 19. bis zum 22. August in Chicago dürfte auf demokratischer Seite der Hype anhalten. Aber spätestens danach werden die noch ungelösten inhaltlichen Fragen in den Mittelpunkt rücken.
Schon in dieser Woche etwa fanden sich bei einer Veranstaltung von Harris in Michigan propalästinensische Protestierende ein, die ihre Rede mit lauten Zwischenrufen („Keine Stimme für Völkermord!“) störten. Harris wehrte das mit den Worten „Wenn ihr wollt, dass Donald Trump gewählt wird, dann sagt das! Ansonsten rede jetzt ich“ und einem intensiven Staredown ab.
Wo Harris/Walz aber wirklich im Nahostkonflikt stehen, ein für manche Wähler*innengruppen gerade im wichtigen Swing State Michigan entscheidender Punkt, bleibt unklar. Bis zur ersten TV-Debatte zwischen Kamala Harris und Donald Trump, die am 10. September in Philadelphia vom Sender ABC ausgetragen werden soll, muss noch viel programmatische Arbeit geleistet werden.
Am Ende macht das Rennen, wer sein Wähler*innenpotenzial am besten ausschöpft und an die Urne bringt. Ausgang? Wieder vollkommen offen.
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