US-Präsidentschaftswahlen: Warum wählen sie Trump?
Der Vater unseres Autors war Maschinist in Pennsylvania, ist in den 1990ern unter Bill Clinton arbeitslos geworden. Wie denken er und Kollegen heute?
Solche Tage gab es während meiner Jugend häufiger. Für meinen Vater wurde es aber zunehmend schwieriger, und in der Fabrik wurden viele Arbeiter entlassen. Das hieß mehr Zeit mit Papa, doch für ihn und seine Maschinistenkollegen bedeutete es vor allem Arbeitslosigkeit und Ungewissheit. Der Antrag auf Sozialhilfe wurde abgelehnt und mein Dad missmutig.
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Pennsylvania ist ein komplexer Swing State, und mein Vater und seine Kollegen in der gewerkschaftlich organisierten Maschinenfabrik von General Dynamics gehören zu einer der wichtigsten Wählergruppen: weiße Wähler aus der Arbeiter- und Mittelschicht. Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen, um zu verstehen, was sie vor der Präsidentschaftswahl umtreibt.
Alle sind sich einig, dass der Abstieg in den 1990ern begann. Schuld hatten für meinen Vater das NAFTA-Handelsabkommen und die Demokraten. Das Abkommen trat 1994 unter Präsident Bill Clinton in Kraft, um Mexiko auf Augenhöhe mit den USA zu bringen, den Handel zu fördern und die Einwanderung einzudämmen. Doch besonders die Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe wurden zunehmend über die Grenze nach Süden verlagert – wie die in den kleinen Maschinenwerkstätten der NEPA-Region (Northeastern Pennsylvania).
Über allem steht die Arbeitsmoral und die Idee von früher
Obwohl es sich bei NAFTA um einen Vertrag handelte, dem alle Parteien zugestimmt hatten, schoben die Republikaner die negativen Folgen des Abkommens erfolgreich den Demokraten zu. Einst treue Wähler aus der Arbeiter- und Mittelschicht fühlten sich von den Demokraten im Stich gelassen und getäuscht.
Doch wieso unterstützen sie einen Mann wie Trump, der politische Gegner beleidigt, befreundete Staaten vor den Kopf stößt, das Wahlsystem in Frage stellt und zudem eine arbeitnehmerfeindliche Politik vertritt? Auf dem Papier ist das Programm der Demokraten für die Mittelschicht besser als das der Republikaner. Wieso aber erhalten die Demokraten immer weniger Unterstützung aus dieser Gruppe?
James Rabarcak arbeitet als Production Manager bei General Dynamics. Mit seinen 61 Jahren hat er viele Veränderungen erlebt. Er wuchs mit vier Geschwistern in einer katholischen Arbeiterfamilie auf. Sein Vater schuftete in der Zeche, seine Mutter war Krankenschwester. Er selbst ging zunächst zu den Marines, wurde Maschinist und schließlich Manager. Diese Herkunft prägt seine Weltsicht nachhaltig: Er glaubt an die Leistungsgesellschaft, an Eigenverantwortung und Fleiß.
Eine Firma schickte Rabarcak ins Ausland, nach Japan und Deutschland, um sicherzustellen, dass die Maschinen, die die Firma kaufen wollte, funktionierten. Er sah, wie japanische Arbeiter einen Haufen Metall und Teile nahmen und in 48 Stunden eine neue Maschine fertigstellten. „Das war eine ganz andere Arbeitsmoral. 12 bis 14 Stunden am Tag. Das war vielleicht ein bisschen viel, aber sie waren alle sehr engagiert. Im Vergleich mussten wir ihnen wie ein fauler Haufen vorgekommen sein. Ich wünschte, wir hätten diese Art von Arbeitsmoral in den USA.“
„Die Demokraten verschenken zu viel Geld“
Er erinnert sich noch gut an den Kölner Dom, den Rhein – und die deutschen Arbeiter. „Sie waren gelassener als ihre japanischen Kollegen und glücklicher als die Amerikaner. Die Deutschen waren stolz auf ihre Arbeit und überzeugt, dass sie das beste Produkt besaßen. Das sehe ich bei der jüngeren Generation in den USA heute nicht mehr,“ sagt er.
„Früher wurde man für harte Arbeit belohnt. Ich war stolz auf unsere Arbeitsmoral im Kohlebergbau. Jetzt strömen gering qualifizierte Arbeitskräfte über die Grenze. Billige chinesische Produkte breiten sich aus. Wir verlieren in der NEPA-Region die Basis an Fachkräften. Es wird bald zu Ende gehen,“ fürchtet Rabarcak.
„Gerade der jüngeren Generation fällt es schwer zu glauben, dass sich harte Arbeit noch lohnt, das System scheint gegen sie zu sein“, werfe ich ein, „Sie können sich keine Häuser oder eine adäquate Gesundheitsversorgung leisten, sie haben hohe Studienkredite und das Klima steht vor dem Kollaps. Die Leute haben das Gefühl, dass sich der Aufwand nicht lohnt.“
„Nein, so sehe ich das nicht“, entgegnet Rabarcak. Ich frage ihn was aus seiner Sicht die Lösung sei. „Sie zahlen hier unglaubliche Löhne, aber niemand nimmt das Angebot an! Ich denke, es ist ein Problem des Wohlfahrtsstaates. Ich glaube, die Demokraten verschenken zu viel Geld, und das macht die Leute faul.“
Andrew hat zu allem eine Meinung – und wählt Trump
Als ich Andrew Andrewsh, 35, am Telefon erreiche, schließt er gerade seine Haustür auf, begrüßt seine halbkoreanische Frau, seine drei Töchter und seine Schwiegermutter – und ruft Ihnen zu: „Sorry, ich habe Deutschland am Apparat!“ Er ist naturverbunden und handwerklich begabt. Sein Stiefvater weckte in ihm die Begeisterung für Mechanik.
Der 11. September 2001, die Anschläge auf New York und Washington, waren für ihn ein Schlüsselerlebnis. Fast nostalgisch erinnert er sich an die Zeit danach: „Die Welt stand still, aber wir standen zusammen. Es herrschte Einigkeit, jenseits von Herkunft oder politischen Überzeugungen. Wir haben alle zusammengehalten. Daran müssen wir wieder anknüpfen. Wir müssen die Menschen und ihre Unterschiede respektieren.“
Ich frage ihn, ob er Rassismus und Gewalt von Rechts heute als Problem wahrnehme. Dem stimmt er zu, aber mit Trump habe das wenig zu tun: „Trumps faschistische, rassistische Rhetorik ist nur Schall und Rauch. Er ist ein Arsch und sagt Dinge, die er nicht sagen sollte, aber wir müssen uns eben gegen diesen Unsinn wehren.“ „Gegen welchen Unsinn?“ „BLM [Black Lives Matter], Transgender-Toiletten.“ Er kennt die Positionen der Black Lives Matter nicht wirklich, nur vom Hörensagen, ist skeptisch gegenüber Schlagworten wie „weißes Privileg“, aber zugleich sicher, dass rassistische und vorurteilsbehaftete Systeme existieren.
Der nachdenkliche, gesprächige Andrew hat zu allem eine Meinung, von den Medien über die Wirtschaft und den Klimawandel bis hin zu Taylor Swift. Einige seiner Ansichten sind sachlich, andere grenzen an Verschwörungstheorien. „Ich traue niemandem, außer vielleicht meiner Schwiegermutter. Sie war Klempnerin!“ Das viele Geld in der Politik sei definitiv ein Problem – zu viele Leute wollen sich bereichern. Trump allerdings sei schon so reich, dass er „das gar nicht nötig“ habe.
Scranton, das Zentrum der Welt
Andrews Mangel an Vertrauen in das politische System ist kein Einzelfall. Mehr als zwei Drittel der republikanischen Wähler glauben zum Beispiel an die sogenannte „Big Lie“, also daran, dass Joe Biden in 2020 nur durch Wahlbetrug an die Macht gekommen sei. Es ist schwer, sich in diesem Wahlkampf auf Fakten zu einigen. Desinformationen verfangen leicht.
Mich interessiert darum, welche Nachrichten meine Gesprächspartner konsumieren. Sowohl Andrew als auch James geben an, Medien von beiden Seiten des politischen Spektrums zu beziehen. James´ favorisiert Fox News, aber ab und an schaue er auch BBC, „um aus der Amerika-Blase herauszukommen“, wie er sagt.
Im Werk von General Dynamics werden gepanzerte Fahrzeuge gefertigt, die auch in der Ukraine zum Einsatz kommen. „Was hältst du davon, dass Trump droht, die Hilfe an die Ukraine einzuschränken und der Nato die Unterstützung zu entziehen“, frage ich Andrew. „Krieg ist dumm und egoistisch“, antwortet er. „Russland braucht das nicht. Was nützt es, wenn all diese Frauen und Kinder sterben? Wir müssen uns zusammensetzen und einfach über alles reden.“ Andrew setzt auf Verhandlungen.
„Die anderen Nationen zahlen ihren gerechten Anteil nicht“, moniert James die Mängel der Nato. „Magst du Trump?“, möchte ich von ihm wissen. „Wir würden keine Freunde werden, aber ich glaube, dass seine Politik funktionieren kann.“
James, Andrew und mein Vater legen Wert auf harte Arbeit. Sie wollen, dass Leute ihren eigenen Beitrag leisten. Das sei nur fair, sagen sie. Und wie alle anderen machen sie sich Sorgen um die Zukunft. Wir leben schließlich in unsicheren Zeiten: Pandemien, Kriege und immer extremere Wetterphänomene fordern unsere Gesellschaften heraus. Ist unser politisches System dem gewachsen? Haben unsere Regierungen die richtigen Antworten? Ihre Fragen sind berechtigt, aber sind ihre Antworten auch stimmig?
In Scranton scherzen wir, dass die Stadt das heimliche Zentrum des Universums sei. Alle Wege führen hierher:die Anthrazitkohle, die die Welt mit Energie versorgte, kommt ebenso hierher wie die Kohlestreiks, die diese zum Stillstand brachten. Und dann ist da noch eine gewisse politische Macht, weil Pennsylvania ein wahlentscheidender Swing State ist.
Ukraines Präsident Selenskjy war neulich dort und besichtigte die Artillerie-Granatenfabrik Chamberlain. Meine Mutter beklagte sich im Nachhinein über das Verkehrschaos – und gleich darauf über meinen Vater: Er arbeite zu viel und habe keine Zeit, das Boot auf Lake Wallenpaupack richtig zu genießen.
Der Autor ist US-Amerikaner, Mitarbeiter der taz Panter Stiftung und lebt in Berlin.
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