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US-PräsidentschaftswahlJa? Nein? Vielleicht?

Hat Biden gewonnen? Kann Trump noch den Bush-Weg von 2000 gehen? Alles, was man zum US-Wahl-Nachspiel jetzt wissen muss.

Noch sind nicht alle Stimmen ausgezählt: Wahlhelferin in Atlanta am Mittwoch Foto: Brynn Anderson/ap

Hat Trump eine Chance, dass die Gerichte einen Sieg von Biden kippen würden?

Theoretisch ja, aber nur unter bestimmten Konstellationen. Zunächst: Es müsste nach Auszählung aller Stimmen eine Wende in einem Bundesstaat mit extrem engem Wahlausgang reichen, um das Gesamtergebnis zu drehen. Wenn das Trump-Lager dann glaubhafte Beweise dafür vorlegen kann, dass in diesem Bundesstaat Stimmzettel in einer Größenordnung zu Unrecht mitgezählt wurden, die das Wahlergebnis tatsächlich drehen könnte, würde das mit Sicherheit zu Ermittlungen oder gar zu einem Verfahren führen. Wie es ausgeht, wäre in diesem Fall offen.

Bislang haben die Anwälte der Trump Campaign zwar eine ganze Reihe von Klagen und Eilanträgen in allen möglichen Bundesstaaten eingereicht. Die wurden aber in der Regel als unbegründet abgewiesen, oder sie änderten nichts: In Pennsylvania etwa wies ein Gericht am Donnerstag einen Eilantrag des Trump-Lagers auf sofortigen Auszählungsstopp zurück.

Allerdings ordnete das Gericht an, dass mehr Wahlbeobachter aus dem Trump-Lager der Auszählung beiwohnen, und sie müssten näher an die Zähltische heranrücken können. Geändert hat das nichts: Der stetige Zustrom von früh abgegebenen, aber spät ausgezählten Briefwahlstimmen für Biden ging auch am Donnerstag weiter.

Im Wahlkampf Gore vs. Bush im Jahr 2000 hatte der Oberste Gerichtshof angeordnet, die Nachzählung in Florida zu stoppen; damit hatte Bush gewonnen. Was ist diesmal anders?

Nach Auszählung aller Stimmen hing der Wahlsieg am Ausgang der Abstimmung in Florida. Dort lag nach Auszählung aller Stimmen der republikanische Kandidat George W. Bush mit 537 Stimmen vorne. Das war so knapp, dass eine Neuauszählung angesagt schien. Es stellte sich heraus, dass eine große Menge von Stimmen ungültig gewertet worden war, weil die damals benutzten Wahlmaschinen, die auf dem Stimmzettel ein Loch bei dem ausgewählten Kandidatennamen stanzen sollten, nicht richtig funktionierten.

Wahlhelfer*innen mussten tagelang Stimmzettel gegen das Licht halten, um zu erkunden, ob irgendwo ein Loch zu finden war und diese Stimmen berücksichtigt werden könnten. Als auch am Stichtag im Dezember, als Florida seine Ergebnisse übermitteln musste, noch kein Ende dieser Überprüfung abzusehen war, entschied letztlich der Oberste Gerichtshof auf Betreiben des Gouverneurs von Florida – George W. Bushs Bruder Jeb –, die Nachzählung abzubrechen und das ursprüngliche Ergebnis zu werten.

Bush wurde Präsident. Der Unterschied zu heute: Es gibt bislang keinerlei Hinweise auf eine ähnliche bedeutsame Anzahl von Stimmzetteln, deren Berücksichtung oder Nichtwertung zum Wendepunkt der Wahl werden könnte.

Wie lange könnte sich ein juristischer Streit hinziehen?

Dass am 20. Januar der nächste Präsident vereidigt wird, hat Verfassungsrang und ist quasi heilig. Bis dahin aber gibt es viele Möglichkeiten zum Streit. In diesem Jahr müssen alle Bundesstaaten bis zum 8. Dezember ihre Wahlleute benannt haben. Geht es vor Gericht, sind zunächst die des Bundesstaates zuständig, erst in letzter Instanz der Oberste Gerichtshof.

Beispiel Pennsylvania: Hier hatte vor der Wahl der Oberste Gerichtshof des Bundesstaates einen Antrag der Republikaner abgelehnt, die Regelung außer Kraft zu setzen, nach der auch Briefwahlunterlagen berücksichtigt werden, die erst nach dem Wahltag, dem 3. November, eintreffen, sofern sie laut Poststempel vorher abgeschickt wurden.

Der Oberste Gerichtshof in Washington lehnte es ab, sich vor der Wahl damit zu befassen. Sollte nach Auszählung aller Stimmen klar sein, dass der Ausgang der Wahl insgesamt an Pennsylvania hängt, und die Anzahl der nach dem Wahltag eingegangenen Stimmzettel groß genug sein, um den Wahlausgang zu verändern, könnte sich der Oberste Gerichtshof des Falles annehmen.

Bei heftigen, nicht lösbaren Streitigkeiten oder Zweifeln kann theoretisch auch das Parlament eines Bundesstaates übernehmen und ungeachtet des Wahlergebnisses einfach selbst über die Wahlleute entscheiden. Das würde mit Sicherheit weitere Rechtsstreitigkeiten noch bis Januar nach sich ziehen – wenn etwa der Kongress am 6. Januar das Ergebnis der Abstimmung im Electoral College empfangen und akzeptieren muss.

Müssen die Wahlleute eigentlich zwingend so abstimmen, wie ihr Bundesstaat entschieden hat?

Nein, nicht automatisch. Weder die Verfassung noch ein Bundesgesetz bindet die Wahlleute an das Votum ihres Staates, und auch der Oberste Gerichtshof hat bislang nichts dergleichen entschieden, auch wenn er bei einer Anhörung zum Thema im Mai dieses Jahres klarstellte, dass Wahlleute nicht dazu da sind, nach ihrem Gewissen abzustimmen.

Aber nur 32 Bundesstaaten und der District of Colombia erteilen ihren Wahlleuten ein imperatives Mandat – Verstöße dagegen ziehen allerdings für sogenannte faithless electors lediglich ein Bußgeld von rund 1.000 Dollar nach sich. 2016 stimmten insgesamt 10 Wahlleute beider Seiten nicht wie vorgesehen. Noch nie allerdings hat ein solch abweichendes Verhalten das Ergebnis einer Wahl auf den Kopf gestellt.

Trump hat seine Richterin Amy Coney Barrett kurz vor der Wahl noch im Supreme Court untergebracht. Heißt das, dass das Gericht automatisch für ihn ist?

Die konservative 6:3-Mehrheit im Obersten Gericht ist zwar ein Vorteil für Trump. Ohne einen handfesten Rechtsgrund aber wird das Gericht das Wahlergebnis nicht zugunsten des eigentlichen Verlierers verändern. Ein solcher Rechtsgrund ist derzeit nicht in Sicht.

Welche Rolle spielen jetzt eigentlich die sozialen Medien?

Twitter ist der Trump-Kanal. Schon seit Jahren. Selbstverständlich äußerte er seinen Unmut über die laufende Auszählung der Stimmen auch über Twitter. Mit markigen, irritierenden Worten. Die Plattform reagierte umgehend und verbarg etliche Tweets mit der Forderung, die Auszählung zu stoppen, mit einem Warnhinweis. Ebenso reagierte Twitter, als Präsidentensohn Donald Trump Junior seinen Vater zum „totalen Krieg“ aufrief, um den „Betrug offenzulegen, der seit viel zu Langem anhält“.

taz am wochenende

Abgang Trump, Auftritt Joe Biden. Ein Portrait des mutmaßlich neuen US-Präsidenten lesen Sie in der taz am wochenende vom 7./8. November 2020. Außerdem: Eine Frau ist unheilbar krank, sie entscheidet sich für Sterbefasten. Ihre Tochter begleitet sie in der letzten Lebensphase. Eine Geschichte vom Loslassen. Und: Träumen wir uns in Lockdown-Zeiten weit weg. Mit der guten alten Fototapete. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Gesperrt wurde auch der Twitter-Auftritt des ehemaligen Trump-Chefstrategen Steve Bannon, der von der Enthauptung des FBI-Chefs Christopher Wray und des Virologen Anthony Fauci in einem Podcast faselte. Der Strea­mingdienst Spotify entfernte die Folge.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg hatte bereits vor einer Flut von Hassbeiträgen und Falschinformationen nach der Präsidentschaftswahl gewarnt und entsprechende Maßnahmen vorbereitet. Unter anderem sollte die Verbreitung von Posts eingeschränkt werden, also weniger Likes und Kommentare erhalten. Doch die Plattform reagierte spät auf irreführende Posts, etwa zur angeblichen Wahlfälschung. Konkret hat Facebook nun die Gruppe „Stop the Steal“ auf der Plattform entfernt.

Binnen Stunden schlossen sich mehr als 350.000 Nut­ze­r:innen der Gruppe an, die zu Gewalt und zu einem Auszählungsstopp aufrief. Den Aufruf „Stop the Steal“ („Stoppt den Diebstahl“) verwendet auch Trump, der behauptet, die Demokraten würden ihm die Wahl „stehlen“. Die sozialen Netzwerke stehen seit geraumer Zeit unter Druck. Trump hatte mehrfach gedroht, ihre Geschäftsmodelle einzuschränken und ihre Arbeit zu erschweren.

Und die Fernsehsender?

Die Sender haben dazugelernt. Früher erhielt Trump fast unbegrenzt Sendezeit trotz dubioser Äußerungen. Am Donnerstag dagegen brachen ABC, CBS und NBC die Übertragung seiner Pressekonferenz ab, nachdem er ohne Belege Wahlbetrug unterstellt hatte. CNN sendete weiter, aber Moderator Anderson Cooper nannte den Präsidenten eine „fette Schildkröte“, die mit den Beinen rudere, „weil sie realisiert, dass ihre Zeit vorbei ist“.

Fox News verteidigte Trump wie üblich, allerdings offenbaren sich dort interne Gräben. Fox-Moderatoren ärgerten sich live, dass ihr Sender den Swing State Arizona übereilt Joe Biden zugesprochen habe. Laut CNN fordert Fox News seine Leute außerdem auf, Biden nicht als president elect zu bezeichnen.

Mobilisieren die rechten Milizen wirklich für Trump?

Bislang gab es zwar mehrere durchaus aggressive Kundgebungen vor Auszählungszen­tren in den umkämpften Bundesstaaten. In Phoenix, Arizona, standen unter den Demonstrierenden auch Bewaffnete. In Philadelphia, Pennsylvania nahm die Polizei in der Nacht zum Freitag in der Nähe des Kongresszentrums, wo die Stimmen ausgezählt werden, zwei Männer mit Waffen in ihrem Fahrzeug fest.

Man habe einen Tipp bekommen, wonach sich ein Fahrzeug mit bewaffneten Personen vom Staat Virginia aus auf den Weg gemacht habe, um das Convention Center anzugreifen, sagte ein Polizeivertreter. Aber von einem allgemeinen Gewaltausbruch kann bislang nicht die Rede sein. Was passiert, wenn im Trump-Lager klar wird, dass Biden wirklich die Wahl gewonnen hat, ist allerdings noch nicht abzusehen.

Was sagt die Bundesregierung?

„Ich möchte solche Äußerungen nicht kommentieren“, sagte Merkel-Sprecher Steffen Seibert am Freitag in Berlin zur Forderung von Trumps Sohn Donald Jr. nach einem „totalen Krieg“. Auch darüber hinaus wolle die Kanzlerin die US-Wahl und das Verhalten des Trump-Lagers nicht kommentieren, bevor das Ergebnis feststeht.

Der Außenminister hält es anders: „Anständige Verlierer sind für das Funktionieren einer Demokratie wichtiger als strahlende Sieger“, sagte Heiko Maas (SPD) der Berliner Morgenpost. „Sieg oder Wahlabbruch“ sei keine geeignete Losung.

Darüber gibt sich wiederum die CDU irritiert: Fraktionsvize Johannes Wadephul sagte, „bei aller gerechtfertigten Kritik“ hätte er von Maas erwartet, dass er „nicht von hier aus versucht, Trump zur Ordnung zu rufen.“

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Wenig überraschend, der Spruch aus der Reihe der CDU zum Ende des Artikels, der etwas kritisiert, was offenbar auch hierzulande für so manche nicht so selbstverständlich ist, wie es sein sollte.

  • Tragik und Komik

    Das ist doch eine tragikomische Realsatire, die da abläuft.



    Mittlerweile mehr tragisch als komisch...