US-Politikerin Nancy Pelosi in Taiwan: Zwischenstopp mit Folgen
Noch ehe US-Demokratin Nancy Pelosi in Taipeh eintraf, ließ Chinas Armee Kampfflugzeuge aufsteigen. Und in Taiwan selbst? Gibt man sich gelassen.
In Peking ließ die Staatsführung keinen Zweifel daran, dass die Vereinigten Staaten damit eine ihrer berüchtigten „roten Linien“ übertreten. Außenamtssprecherin Hua Chunying betonte, dass man „entschlossene Maßnahmen ergreifen wird, um unsere Sicherheitsinteressen zu gewährleisten“. Die US-Seite werde den Preis dafür zahlen, Chinas Souveränität zu untergraben. Doch auch unabhängige Beobachter werten Pelosis Reisepläne als überaus heikel: Staatschef Xi Jinping wirft der US-Regierung bereits seit Jahren vor, systematisch an der diplomatischen Anerkennung Taiwans zu arbeiten. Er hat also derzeit einige Gründe, ein nachhaltiges Machtwort zu sprechen.
Welche Form dies annehmen wird, lässt sich kaum seriös beantworten – zumal viele Beobachter erwarten, dass sich die Maßnahmen der Volksrepublik über Wochen, möglicherweise Monate erstrecken werden. „Die Reaktion Chinas wird mit ziemlicher Sicherheit auch eine militärische Komponente beinhalten, sogar Raketentests“, kommentiert Taylor Fravel, Leiter am Institut für Sicherheitsstudien des MIT.
Die wirtschaftliche Vergeltung hat bereits begonnen. Am Dienstag verbot die chinesische Zollbehörde kurzerhand 100 taiwanesischen Lebensmittelexporteuren, Waren in die Volksrepublik einzuführen – angeblich wegen „veralteter Informationen zu Importdokumenten“. Doch ganz offensichtlich ist dies nur ein vorgeschobener Grund, denn Peking lässt immer dann seine ökonomischen Muskeln spielen, wenn ein anderer Staat nicht nach der eigenen Pfeife tanzt. Zuletzt wurden litauische Firmen mit einem Importverbot belegt, nachdem Vilnius ein Taiwan-Büro eröffnet hatte.
Der Zeitpunkt ist besonders heikel
Doch auch die militärische Drohkulisse ist beachtlich. Chinas US-Botschafter Qin Gang, ansonsten eher moderat im Tonfall, warnte, dass die Volksbefreiungsarmee einem Besuch Pelosis „nicht tatenlos zuschauen“ werde. Und Journalisten der Staatsmedien debattierten bereits offen darüber, dass man Pelosis Boeing mit Kampfflugzeugen eskortieren solle oder gar eine Flugverbotszone rund um Taiwan einrichten müsse.
Der Zeitpunkt von Pelosis Besuch ist auch aus einem trivialen Grund besonders heikel. Chinas Volksbefreiungsarmee befindet sich nämlich gerade am Ende ihrer halbjährlichen Übungseinsätze, viele Einheiten sind also gerade aktiv im Feld – und könnten derzeit problemlos für zusätzliche Operationen mobilisiert werden. Am Dienstag waren die sozialen Medien bereits gefüllt mit Handyvideos, auf denen zu sehen ist, wie Panzerhaubitzen und weitere Militärausrüstung demonstrativ durch die südöstliche Küstenstadt Xiamen rollt, um sich in Stellung zu bringen. Wenig später flogen mehrere chinesische Kampfflugzeuge ungewöhnlich nah an die inoffizielle Mittellinie heran, die als Puffer zwischen Taiwan und China dient.
Auf Chinas führender Online-Plattform Weibo überbieten sich die politischen Kommentatoren mit immer kühneren Aussagen. Der Blogger Zhan Hao mit seinen knapp viereinhalb Millionen Followern schreibt etwa: „China braucht eine gute Gelegenheit, um Taiwan zu vereinen. Eine gute Gelegenheit ist, wenn Chinas Volksbefreiungsarmee zum Handeln gezwungen wird – und die Schuld der militärischen Vereinigung ausschließlich den Regierungen der USA und Taiwans angelastet werden kann.“ Seine Schlussfolgerung lautet: Der Pelosi-Besuch ist eine „gute Chance“ für China, der Inselstaat wird Xi Jinping also de facto auf dem Präsentierteller serviert.
Empfohlener externer Inhalt
In Taiwan hingegen verfangen die Drohungen überraschend wenig. Auf der vorgelagerten Insel Kinmen, von deren Küste aus man das chinesische Festland mit bloßem Auge sehen kann, ließen sich die Touristen zwischen Museen und Restaurants treiben, so als könnte die geopolitische Krise gefühlt nicht weiter entfernt sein. In Taipeh verteilten ein halbes Dutzend Politiker auf offener Straße Tüten mit gebratenem Hühnchen – weil sie in öffentlichen Wetten die Ankunft Pelosis falsch vorhergesagt hatten. Für die rhetorischen Warnungen Chinas zeigt man sich vor allem deshalb taub, weil die kriegspsychologischen Störgeräusche bereits seit Jahrzehnten unweigerlich zum Alltag auf der Insel gehören.
Keine gesichtswahrende Lösung
„Die USA sollten sich nicht von einer Diktatur bedrohen lassen“, kommentiert auch Fang Chen-Yu, Professor an der Soochow-Universität in Taipeh. Das potenzielle Risiko, welches der Besuch Pelosis darstellt, sei laut dem Politikwissenschaftler „gering“. Denn noch sei Chinas Militär nicht stark genug, den Inselstaat einzunehmen. Und die Drohungen, die Pekings Staatsführung regelmäßig gegen Taiwan ausspricht, würden ohnehin anhalten: „ob sie nun kommt oder nicht“.
Doch natürlich stellt sich die Frage, was Nancy Pelosi mit ihrer vorrangig symbolischen Reise nach Taiwan überhaupt bezwecken möchte. Es ist zumindest davon auszugehen, dass Pelosi zu gewissen Teilen auf „persönlich motivierter Mission“ unterwegs ist. Nur zwei Jahre nach der blutigen Niederschlagung der Studentenbewegung besuchte die US-Politikerin den Pekinger Tiananmen-Platz, um vor den Fernsehkameras ein Banner zu Ehren der verstorbenen Demonstranten zu hissen. 2009 hat sie sich vehement für die Freilassung des damals inhaftierten Dissidenten und späteren Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo eingesetzt, der schließlich hinter Gittern starb. Insofern ist ihr Taiwan-Besuch vor allem ein Zurschaustellen von Solidarität gegenüber dem demokratisch regierten Eiland. Substanzielle Zugeständnisse wird Pelosi hingegen nicht liefern können.
Doch die Gefahr besteht nun vor allem darin, dass beide Seiten nur schwer eine gesichtswahrende Lösung finden werden, um die Krise ohne eine weitere Eskalation zu beenden. Das gilt auch für Xi Jinping, der wenige Monate vor dem 20. Parteikongress in Peking seine größte politische Herausforderung meistern muss. Diese hat mit der stillstehenden Wirtschaft daheim zu tun: Die „Null Covid“-bedingten Lockdowns und anhaltende Immobilienkrise drohen die Volksrepublik mittelfristig in eine Rezession zu stürzen. Allzu bequem wäre es da, die Nationalismus-Karte zu spielen und einen externen Sündenbock auszumachen.
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