US-Podcast-Serie „Serial“: 21 Minuten, die süchtig machen
„Serial“ erzählt spannend und dramatisch die Story eines mysteriösen Mordes. Komisch, dass es das Format bisher noch nicht im Radio gegeben hat.
21 Minuten haben das Leben von Adnan Syed schlagartig verändert. Wegen dieser Minuten sitzt Syed seit 15 Jahren im Knast, seitdem er 17 Jahre alt ist. Er soll am 13. Januar 1999 seine Exfreundin, die High-School-Schülerin Hae Min Lee, umgebracht haben, erwürgt und vergraben in einem Park in Baltimore.
Das zumindest behauptete damals sein Freund Jay, als Lees Leiche sechs Wochen später gefunden wird. Andere Beweise gibt es nicht: keine DNA am Opfer oder am Tatort, kein wirkliches Motiv. Aber es gibt diese 21 Minuten, zwischen 14.15 Uhr und 14.36 Uhr am 13. Januar, in denen Lee umgebracht wurde. Syed sagt bis heute, er wisse nicht mehr, was in diesen Minuten passiert ist. Eine Lüge? Sitzt er unschuldig im Knast?
Die US-amerikanische Journalistin Sarah Koenig hat diese Geschichte entdeckt und erzählt sie in dem englischsprachigen Podcast „Serial“, den man über jede Podcast-App abonnieren kann. Das Konzept ist so einfach, dass es komisch ist, dass es das bisher im Radio nicht gegeben hat: Eine Staffel lang erzählen die Macherinnen eine nichtfiktionale Geschichte. Jede Folge steht unter einem bestimmten Aspekt und bringt neue Details hervor. Wie lang eine Staffel dauert, hängt von der Geschichte ab.
„Serial“ kombiniert Drama und Spannung der besten Fernsehsendungen, die Produktionsweisen professioneller Podcasts und ein Team von erfahrenen Podcastmacherinnen – dem Team von „This American Life“ (TAL). TAL ist einer der erfolgreichsten Podcasts in den USA. Wöchentlich laufen dort Reportagen, die teilweise mit Kurzgeschichten, Essays oder Interviews unterfüttert sind.
„Ich habe in Teenagerbeziehungen herumgewühlt“
Am 9. Oktober ging die erste Folge online, am Tag darauf erschien die zweite, und seitdem gibt es jeden Donnerstag früh eine neue, halbstündige. In den USA steht Serial seit knapp vier Wochen auf Platz 1 der iTunes-Charts – also schon lange bevor die erste Folge überhaupt gestartet war. Der New Yorker nennt die Produktion „den Podcast, auf den wir gewartet haben“.
Das liegt vor allem an Sarah Koenig. „Das gesamte letzte Jahr habe ich jeden Tag damit verbracht, herauszufinden, wo ein High-School-Kid während einer Stunde im Jahr 1990 war“, sagt Koenig zu Beginn der ersten Folge. „Ich habe in Teenagerbeziehungen und deren Sex- und Drogenleben rumgewühlt. Ich bin keine Detektivin, keine private Ermittlerin und keine Verbrechensreporterin.“ Sarah Koenig ist Journalistin. Seit zehn Jahren produziert sie TAL, vorher war sie Gerichtsreporterin bei der Baltimore Sun.
War er’s? Oder nicht?
Sehr ausgeruht und ohne übertriebenes Pathos erzählt sie, wie sie zu der Geschichte kam, wie sie recherchiert hat und welche Probleme und Zweifel ihr bei der Recherche kamen. Mit jeder Folge wird der Fall komplexer. Als Hörerin springt man ständig zwischen „Er war’s“ und „Er war’s nicht“ hin und her. So viel Spannung gab es selten im Radio.
Koenig hat mit vielen gesprochen: alten Freunde der beiden, Lehrern, Familien, Anwälten – und natürlich mit Adnan Syed. Die Telefonate mit ihm werden immer wieder von der Gefängnisleitung unterbrochen, weil Insassen nicht länger als 30 Minuten am Stück telefonieren dürfen.
Die Polizisten von damals verweigerten ihr das Interview. Allerdings hat sie die Originalaufnahmen der Verhöre von 1999 und die Gerichtsakten. In der zweiten Folge („The Break-Up“) liest sie lange Passagen aus dem Tagebuch der Ermordeten. In der dritten stapft sie durch den Park und sucht den Tatort. Jede Folge ist aufwendig produziert, Musik untermalt die Stimmung, die Cliffhänger haben „House of Cards“-Qualitäten.
Als das Team anfing, „Serial“ zu produzieren, wusste niemand, wie die Staffel enden würde. Eigentlich wüssten sie das immer noch nicht, hat die Chefproduzentin dem New Yorker erzählt. Aber immerhin sei sie jetzt sicher, mehr zu wissen als Syeds Verteidiger während des Prozesses.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren