UN-Vertreter zu Fatah-Hamas-Versöhnung: „Jetzt macht sich Pessimismus breit“
Die Übernahme der Verwaltung von Gaza durch die Fatah zieht sich hin. Die Desillusionierung unter jungen Menschen sei gefährlich, sagt der Chef des UN-Hilfswerks.
taz: Am Freitag sollte die Fatah eigentlich endgültig die Verwaltung im Gazastreifen von der Hamas übernehmen. Nun wurde der Termin um zehn Tage verschoben. Woran liegt das?
Matthias Schmale: Die Hamas hat einen großen Verwaltungsapparat, dessen Zukunft noch ungeklärt ist. Fatah scheint zunehmend auch auf die Entwaffnung der Hamas zu bestehen. Aber es ist naiv anzunehmen, dass das in naher Zukunft geschehen wird.
Hat sich die humanitäre Lage verbessert, seit die Übergabephase im Oktober begonnen hat?
Nein, im Prinzip hat sich für die Bevölkerung nichts verbessert – Gerade bei der Energieversorgung nicht. Die meisten Menschen haben nur vier Stunden am Tag Strom und hofften, dass die Fatah im Zuge der Einigung wieder die israelischen Stromlieferungen voll bezahlt. Das ist nicht passiert und so ist die Versorgungslage so schlecht wie zuvor. Nach dem Terroranschlag auf dem Sinai vergangene Woche bleibt auch der Grenzübergang zu Ägypten auf absehbare Zeit geschlossen. Von dessen Öffnung hatten sich die Menschen eine Verbesserung der Versorgungslage erhofft. Doch Gaza bleibt weiterhin blockiert.
Trotz des vereinbarten Übergabetermins führt die radikalislamische Hamas noch immer einen Großteil der Behörden. Wie reagieren die Menschen auf die Verzögerung?
Nach einem anfänglichen vorsichtigen Optimismus für den Einigungsprozess der politischen Strömungen macht sich jetzt ein wachsender Pessimismus breit. Und der ist gefährlich.
Inwiefern?
Die Menschen hier leben seit 2007 fast vollständig abgeriegelt. 90 Prozent der Kinder, die wir in unseren Schulen unterrichten, haben den Gazastreifen noch nie verlassen, aber drei Kriege erlebt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei mehr als 60 Prozent und es gibt keine Zukunftsperspektiven. Daher ist zu befürchten, dass sich irgendwann desillusionierte Jugendliche den noch radikaleren islamistischen Gruppen anschließen, die sich schon auf dem Sinai verbreitet haben. Davor hat auch Israel Angst.
55, leitet im Gazastreifen die Projekte des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Zuvor war er in Syrien und Libanon für die Organisation tätig.
Sie erwähnen Israel. Könnte eine Einigung zwischen Fatah und Hamas auch die palästinensischen Beziehungen zu Israel verbessern?
Die Blockade wird ja mit der Gefahr durch Angriffe aus Gaza begründet. Wenn die Palästinenser ihre inneren Konflikte beilegen, verbessert das vielleicht das Sicherheitsgefühl der Israelis und damit die Beziehungen zur palästinensischen Autonomiebehörde. Das könnte unsere Arbeit erleichtern, wenn Israel dann mehr Hilfsgüter nach Gaza lässt und mehr Palästinensern als jetzt erlaubt, den Gazastreifen zu verlassen. Die Auflösung der Blockade ist für alle hier das Wichtigste.
Dieses Interview entstand im Rahmen einer Recherchereise, die von der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen organisiert wurde.
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