UN-Missionen in Afrika: Ruhe in Frieden, UNO
Vor über 30 Jahren begann in Somalia die Ära der großen UN-Missionen in Afrika. Ihre Zeit ist längst vorbei. Aber niemand bemüht sich, sie abzuwickeln.
W as waren das noch für Zeiten, als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als oberstes Organ für Frieden in der Welt galt. Vor fast 31 Jahren, am 31. Januar 1992, trafen sich zum ersten Mal in der UN-Geschichte die Staats- und Regierungschefs aller Sicherheitsratsmitglieder in New York und verkündeten eine Zeitenwende – „a time of momentous change“, wie es in der Abschlusserklärung der Sitzung heißt.
„Die Beendigung des Kalten Krieges hat Hoffnungen auf eine sichere, gerechtere und menschliche Welt geweckt. […] Die Welt hat jetzt die beste Chance seit Gründung der Vereinten Nationen, internationalen Frieden und Sicherheit zu erreichen“, erklärten die Ratsmitglieder und stellten fest, „dass Frieden und Wohlstand unteilbar sind und dass dauerhafter Frieden und Sicherheit wirksame internationale Zusammenarbeit zur Ausrottung der Armut und der Förderung eines besseren Lebens für alle in Freiheit erfordern.“
Wenige Monate nach diesen bis heute aktuellen Formulierungen veröffentlichte UN-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali die „Agenda für den Frieden“, um daraus praktische Politik zu machen. Darin wurde das Konzept des „post-conflict peacebuilding“ entworfen: große UN-Friedensmissionen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau von Bürgerkriegsländern nach dem Ende eines Konflikts unter Aufsicht der Staatengemeinschaft.
Afrika wurde ab 1992 das Exerzierfeld für diesen Höhepunkt des internationalen Interventionsoptimismus. In Somalia, das seit dem Sturz des Diktators Siad Barre Anfang 1991 keine anerkannte Regierung mehr hatte und gleichzeitig in Bürgerkrieg und Hungersnot versunken war, lud sich die UNO selbst zur „humanitären“ Militärintervention ein, mit einer Blauhelmmission auf Wunsch nicht der lokalen Regierung – die gab es ja nicht –, sondern auf Wunsch des Sicherheitsrats und daher mit einem Mandat unter Kapitel VII der UN-Charta, das Blauhelmsoldaten zur Gewaltanwendung ermächtigt.
Debatten, die heute seltsam erscheinen
Die heftigen Debatten jener Zeit über „robustes“ Eingreifen und auch, ob eine deutsche Bundesregierung wirklich deutsche Soldaten zum Schießen einsetzen darf, muten heute seltsam antiquiert an. Umgekehrt wäre es heute völlig undenkbar, dass die UNO in einem Land ohne Billigung durch die dortigen Machthaber eingreift.
Bis heute ist Afrika der einzige Kontinent mit großen UN-Blauhelmmissionen auf dem Papier den Konzepten von 1992 treu geblieben. 18.278 Missionsangehörige – Militär- und Zivilpersonal – hat laut UN-Zählung die ursprünglich 1999 gegründete UN-Mission Monusco in der Demokratischen Republik Kongo. 17.954 zählt die 2011 etablierte UNMISS in Südsudan, 17.557 die 2013 stationierte Minusma in Mali, 16.327 die seit 2014 bestehende Minusca in der Zentralafrikanischen Republik.
Die Mandate dieser Missionen sind im Laufe der Jahre ständig gewachsen, aus „Peacekeeping“ wurde „Stabilisierung“, die regelmäßigen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats sind wahre Reformkataloge der jeweiligen Innenpolitik. Aber die Überdehnung auf dem Papier geht einher mit einer Schwächung in der Realität.
Wenn aktuell eine Pufferzone zwischen Armee und Rebellen in der Demokratischen Republik Kongo eingerichtet wird, tun das nicht die UN-Blauhelme, obwohl Tausende davon in der gleichen Gegend unterwegs sind, sondern Eingreiftruppen der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC). Wenn Milizen in Südsudan die Zivilbevölkerung vertreiben, äußert die UN-Mission „tiefe Sorge“ und empfiehlt das Engagement junger Menschen für den Frieden, aber sie hütet sich einzugreifen.
Peacekeeping als lukrative Industrie
In der Zentralafrikanischen Republik sind nicht die UN-Blauhelme, sondern Söldner aus Russland die aktivsten Interventionskräfte, und während deren Terror gegen die Zivilbevölkerung zunimmt, nennt die UN-Mission in ihren Berichten die Wagner-Söldnerarmee nicht einmal beim Namen. In Mali bleibt die UNO sogar passiv, wenn Malis Militärjustiz Soldaten aus der Elfenbeinküste, die im Auftrag des deutschen UN-Kontingents einfliegen, wegen „Terrorismus“ zum Tode verurteilt – die Ivorer sind mittlerweile wieder frei, aber nicht durch UN-Bemühungen.
Keine dieser UN-Missionen würde man heute auf die Beine stellen, wenn es sie nicht schon gäbe. In allen vier Ländern trommeln die Machthaber gegen die UN-Präsenz und empfinden die detaillierten Vorgaben aus New York als unzulässige Beschneidung ihrer Souveränität. Sie wenden sich neuen verlockenden Partnern wie Russland zu, die militärisches Handeln ohne Völkerrecht anbieten, viel einfacher und praktischer.
Afrikas neues Selbstbewusstsein im 21. Jahrhundert ist der Treiber dieser Entwicklung, aber das Debakel war bereits in Somalia 1992 angelegt. Da niemand vor Ort die Blauhelme eingeladen hatte, bat die UNO US-Präsident Bill Clinton, den Boden freizukämpfen. Die US-Marines in Mogadischu machten den „humanitären“ Einsatz zum Kampfeinsatz und die UN-Mission in der somalischen Wahrnehmung zum verlängerten Arm einer US-Invasion.
Nach Hunderten Toten und schweren Kämpfen war 1995 alles wieder vorbei. Zwischenzeitlich hatten UN-Blauhelme auch beim Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994 komplett versagt und waren abgezogen, statt gegen die Massaker vor ihrer Nase einzugreifen.
Immerhin ging das Beenden einer UN-Mission damals schnell. Heute ist das Peacekeeping eine lukrative Industrie geworden, in der Zehntausende internationale Experten Geld und Karriere machen und über die viele afrikanische und asiatische Länder ihre Armeen finanzieren. Die UN-Missionen sind zum Selbstzweck geworden. Ihr Scheitern ist ihre Überlebensgarantie: Je unwichtiger sie in der Realität sind, desto weniger stören sie und desto unbekümmerter können sie weitermachen. Niemand bemüht sich, sie abzuwickeln. Aber ihre Zeit ist vorbei.
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