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UN-Hilfskoordinator über Idlib-Einsatz„Wir hätten gern mehr Zugänge“

Die UN würden mit Syriens Machthaber Assad kooperieren, um Hilfe nach Idlib zu bringen. Doch die Konfliktparteien müssten mitmachen, sagt UN-Koordinator Mark Cutts.

Grenzübergang Bab al-Hawa zwischen der Türkei und Nordwestsyrien Foto: Mahmoud Hassano/reuters
Julia Neumann
Interview von Julia Neumann

taz: Herr Cutts, wie wird den etwa 4 Millionen Menschen in Nordwestsyrien geholfen, sollte Bab al-Hawa geschlossen werden?

Mark Cutts: Zunächst hoffen wir, dass es nicht dazu kommt, denn das wäre eine Katastrophe. Viele Menschen wohnen in Lagern in der Nähe der türkischen Grenze. Bab al-Hawa ist der sicherste Weg, sie zu erreichen. Wenn der Sicherheitsrat die Vereinten Nationen (UN) nicht autorisiert, diese Hilfsoperation fortzusetzen, werden die Menschen sterben. Wir haben zwar einige Vorräte, die reichen aber nur für zwei oder drei Monate. Einige Organisationen könnten auch ohne UN-Resolution weiterhin Hilfe aus der Türkei schicken, aber mehr als 70 Prozent der Lebensmittel, die nach Nordwestsyrien kommen, werden von den UN bereitgestellt.

Wäre es eine Lösung, die Güter an lokale NGOs zu geben, die direkt mit den lokalen Behörden verhandeln?

Es gibt viele verschiedene humanitäre Akteure, neben UN-Organisationen auch türkische, syrische und internationale NGOs. Aber die UN koordinieren die Hilfslieferungen. Wir verfügen über einen sehr ausgeklügelten Überwachungsmechanismus, um sicherzustellen, dass die Hilfe nicht in die Hände bewaffneter Gruppen gelangt. Wir überwachen und inspizieren jeden einzelnen Lastwagen mit UN-Hilfe, der die Grenze nach Nordwestsyrien überquert. Viele der Geber geben den verschiedenen Organisationen nur Geld, weil sie wissen, dass die UN die Hilfsaktion gründlich überwacht. Wenn wir diese Aktivitäten einstellen, ist es wahrscheinlich, dass viele der Geber ihre Mittel reduzieren.

Bild: privat
Im Interview: Mark Cutts

ist stellvertretender UN-Regionalkoordinator für humanitäre Hilfe in Syrien. Er hat für UN-Organisationen wie OCHA und UNHCR sowie für verschiedene NGOs gearbeitet.

Ist Hilfe über Damaskus und dann über die Frontlinie, sogenannte Cross-Line-Hilfe, eine Alternative?

Es geht nicht darum, entweder grenzüberschreitend oder cross-line zu helfen. Wir würden gerne mehr Zugänge sehen. Doch die Erfahrung in den letzten 10 Jahren zeigt, dass es in einem aktiven Kriegsgebiet sehr schwierig ist, cross-line zu arbeiten. Nordwestsyrien ist immer noch ein aktives Kriegsgebiet, mit Beschuss und Luftangriffen im letzten Jahr und einer Eskalation im letzten Monat. Trotz intensiver Verhandlungen in den letzten 18 Monaten ist es uns nicht gelungen, einen einzigen Lastwagen mit humanitärer Hilfe aus den von der Regierung kontrollierten Gebieten nach Nordwestsyrien zu bringen.

Warum ist es ein Problem für die UN, mit Syriens Regime zusammenzuarbeiten, um Hilfe in andere Landesteile zu bringen?

Die UN haben kein Problem. Die UN sind bereit, Konvois von Regierungsseite nach Nordwestsyrien zu entsenden. Aber die Konvois können die Frontlinie nur passieren, wenn die Parteien, die das Territorium kontrollieren – die Regierung und eine Reihe bewaffneter Gruppen – zustimmen. Die Konfliktparteien konnten keine Einigung darüber erzielen, welche Routen zu benutzen sind, wer die Güter erhält oder wer sie verteilt und wie die Sicherheit der Lastwagen gewährleistet wird.

Was sagen Sie zu der Ansicht des syrischen Außenministers, UN-Hilfe helfe Terrorgruppen?

Wir wissen, wohin die Hilfe fließt, weil wir einen sehr gründlichen Überwachungsprozess haben. Wenn sie nicht wollen, dass Hilfe umgeleitet wird, sollten sie den rechenschaftspflichtigen UN-Mechanismus nicht abbauen. Ein weiterer Punkt ist: Die syrische Regierung hat Zivilisten in diesem Gebiet oft als Terroristen bezeichnet. Tatsächlich sind mehr als 80 Prozent der Zivilbevölkerung Frauen, Kinder und ältere Menschen. Auf jeden Kämpfer in der Gegend kommen wahrscheinlich 100 Zivilisten. Die UN sind da, um eine sehr gefährdete Bevölkerung zu unterstützen. Wir brauchen mehr Zugang, mehr Finanzmittel und mehr Wille, um Zivilisten zu schützen.

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