Twitter warnt vor Trump-Tweet: Halbe Courage
Donald Trump dient Twitter als wichtigster Lieferant von Aufmerksamkeit. Der „Faktencheck“ des Kurznachrichtendienstes ist daher ein Risiko.
![Demonstranten halten ein Plakat mit einem verfremdeten Twitter-Symbol Demonstranten halten ein Plakat mit einem verfremdeten Twitter-Symbol](https://taz.de/picture/4171413/14/TRump-Twitter-1.jpeg)
Donald Trump und Twitter sind Arsch und Eimer der sozialen Medien. Jeder Tweet des US-Präsidenten simuliert Regierungstätigkeit per Verlautbarung und erreicht (zumindest theoretisch) mehr als 80 Millionen Menschen, ungefiltert und ungeprüft. Dafür findet sich wiederum Twitter, das kleinste der großen Netzwerke, regelmäßig journalistisch zitiert.
Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in Nachrichtensendungen und Zeitungen davon berichtet wird, was Trump „auf dem Kurznachrichtendienst Twitter“ erklärt hat. Diese beiläufige Promo für beide Seiten ist eine klassische Win-win-Situation, wenn nicht gar eine Beziehung mit symbiotischem Charakter. Seit Dienstag hat diese Beziehung nun immerhin einen Knacks. Eine gewohnt realitätsverzerrende Behauptung Trumps über angeblichen Betrug bei Briefwahlen in den USA wurde nämlich von Twitter mit einem Link zu seriös recherchierten Fakten ergänzt. Auf diese erstmalige öffentliche Brüskierung des Präsidenten durch das Netzwerk hin lamentierte dieser wiederum, ebenfalls auf Twitter, von einem Angriff auf die Redefreiheit.
Tatsächlich überrascht der wenn auch behutsame Eingriff seitens Twitter ein wenig. Zumindest auf den ersten Blick ist eine Maßregelung eines der weltweit 10 followerstärksten Accounts, noch dazu dieses sehr speziellen, nämlich nicht ohne Risiko. Was, wenn Trump Twitter verlässt?
Die Aufmerksamkeit, die Trump, wie auch andere reichweitenstarke Accounts, mit seiner permanenten Selbstdarstellung für das Netzwerk erzeugt, hat ökonomische Implikationen. Die sind nicht ohne Weiteres bezifferbar, Vermutungen lassen sich dennoch anstellen. Twitter kämpft seit etwa fünf Jahren mit stagnierenden Nutzer*innenzahlen. In der von Ideologemen aus dem radikallibertären Kehricht des Silicon Valley geprägten digitalen Ökonomie aber gilt aggressive Expansion zum Zwecke der Marktbeherrschung alles. Wer nicht wächst, ist draußen.
Das nützliche hässliche Gesicht
Die Twitter-Aktie entwickelt sich seit 2013 im Vergleich zu anderen Techunternehmen eher unbefriedigend. Nicht etwa deshalb, weil über Jahre keine bedeutenden Gewinne eingefahren wurden, sondern weil die Marktdominanz für das Netzwerk mit gut 300 Millionen Nutzer*innen und den geringen Zuwächsen keine realistische Geschäftsperspektive zu sein scheint.
Immerhin verzeichnete Twitter 2018 und 2019 finanziell einigermaßen solide Jahresergebnisse. Das kann aber nur so bleiben, wenn Twitter für Werbetreibende als lohnende Plattform wahrgenommen wird. Dafür ist Trump ein nicht unbedingt schönes, aber kaum zu ignorierendes und deshalb wertvolles Marketinggesicht.
Und dieses Gesicht wiegt, zumindest bisher, einige andere Probleme des Netzwerks offenbar auf. Zum Beispiel die ständige Kritik wegen des viel zu laxen Umgangs mit Hassrede, inklusive drohender gesetzlicher Regulierungen. Würden Desinformation, Rassismus, Sexismus und Bedrohungen ernsthaft von Twitter angegangen, müsste Trumps Account schon lange dauerhaft gesperrt sein.
Das Problem ist jedoch nicht allein eines der sozialen Netzwerke. Schließlich sind auch klassische Medien in der Ökonomie der Aufmerksamkeit gefangen und berichten regelmäßig über die neuesten Ausfälle auf Twitter. Gerne wird dann journalistisch distanziert erklärt, der Präsident habe „behauptet“, Kritiker*innen „führten dagegen an“, dass es anders „sei“. Als gäbe es nicht meistens halbwegs objektive Fakten, die sich Trumps offensichtlichen Verzerrungen und Lügen gegenüberstellen ließen.
Wahrheits-Sandwich
Der Journalismusexperte Jay Rosen schlägt als Lösung für das Dilemma zwischen der Verpflichtung zu journalistischer Objektivität und Wahrhaftigkeit ein „Truth-Sandwich“ vor. Berichterstattung, vor allem Überschriften und Anteaserung sollten nach dem Prinzip „Fakt – Lüge – Fakt“ konstruiert werden, um die Amplifizierung der Lüge zu verringern.
Twitter, selber nicht einmal an journalistische Standards gebunden, hat es jetzt also immerhin einmal mit „Lüge – Link zum Fakt“ versucht. Ob es hilft, wer weiß. Zumindest haben wir wieder etwas zu berichten über den Präsidenten und das Netzwerk. Und vielleicht wird demnächst sogar klarer, wer Arsch ist und wer Eimer in der Symbiose zwischen Twitter und Trump.
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