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Türkischer Präsident im ARD-Interview„Das Volk will die Todesstrafe“

Bei der Diskussion um die Wiedereinführung der Todesstrafe beruft sich Erdogan auf den Willen der Bevölkerung. Der EU wirft er Wortbruch vor.

Erdogan: „Wenn wir uns in einem demokratischen Rechtsstaat befinden, hat das Volk das Sagen“ Foto: reuters

Berlin/Istanbul dpa | Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat eine mögliche Wiedereinführung der Todesstrafe infolge des Putschversuches mit dem Volkswillen begründet. „Wenn wir uns in einem demokratischen Rechtsstaat befinden, hat das Volk das Sagen. Und das Volk, was sagt es heute? Sie wollen, dass die Todesstrafe wieder eingeführt wird“, sagte er in einem am Montagabend ausgestrahlten ARD-Interview. Die Regierenden dürften nicht einfach sagen, dass interessiere sie nicht.

Schon gleich nach dem Umsturzversuch am 15. und 16. Juli hatte Erdogan angekündigt, der Wiedereinführung der Todesstrafe zuzustimmen, sollte das Parlament eine solche Verfassungsänderung beschließen. Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin meinte vergangenen Donnerstag, er hielte die Hinrichtung der Putschisten für „eine faire Strafe“.

Zu möglichen negativen Folgen für die Türkei in ihrem Verhältnis zur EU sagte Erdogan: „Nur in Europa gibt es keine Todesstrafe. Ansonsten gibt es sie fast überall.“ EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte Erdogan zuvor erneut gewarnt, die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union würden sofort gestoppt, falls die Türkei die Todesstrafe wieder einführe.

Erdogan warf der EU vor, sie habe in der Flüchtlingspolitik ihr Wort gebrochen und Vereinbarungen gegenüber der Türkei nicht eingehalten. „Die europäischen Regierenden sind nicht aufrichtig“, sagte der islamisch-konservative Politiker in dem ARD-Interview. So habe die EU der Türkei drei Milliarden Euro für die Versorgung von Flüchtlingen zugesagt. Bisher seien jedoch nur symbolische Summen eingetroffen. Konkret sprach er von ein bis zwei Millionen Euro.

Flüchtlingspakt mit der EU

Im Zentrum des EU-Flüchtlingspaktes mit der Türkei steht ein Tauschhandel. Die EU schickt Flüchtlinge und andere Migranten, die seit dem 20. März illegal in Griechenland eingereist sind, zurück in die Türkei. Für jeden zurückgeschickten syrischen Flüchtling darf seit dem 4. April ein anderer Syrer aus der Türkei legal und direkt in die EU einreisen.

Erdogan sagte: „Wir stehen zu unserem Versprechen. Aber haben die Europäer ihr Versprechen gehalten?“ Erneut forderte er die versprochene Visa-Freiheit für Türken, die in die EU reisen wollen. Dies sei bisher nicht geschehen.

Die Visumpflicht für türkische Staatsbürger sollte ursprünglich ab Juli aufgehoben werden. Dieser Termin hat sich aber verschoben, weil die Türkei noch nicht alle 72 Bedingungen erfüllt hat, darunter die Reform der türkischen Anti-Terror-Gesetze.

Festnahmewelle erfasst auch Journalisten

Unterdessen erfasste die Festnahmewelle in der Türkei auch Journalisten. Die Staatsanwaltschaft ordnete die Festnahme von 42 Journalisten an, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, die Ermittlungen richteten sich gegen Medien aus dem Netzwerk des Predigers Fethullah Gülen. Die Regierung macht Gülen für den Putschversuch verantwortlich.

Zur Dauer des seit Donnerstag geltenden Ausnahmezustandes sagte Erdogan in der ARD: „Wir müssen sehen, wie sich die Situation entwickelt.“ Wenn sich die Lage normalisiere, könne es bei drei Monaten bleiben.

Ministerpräsident Binali Yildirim kündigte an, seine AKP werde gemeinsam mit anderen Parteien an begrenzten Verfassungsänderungen arbeiten, zu denen er sich nicht konkret äußerte. Ein Treffen auf Einladung Erdogans mit den Chefs der Oppositionsparteien CHP und MHP am Montag habe gezeigt, dass die notwendigen Gemeinsamkeiten dafür vorhanden seien. Auch die pro-kurdische HDP – die nicht zu dem Treffen eingeladen war – könne sich beteiligen. Ziel sei weiterhin, eine ganz neue Verfassung gemeinsam mit den anderen Parteien zu entwerfen.

Seit dem Putschversuch sind nach offiziellen Angaben mehr als 13 000 Verdächtige festgenommen worden, knapp 6000 davon sitzen in Untersuchungshaft. Nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu wurden mehr als 45 000 Staatsbedienstete suspendiert. Die Maßnahmen haben international Kritik ausgelöst.

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33 Kommentare

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  • Ein raffinierter politischer Schachzug: "das Volk will". Nachdem man das Volk erstmal um alle Kritiker gestutzt hat und dem Rest Angst macht, stellt sich bestimmt keiner hin und sagt: I'm not!

    Somit hat er die Zustimmung per Angst sicher. Natürlich gibt es keine "Umfrage" - dieses Statement wagt einfach keiner zu kritisieren, das reicht!

    So was in der Richtung war klar, dass es kommt.

    Als nächstes konstruiert er einen Wortbruch der Europäer, kassiert vielleicht noch etwas Geld und dann lässt er die Flüchtlinge los. Wird nicht lustig, denn als nächstes lässt er Europa dann als böse dastehen, weil sie sich nicht um die Flüchtlinge kümmern - was er ja lange gemacht hat. Europas Politiker können sie eigentlich nur noch abprallen lassen nach den jüngsten Anschlägen, und dann haben wir die humanitäre Katastrophe.

    Rdo braucht keinen Krieg, um die EU zu schwächen: er hat Flüchtie-Munition. Die machen das von ganz alleine.

    Sein Langzeitziel: die Türkei wirtschaftlich stärker zu machen als die EU. Und mit den menschlichen Schutzschilden kann er das schaffen.

    Rdo ist ein äusserst gefährlicher Geselle und die Welt kann erst aufatmen, wenn er sie verlässt...

  • Nee,

    das Volk will den Sturz des Regimes:

    “Alshaab yurid isqat alnizam"

     

    das Volk ist auch scheiße, also:

    “Alshaab yurid thaura jeudid"

    Wir wollen eine neue Revolution!

  • 6G
    628 (Profil gelöscht)

    Es ist schon imposant zu sehen, wie weite Teile der türkischen Gesellschaft zu blinden Handlangern der zerstörerischen Ideen eines soziopathisch veranlagten Präsidenten werden. Das zeigt recht gut, wie viel Wahnsinn in der Menschheit schlummert.

    • @628 (Profil gelöscht):

      Ihnen ist hoffentlich klar, dass sie es da mit Erdogans AKP-Propagandamaschine zu tun haben, die bereits bis weit in unsere Wohnzimmer reicht. Das ist allerdings nur das Bild vom türkischen Volk, wie Erdogan es gerne hätte und wie auch der Westen es schon immer bevorzugt gesehen hat.

  • 8G
    86548 (Profil gelöscht)

    Demokratie ist mehr als freie und geheime Wahlen. Zur Demokratie gehören unveräußerbare Menschenrechte, eine freiheitliche Grundordnung und eine pluralistische Gesellschaften, in der auch Minderheiten geachtet werden. Erdogan will nur die Wahlen.

    • @86548 (Profil gelöscht):

      Welches Land kennen Sie, das dieses von Ihnen skizzierte Demokratie realisiert?

  • „Nur in Europa gibt es keine Todesstrafe. Ansonsten gibt es sie fast überall.“

     

    Da braucht man sich auch nicht mehr fragen, warum Herr Erdogan glaubt, das ganze Volk stünde hinter ihm, wenn er diese Gemengelage als fast überall bezeichnet.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Todesstrafe#/

    • @Hynce:

      Mit dem Lissabon Vertrag 2009, Artikel 2 Absatz 2 EMRK: kann jedes EU-Land die Anwendung von Todesstrafe rechtfertigen, stimmen die Bedingungen ...

      • @Clownsfisch:

        Das ist natürlich Unfug, oder haben Sie da vielleicht eine belastbare Quelle?

  • „Das Volk will die Todesstrafe“

     

    Für Erdogan

  • Recep Tayyip Erdogan verwechselt das türkische Volk mit einem Teil seiner eigenen Wähler. Dass es sich dabei um ein Versehen handelt, glaube ich nicht.

     

    Der angebliche "Volkswille" interessiert den türkische Staatspräsidenten nur so lange, wie er seinem eigenen entspricht. Noch braucht er "das Volk" und muss den Schein wahren. Das fällt ihm leicht, weil seine Anhänger gerade sehr enttäuscht sind von den "europäischen Regierenden", ihren Wählern und überhaupt allen, die angeblich immer schon etwas zu sagen hatten im Gegensatz zu ihnen. Von Erdogan versprechen sie sich nun Satisfaktion. In ihrer Emotionalität erkennen sie nur den Teil der Realität, den sie erkennen wollen und auf den ihr Führer ihre Aufmerksamkeit lenkt. Dass sie in seinen Zukunftsplänen genau so wenig eine Rolle spielen, wie jene "kluge gebildete Mittel&Oberschicht", die LOWANDORDER zu erkennen meint und die Herr Erdogan schon nicht mehr zu braucht, realisieren sie ganz einfach nicht.

     

    Irgendwann werden sie sehr unsanft erwachen aus ihren Machtfantasien, die Anhänger des Sultans, der jetzt angeblich (noch) auf sie hört. Und dann wird's wieder gar niemand gewesen sein. Die Mittel- und die Oberschichten werden sagen, dass sie gar nicht dabei gewesen sind, und die darunter werden was von der "Magie" erzählen, die es angeblich gab. In Deutschland hat es auch so angefangen. Es ist bis heute nicht vorbei. Auch hier haben all die, die 1932 an der Macht gewesen sind, nach 1945 nahtlos angeschlossen an ihre alte Ideologie. Sie hatten ja nur deshalb nicht die Macht, es mit "Zauberer" Hitler aufzunehmen, weil irgend so ein blödes "Volk" partout nicht mehr auf sie vertrauen wollte.

     

    Übrigens: Auch in Frankreich wollte man erst einmal "sehen, wie sich die Situation entwickelt." Leider hat sich "die Lage" bisher nicht "normalisier[t]". Wahrscheinlich wird sie das auch nicht mehr tun. Schon gar nicht, wenn es zu Verfassungsänderungen kommt, die den Bestand stabilisieren sollen.

    • @mowgli:

      "Recep Tayyip Erdogan verwechselt das türkische Volk mit einem Teil seiner eigenen Wähler."

      Sehe ich auch so. Sicherlich wird eine rechtsstaatliche Demokratie auch immer auf eine Mehrheitsfindung angewiesen sein, keine Frage. Aber diese Möglichkeit einer Demokratie findet immer dort seine Grenzen wenn es um unveräußerliche Menschenrechte geht. Und wenn die Mehrheit des türkischen Volkes zehn mal nach der Todesstrafe schreit, demokratisch legitimiert ist sie deshalb noch lange nicht.

  • Ich glaube, Herr Erdogan versteht überhaupt nicht was Demokratie eigentlich ist. Eines ist sie jedenfalls ganz sicher nicht, eine bloße Mehrheitsfindung der sich die Minderheit einfach unterordnen muss. Eine rechtsstaatliche Demokratie basiert zunächst einmal in aller erster Linie auf wesentliche Grund- sowie Menschenrechten. Und erst wenn diese Rechte garantiert sind, kann man sich daran machen eine Demokratie aufzubauen und nicht umgekehrt wie Herr Erdogan dies vorhat.

    Hitler wurde 1933 auch demokratisch gewählt und durch die Ermächtigungsgesetze des Deutschen Reichtstages "demokratisch" mit enormer Machtfülle ausgestattet. Und dennoch hat das was dann folgte rein gar nichts mit rechtsstaatlicher Demokratie zu tun.

    • @aLuckyGuy:

      Ich glaube, Sie unterschätzen Erdogan. Der Mann weiß ganz genau, "was Demokratie eigentlich ist" - und dass er sie nicht will. Nur sagt er das im Augenblick noch nicht. Er wäre auch schön blöd. Sie dämlich, wie "die Deutschen" 1933 waren, sind "die Türken" anno 2016 nämlich nicht. Sie wissen, was eine Diktatur bedeuten kann. Sie haben schließlich schon mal was von Deutschland und von Hitler gehört und davon, wie die Sache '45 ausgegangen ist.

    • @aLuckyGuy:

      Hitler konnte allerdings nicht so schön präsidial daher kommen ... somit hat man ihm schon zu Lebzeiten den Demokraten nicht abgenommen und hat dieses Pferd auch nicht geritten.

  • Frage mich woher Erdogan weiß, dass das türkische Volk (mehrheitlich) die Todesstragfe zurück haben will.Gab es eine Umfrage, Volksabstimmung oder etwas Vergleichbares?

    Mir kommt es so vor, als ob hauptsächlich E. das möchte und dies bei jeder sich bietenden Gelegenheit kund tut.

  • Ich glaube, bei einem gewissen "Maximilien de Robespierre" fing das auch mal so an... wer weiss noch, wie es endete?

    • @cursed with a brain:

      Echt jetzt? Es "endete"? Da hab ich offensichtlich was verpasst...!

      • @mowgli:

        Ach, Robespierre lebt also noch?

  • einerseits das interssengefälle konservativ-muslimisch versus kemalitisch-laizistisch im inneren.

    und freiheitlich-demokratisch versus autokratisch.

     

    wo findet sich da eine ebene für ein offenes gespräch ?

    • @adagiobarber:

      So eine Ebene hat es früher mal gegeben. Ist ziemlich lange her. Inzwischen sind "Gespräche" nicht mehr aktuell, scheint mir. Inzwischen sprechen eher "harte Fakten". und wer die Fakten schaffen kann, der hat (vorerst) gewonnen.

  • warum bietet die von mir finanzierte ARD solchen Menschen ein Podium? Reicht es nicht, dass die türkische Regierung via soziale Medien die hiesigen Deutsch-Türken aufstachelt?

  • Wieviele deutsche Türken haben diesen man gewählt?

    • @Justin Teim:

      Soll das ein perfider Versuch sein hier jetzt Stimmung gegen"deutsche Türken" zu machen?

      Wieviele deutsche Kartoffeln wählen A****löcher wie Seehofer und Konsorten?

      • 8G
        86548 (Profil gelöscht)
        @Neinjetztnicht:

        In der Türkei kämen Sie jetzt wegen Majestätsbeleidigung ins Gefängnis.

        • @86548 (Profil gelöscht):

          Na, das hätte ich dann aber auch echt verdient. Geht ja auch nicht sowas...

      • @Neinjetztnicht:

        Ihr Demokratie Verständnis scheint unterentwickelt zu sein.

         

        Sie wollen Seehofer mit Erdogan auf eine Stufe stellen?

         

        Die Türken hier zu Lande haben einen Faschisten mehrheitlich gewählt und das finde ich schei...!

        • @Justin Teim:

          Vielen Dank für die Diagnose... die hab ich mir auch schon ausgestellt.

           

          Und klar, das knapp 60% diesen Verrückten gewählt haben ist mies, Ihr Kommentar impliziert aber eine Pauschalisierung aller Türken... und das finde ich genauso mies.

           

          Und zu Seehofer: gib dem Affen Macht und wir sehen was er macht. Ich wette er und Erdi würden sich ganz hervorragend verstehen.

  • The Show must go on!

    Sultan Tayyip I. - kann doch erzählen was er will - alles negligable! &

    Das - weiß vor allem er selbst!

    EU¿ - mach Witze!

    Soviel Kreide gibt es doch weltweit nicht - wie er fressen könnte - &

    Türkei - bliebe dennoch draußen!

    Alles - seins wie Angie Jean-Claude et al. - reine Kulissenschieberei! &

    Das - eben nicht erst seit gestern!

    Was auf der Strecke bleibt - darin hat Ömer Erzeren a taz recht - ist die außerhalb der Türkei nur sehr bedingt sichtbare kluge gebildete Mittel&Oberschicht!

    Darin liegt das Versagen der EUis & der übrigen Politikaster & das wird ihnen wie auch diesem machtgeilen underdogHohlkopf noch auf die Füße fallen!

    kurz - Die Zeche zahlen die anderen!

    • @Lowandorder:

      Die Marginalisierung der eigenen Gegner via Wahrnehmungssteuerung gehört zum Basishandwerkszeug jedes Despoten. Vielleicht sollte die taz einfach nicht mitspielen, und neben jeden Artikel, den sie über Erdogan abdruckt, einen über jene "kluge gebildete Mittel&Oberschicht" setzen (lassen), die es angeblich auch noch gibt und die gerade meint, sie könnte überhaupt nichts tun dagegen, dass sie marginalisiert wird, weil kaum jemand sie noch unterstützt.

  • Ist es nicht so, dass Erdogan sich nach dem Lissabon Vertrag 2009, Artikel 2 Absatz 2 EMRK: auf die Anwendung von Todesstrafe berufen könnte? ...

    • @Clownsfisch:

      Kurz und knapp: Nein.