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Tübinger VerpackungssteuerEine Steuer allein reicht nicht aus

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Verpackungssteuer in Tübingen könnte Muster werden für andere Kommunen. Was noch fehlt, sind nutzbare Mehrwegsysteme und Pfand auf Behälter.

Leider ist Einweg viel zu bequem Foto: imago

E ndlich herrscht Rechtssicherheit. Drei Jahre nach Einführung der Tübinger Verpackungssteuer hat das Bundesverfassungsgericht grünes Licht gegeben. Es spreche rechtlich nichts gegen die Einführung der kommunalen Steuer auf Einwegverpackungen für Take-away-Speisen und -Getränke. Der Pioniergeist und die Hartnäckigkeit des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer hat sich wieder einmal durchgesetzt.

Wie sich die Zeiten ändern. In den 1990er-Jahren war Kassel Vorreiter mit einer kommunalen Verpackungssteuer. Doch 1998 wurde die fortschrittliche Kommune ausgerechnet vom Bundesverfassungsgericht gestoppt. Eine kommunale Steuer auf Einwegverpackungen verstoße gegen das bundesweite Abfallrecht, das derartiges nicht vorsehe, ja geradezu ausschließe. Eine Entscheidung, die damals sehr kontrovers diskutiert wurde.

Palmer setzte darauf, dass Karlsruhe rund 25 Jahre später anders entscheiden wird, und er behielt Recht. Zum einen liegt das natürlich am Bundesrecht, das sich weiterentwickelt hat, auch wenn es immer noch keine bundesweite Verpackungssteuer vorsieht. Zum anderen hat sich aber auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem grundlegenden Beschluss zum Staatsziel Klimaschutz 2021 selbst in die Pflicht genommen. Es hätte sich lächerlich gemacht, wenn es erneut Widersprüche zwischen Bundes- und Kommunalrecht konstruiert hätte.

Nun werden vermutlich viele Kommunen dem Tübinger Beispiel folgen. Das wird ihnen zunächst einmal Einnahmen bringen. Tübingen rechnet mit rund 700.000 Euro pro Jahr. Das eigentliche Ziel, dass Ver­brau­che­r:in­nen massenhaft von Einweg auf Mehrweg umsteigen, wird aber mit einer Steuer nicht automatisch erreicht. Schließlich ist Einweg viel zu bequem.

Es sollte bald einheitlich nutzbare Mehrwegsysteme für Getränke und Take-away-Speisen geben, statt Insellösungen für jede Gaststätte und jede Imbisskette. Und die Behältnisse müssen an vielen Stellen gegen Pfand zurückgegeben werden können, damit man sie nicht ständig mit sich herumtragen muss. Erst dann hat Mehrweg im Alltag eine Chance.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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13 Kommentare

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  • Es gibt schon seit Jahren die Recup-Becher. Die kann man bei allen teilnehmenden Lokalen abgeben und kriegt einen "Neuen" bzw. "Reused" Becher.



    Ich persönlich nehme mir Gefrierbehälter mit, wenn ich essen gehe.



    Das ist kein großer Aufwand und hochwertige Lebensmittel sind zu schade, um sie in den Biomüll zu werfen.



    Bei Fast-Food dürfte man damit aber (!) auf Widerstand stoßen.



    Eigene Thermo-Becher dürfen auch die Betriebe mit dem Recup-Becher-System nicht befüllen - wegen Hygienevorschriften. Da hilft dann nur ein Recup-Becher, den man dann selber umfüllt...



    So viel zum Thema "Nachhaltigkeit"...

  • Nun, diese Steuer wird ja von den Fast Food Buden an die Kunden durchgereicht. Und wenn der Kunde das akzeptiert, wo ist das Problem? Wenn dem Kunden die Bequemlichkeit ein/zwei Euro wert ist, sehe ich als völlig unproblematisch an.



    Und sind wir ehrlich: Mehrweg.... wie soll das im Fast Food Bereich aussehen, wo jeder sein Zeugs ja mitnehmen will ins Auto, zum Schreibtisch, zur Parkbank? Zurückbringen, spülen/hygienisieren, trocknen, neu verteilen.... dann scheint der ganze ökologische Vorteil dahin. Und eines ist auch klar: Solange wir noch frisch geförderte fossile Energieträger in Kraftwerken nutzen ist Abfall der bessere Brennstoff, immerhin hat der schon vorher eine Funktion erfüllt.

    • @Tom Farmer:

      Fast Food ist ein umkämpfter Markt. Sollten sämtliche Bundesländer dem Beispiel Tübingens folgen, würde zumindest bei den großen Fast Food Ketten ein umdenken in der Art stattfinden die Verpackungskosten zu reduzieren. Das Ergebnis könnte sein, dass weniger Kartons und mehr Papierverpackungen zum Einsatz kommen. Das wäre immerhin ein erster Schritt zur Reduzierung von Verpackungsmaterial und Müllvermeidung.

  • Die Pfandsysteme müssten dann nur noch angenommen werden.



    Es gibt so viele, die in den Ketten Mehrweg ablehnen, obwohl sie vor Ort essen, dass mancherorts nicht mal mehr danach gefragt wird, obwohl es zur Verfügung steht.



    Ja es ist nervig, im Restaurant, wenn man vor Ort isst, hinterher Pfand einzulösen. Aber ist das ein Grund, mit Absicht einen Einwegbecher zu bestellen?

    • @Herma Huhn:

      Mit Verlaub.... das Elend mit deutschen Pfand(flaschen)systemen ist offensichtlich. Ich kann nicht erkennen, dass im benachbarten Ausland Plastikflaschen auf den Straßen rumliegt weil die kein Pfandsystem hätten. Da wird Plastik oder Glas genau so gut oder schlecht getrennt wie bei uns.



      Aber wie so oft: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.



      Und da wo Pfand wirklich sinnig wäre: z.B. Batterien .... da macht man es nicht.

  • Vielleicht ist das Grundproblem eher die Anzahl und die Dichte der Fastfood-Angebote? Die Dichte der Fressbuden ist mancherorts enorm.

    Würde sich die Bevölkerung regelmäßiger daheim und gesund ernähren wären wir wahrscheinlich viele Probleme los, wie zB Übergewicht und Verpackungsmüll.

    Und Argumente wie "keine Zeit" und "für einen alleine Kochen ist aufwendig" zeigen eigentlich, wie bequem wir geworden sind und dass wir ggf. unsere Prioritäten und Lebensweise einmal grundsätzlich überdenken müssten.

    "Nein" zum Junkfood wäre mal ein Anfang. Schmiert euch mal öfters zu regelmäßigen Zeiten ein Butterbrot. Butterbrotdose und Thermoskanne sind hervorragende Mehrwegeverpackungen.

    Die eigene Bequemlichkeit ist ein großer Teil das Problems.

  • In der Bezeichnung "Mehrweg" steckt schon das Problem, denn diese Verpackungen müssen aufwendig transportiert und wiederaufbereitet werden, was oft den Umweltvorteil gegenüber den Einwegverpackungen reduziert.

    In den 1990ern gab es mal eine Kampagne gegen Dosen, wegen des hohen Energiebedarfs von Aluminium. Eine Zeitlang waren danach Getränkedosen aus dem Alltag verschwunden. Sie sind mittlerweile wieder da, mehr denn je. Praxis schlägt Idee, und wenn Mehrweg aufwendiger ist als Einweg, wird Einweg bleiben.

    Übrigens, was wird mit dem Geld gemacht? Man sollte es an die Bürger auszahlen.

  • Ich dem Autor ja zu, aber in diesem Fall ist das komplett vorbei. In Tübingen ist das (mitunter auch durch die Verpackungssteuer) bereits der Fall. Da bekommt man an jedem Ort statt Plastik die schönen Rebowls. Was natürlich nicht heißt, dass es solche Systeme nicht auch deutschlandweit einheitlich geben sollte.

  • Jeder hat die Wahl - es gibt bereits Mehrwegsysteme, die bundesweit arbeiten wie z.B fair-cup. Und es gibt bereits ja auch die Pflicht zur Mehrweg in der Gastro. Aber wenn es die Kommunen nicht kontrolieren wird die Umwelt zugemüllt. Das Urteil wird die Umstellung zum Mehrweg hoffentlich beschleunigen.

  • Man müsste eine Art "Deutschlandteller" und "Deutschlandtasse" geben, die man bundesweit ausleihen und zurückgeben kann. Keine Insellösungen, dafür Pfand.

    • @Kartöfellchen:

      Witzige Idee 💡 Deutschlandteller 🤣



      cool wäre auch Europateller😇

  • Es gibt ja schon längst die funktionierenden Systeme am Markt. Da muss nicht erst noch was einheitlich geschaffen werden, was fehlt sind nur zwei Komponenten: Der Wille der „Inverkehrbringer“ wirklich auf Mehrweg zu setzen- und mindestens genau so stark, die Bereitschaft der Kunden das zu nutzen, statt lieber den bald teueren Abfall einfach zu entsorgen, weil ja jede Rückgabe etwas mit planvollem Handeln zu tun hat.

  • Sicher nicht verkehrt wenn der Müll weniger wird.