Tschechow am Deutschen Theater: Altern als Vollzeitbeschäftigung
Auf der Bühne ein Mummenschanz. Der exilrussische Gastregisseur Timofej Kuljabin inszeniert Tschechows „Platonow“ als Liebesdrama im Altersheim.
![Eine alt aussehende Frau lehnt sich an die Schulter eines alt aussehenden Mannes Eine alt aussehende Frau lehnt sich an die Schulter eines alt aussehenden Mannes](https://taz.de/picture/5814574/14/42551-platonow-8921-1.jpg)
„Platonow“ ist nicht Anton Tschechows allerbestes Stück. Er schrieb es als Gymnasiast und vernichtete das Manuskript, nachdem es nicht zur Aufführung angenommen worden war. Die Urfassung, die man später in seinem Nachlass entdeckte, wäre etwa sieben Stunden lang, würde man sie ganz spielen, und hat daher wohl noch nie eine Inszenierung in voller Länge erlebt. Das macht sie zu einem lohnenswerten Steinbruch für das Regietheater.
Jeder Regisseur (und jede Regisseurin theoretisch auch; aber aus bestimmten Gründen ist das Stück für Frauen weniger reizvoll) kann und muss sich seinen eigenen Platonow basteln. Das hat auch Timofej Kuljabin getan, exilrussischer Gastregisseur am Deutschen Theater, dem ein Ruf als Tschechow-Runderneuerer vorausgeht. Kuljabin ist, unerschrocken vor diesem Titanen der Weltliteratur, noch über das Steinbruchprinzip hinausgegangen und hat, zusammen mit Co-Autor Roman Dolzhanskiy, eine eigene, adaptierte Version des Dramas (das allgemein als „Komödie“ geführt wird) erstellt.
Bei Kuljabin/Dolzhanskiy ist Platonow kein zynischer junger Dorfintellektueller, der wie ein zerstörerischer Komet in eine öde Gesellschaft niederen Landadels platzt, sondern ein alter Mann, ein einstiger Starschauspieler, der das Leben im Altersheim nicht erträgt. Auch alle anderen Charaktere sind InsassInnen dieser Institution, einer speziellen Seniorenresidenz für ehemalige BühnenkünstlerInnen.
In Russland, so ist im Programmheft zu lesen, soll es zahlreiche solcher spezialisierten Heime geben. Ein Bühnenstück mit genau diesem Setting hat übrigens Dustin Hoffman vor zehn Jahren ganz hinreißend verfilmt („Quartett“, nach einer Vorlage des Autors Ronald Harwood) und dabei gezeigt, dass dem Alter sowohl komische als auch romantische Seiten abzugewinnen sind, ohne dass man gleichzeitig die Tragik der menschlichen Endlichkeit aus dem Auge verlieren muss. Vermutlich hat Timofej Kuljabin Vergleichbares im Sinn gehabt.
Bemüht gebeugte Haltung
„Platonow“, wieder am 11./13. und 26. Oktober im Deutschen Theater
Tragikomisch genug ist die Geschichte um den überheblichen Platonow, der aus reiner Langeweile alle Frauen in sich verliebt macht, die nicht bei drei auf den Bäumen sind, auf jeden Fall. Und sicherlich ist auch an dem Gedanken etwas dran, dass die grundlegenden Sehnsüchte, Toll- und Torheiten der Menschen in jedem Lebensalter dieselben sind. Eine schöne Inszenierungsidee, auf jeden Fall.
Warum der Regisseur der Ansicht war, man müsste diese Idee noch weiter verfremden, ist rätselhaft. (Oder wäre es schlicht zu teuer gewesen, für die Inszenierung freischaffende DarstellerInnen zu verpflichten, die im richtigen Alter – deutlich jenseits der Pensionsgrenze – gewesen wären?) Die hochbetagten Bühnencharaktere werden sämtlich von in der Blüte ihrer Jahre stehenden Ensemblemitgliedern des Deutschen Theaters Berlin gegeben, die von den MaskenbildnerInnen in sicherlich stundenlanger Kleinarbeit mit Falten, Schlabberkinnen und gräulicher Gesichtsfarbe versehen worden sind.
Alle bemühen sich um eine gebeugte Haltung und einen gezügelten Bewegungsablauf; manche sind mit Gehhilfen versehen worden. Und man kann nicht sagen, dass sie ihre Sache schlecht machen. Doch vor allem wirken alle auffällig verkleidet. Vielleicht ist das sogar Absicht (aber warum), wer weiß? Vielleicht ist es auch Absicht, dass die meisten von ihnen ihren Text irgendwie so diffus brechtisch vor sich hertragen?
Das könnte aber auch daran liegen, dass sie alle so sehr damit beschäftigt sind, „alt“ zu spielen, dass der eigentliche Inhalt des Stückes dabei zur Nebensache wird. Und auf der anderen Seite der Rampe wird man als Zuschauerin so davon in Anspruch genommen, die Diskrepanz zwischen dem künstlich greisen Agieren und dem jüngeren Stimmklang der DarstellerInnen zu verarbeiten, dass es daneben kaum noch möglich ist, die behaupteten zwischenmenschlichen Probleme dieser verkleideten Personen ernstzunehmen.
Liebe? Leiden? Eifersucht? Ach was. Es ist ein stinklangweiliger Mummenschanz. Nicht mal erschossen wird der Mistkerl am Schluss. Und Oldfacing im Theater gehört einfach verboten.
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