Tschechiens Staatschef Miloš Zeman: Der Präsident verwittert live
Tschechien rätselt über den Gesundheitszustand des Präsidenten Miloš Zeman. Auf einer Trauerfeier wirkte er noch vergreister als sonst.
F ast jeder oder jede in Prag hat ihn: den Freund eines Freundes, der für die Präsidentenkanzlei arbeitet. Und deshalb genau Bescheid weiß über den Gesundheitszustand des tschechischen Präsidenten Miloš Zeman. Im Durchschnitt gibt er ihm in etwa drei Monate. Höchstens. Aber, psst!, nicht dass der Freund vom Freund Ärger bekommt da oben auf der Burg.
Dieser Tage braucht man allerdings kein Insiderwissen aus dem Hradschin. Spätestens seit der Totenmesse für Karel Gott im Veitsdom vergangene Woche ist klar, dass die Gevatterin – der Tod ist für die Tschechen weiblich – Prag weiterhin im Blick hat.
Der Präsident wirkte während der Trauerfeier noch vergreister, sein Blick abwesend und teilweise verwirrt. Nur mit Mühe konnte er bei der Andacht seinen Körper zum Stehen bringen, zusammengekrümmt blieb er über der Kirchenbank hängen. Der Präsident verwittert live.
Der Öffentlichkeit will der enge Kreis um Zeman allerdings weiterhin weismachen, der Kaiser trage gar prächtige Kleider. Zeman ist pumperlgsund, heißt es. Die Lungen des überzeugten Kettenrauchers: rein wie Neuschnee. Die Leber: unberührt vom einstigen langfristigen Mindestmaß von drei Gläsern Weißwein und sechs Schnäpsen pro Tag (O-Ton Zeman 2013). Nicht zu vergessen die Prostata, die bei ihm funzt „wie bei einem jungen Mann“, wie sich Zeman in einem seiner erinnerungswürdigen Auftritte brüstete.
„Rekonditionierungsaufenthalt“ im Militärkrankenhaus
Gesund wie er ist, begab sich Zeman Ende der Woche auf einen viertägigen „Rekonditionierungsaufenthalt“; ja, das Wort hört sich auf Tschechisch genauso komisch an. Was genau sich dahinter verbirgt, ließ sein Sprecher Jiří Ovčáček aber offen. Die Location, die sich Zeman für seine „Rekonditionierung“ ausgesucht hatte, ließ allerdings nicht darauf schließen, dass der Präsident sich, so kurz vor dem Staatsfeiertag am 28. Oktober, ein längeres Wellnesswochenende gönnt. Das Militärkrankenhaus im Prager Stadtteil Střešovice ist jedenfall nicht für seine Wohlfühlprozeduren bekannt.
Auf der Burg hüllt man sich in Schweigen und schüttet höchstens etwas Dreck hinunter in die Stadt. Der Abschaum der Gesellschaft melde sich zu Wort, twitterte Zeman-Sprecher Jiří Ovčáček, immer bemüht, seinem Herrchen ähnlicher zu werden, nachdem erste Fragen aufkamen. Sei Zeman etwa schwer krank?
Einen besonders fitten Eindruck macht der schwer zuckerkranke Mittsiebziger, der zudem an schwerer Arterienverkalkung leidet, jedenfalls nicht. Im Veitsdom erweckte er in der vergangenen Woche teilweise sogar den Eindruck, dass er gar nicht wusste, wo er war. Ein Greis, der ein ganzes Volk dazu zwingt, ihm beim Sterben zuzusehen.
Und jetzt der Rekonditionierungsaufenthalt. Rekonditionierung. Erinnert irgendwie an Konstantin Tschernenko in seiner kurzen Zeit zwischen Andropow und Gorbatschow als Staatsoberhaupt der Sowjetunion. Auch er wurde in den letzten Monaten seiner Amtszeit mehr tot als lebendig auf der politischen Bühne herumgereicht. Man brauchte ihn noch.
Und Zeman? Der braucht das Gefühl, andere zu ärgern. Das hat er selbst fröhlich glucksend in einem Interview erklärt. Den Pragern, die seit seiner Wiederwahl 2018 sein baldiges Ableben vorhersehen, dank des Freundes eines Freundes, hat er die Vorfreude aufs nächste Staatsbegräbnis eindeutig vermiest. War auch recht einfach, er musste nur erwähnen, dass er sich Andrej Babiš als seinen Nachfolger vorstellen könnte. Es muss also nicht besser werden, so hat man in Prag den Präsidenten verstanden.
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