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Trumps Plan für Gaza„Aufregung und Verwirrung“ in Israels Regierung

Die Frist des US-Präsidenten für die Hamas setzt auch Israel unter Druck: Wie soll eine erneute Militäraktion in Gaza aussehen? Und was passiert dann mit den Geiseln?

Erst beginnt Israels Militär mit dem Abzug aus dem Gazastreifen. Und könnte nun schon wieder zurückkehren Foto: Ariel Schalit/ap

Jerusalem taz | Benjamin Netanjahus Miene war bei der Verkündung des Trump-Plans zum Gazastreifen vergangene Woche schwer zu lesen: War der israelische Regierungschef überrascht, erfreut oder gar schockiert von der Tragweite der vorgeschlagenen „US-Übernahme“ des Küstenstreifens? Als erfahrener Politiker reagierte er mit Dank für den Vorschlag, ohne sich diesen zu eigen zu machen.

Doch in der israelischen Regierung herrscht seither laut dem Nachrichtenportal Axios „Aufregung und Verwirrung“. Am Montag lobte Netanjahu den Plan, der de facto eine ethnische Säuberung des Gazastreifens bedeutet, vor dem israelischen Parlament und sprach von „einer neuen und revolutionären Vision für den Tag nach der Hamas“. Die rechts-religiösen Siedler in der Regierung feierten erwartbar den Vorstoß, doch auch die israelische Mitte begrüßte die Idee.

Trump aber preschte dann weiter vor und formulierte zum zweiten Mal binnen einer Woche eine härtere Position als die Hardliner der israelischen Regierung. Nachdem die Hamas am Montag gewarnt hatte, die Freilassung weiterer Geiseln auszusetzen, drohte Trump der radikal-islamistischen Palästinensergruppe prompt mit einem Ende der Waffenruhe, wenn am Samstag nicht alle 76 Geiseln freikämen.

Israel nahm Gebiete in Gaza sogar mehrfach ein. Die Hamas existiert dennoch weiter

Wie durchdacht Trumps Vorgehen mit Blick auf Gaza ist, ist zweifelhaft. Denn bei aller Begeisterung in Israel: Er bringt das Land in eine schwierige Situation. Dass die Hamas einknickt ist unwahrscheinlich: Sie hat am 7. Oktober 2023 eines der zerstörerischsten Kapitel im israelisch-palästinensischen Konflikt eingeläutet und feierte sich dennoch in den Trümmern als Sieger. Zudem ist die Gruppe mutmaßlich gar nicht befähigt, alle Geiseln bis Samstag freizulassen, weil sie sich auch in der Hand anderer militanter Gruppen befinden sollen. Und schließlich müsste Trump Netanjahu dazu bringen, die Grundbedingung der Hamas für die Rückgabe aller Geiseln zu akzeptieren: ein Ende des Krieges.

Freilassung von neun lebenden Geiseln steht auf dem Spiel

Sollte die Gruppe nicht einlenken, kann Trump kaum noch von seiner Position abrücken, ohne sein Poltern als leere Drohung zu entlarven. Die israelische Führung hat nach einem Treffen des Sicherheitskabinetts am Dienstag zurückhaltender gewarnt: Der Krieg werde fortgesetzt, wenn am Samstag keine Geiseln freikämen. Eine Zahl wurde nicht genannt.

Womöglich aus gutem Grund: Mit einem Ende der Waffenruhe steht nicht nur die Freilassung von weiteren neun lebenden Geiseln in der ersten Phase auf dem Spiel. Trumps Vorschlag könnte das Land erneut in einen Krieg verstricken, der sich auch nach Einschätzung der israelischen Militärführung nicht militärisch gewinnen lässt. Zahlreiche Gebiete in Gaza hat Israel in den letzten 15 Monaten mehrfach eingenommen. Die Hamas existiert weiter.

Es sei denn, man nimmt Trump und Netanjahu beim Wort: Dann stünde den zwei Millionen Bewohnern des Gazastreifens womöglich wieder die Vertreibung an die Südgrenze des Küstenstreifens bevor. Und Washington könnte Ägypten solange unter Druck setzen, bis es seine Grenze öffnet. Das klingt absurd, doch die Drohungen Trumps verschieben die Grenzen des Vorstellbaren. Dass der Plan gegen Völkerrecht und die Genfer Konventionen verstößt, dürfte weder Trump noch Netanjahu stören. Letzterer sagte jüngst: „Wir werden diesen Job erledigen.“

Ob der Nachbarstaat Ägypten unter diesem Druck einknicken würde, ist schwer zu sagen: Zum einen hat das Land die Grenze zum Gazastreifen schwer befestigt. Zum anderen hatte Kairo schon im vergangenen Frühjahr vorsorglich ein Auffanglager in der Wüste errichtet. Falls Washington, wie es angedroht hat, Zahlungen einstellt, könnten das zumindest teilweise andere Geldgeber wie die Vereinigten Arabischen Emirate auffangen. In jedem Fall wäre aber das seit 1978 mit Israel bestehende Friedensabkommen, ein Grundstein der regionalen Stabilität, gefährdet.

Freie Hand für Netanjahu – doch was nun?

Auch Jordanien, das ebenfalls mit Israel Frieden geschlossen hat und finanziell abhängiger von Washington ist, kann sich innenpolitisch kaum erlauben, Trumps Forderungen nachzukommen: Bereits heute sind etwa die Hälfte der Jordanier Palästinenser.

Für Trump dürften manche dieser Überlegungen zweitrangig sein: Seine Aussagen zeugen vielmehr davon, dass er sich mit der Geschichte der Region und der möglichen Folgen für US-Verbündete kaum befasst hat.

Für Netanjahu bedeutet das einerseits freie Hand beim weiteren Vorgehen. Andererseits aber auch, dass der Verbündete in Washington seine Vorschläge nicht unbedingt zu Ende gedacht hat. Selbst das israelische Sicherheitskabinett soll rätseln: Was meint Trump? Und was nun?

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12 Kommentare

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  • Trump denkt nicht. Wer einer seiner Pressekonferenzen mal anhört wird sofort merken, dass er rauslässt was ihm gerade so durch den Kopf schwirrt. Es ist wahrlich anstrengend, da es ein so inkohärenter Blödsinn ist, welcher durchsetzt mit Lügen und Halbwahrheiten ist.

    Ob er dann auch irgendetwas umsetzt von dem was er da so von sich gibt steht in den Sternen, siehe Ukraine.

  • Und wenn Netanyahu das Trump eingeflüstert hatte?



    Möglichst lang Krieg und Krise ist doch Netanyahus Schutz vor dem dräuenden Knast daheim oder gar in Den Haag, wie man jetzt schon eine ganze Weile mitbekommen konnte.

    • @Janix:

      Um nicht in Den Haag vor Gericht gestellt zu werden, würde es für Netanjahu reichen, bestimmte Länder zu meiden. Um in Israel nicht vor Gericht gestellt zu werden, hätte er auch noch andere Möglichkeiten (Stichwort Justizreform).



      Abgesehen davon: Eine komplette Vertreibung der Bevölkerung aus Gaza ist unmöglich, so lange dort die Hamas nicht vollständig besiegt ist. Und die arbeitet schon fleißig an neuen Rekrutierungen, rüstet auf und baut bald wieder Tunnel und Bunker (aber nicht für die Gazaer Normalbevölkerung).

  • "Nicht zuende gedacht"



    Der Wahlspruch des neuen amerikanischen Präsidenten.

  • Was sagt eigentlich die deutsch-israelische Gesellschaft und der Zentralrat der Juden, beides Verteidiger der israelischen Kriegsführung in Gaza, zu den Vetreibungsplänen?

    • @Rinaldo:

      Juden hierzulande wehren sich nach 1945 zurecht gegen Ansätze von Antisemitismus. Nicht jeder, auch nicht jeder in erwähnten Institutionen, verteidigt dafür etwas, was nicht zu verteidigen ist: Netanyahus Vorgehen.



      Vertreibung (in den "Rayon") war schon im zaristischen Russland keine gute Lösung, eine weitere Vertreibung nach 1948 und teils 1967 wäre auch nicht gut für die israelische und auch die jüdischen Seele.

  • Völkerrecht und die Genfer Konventionen können Netanjahu und Trump egal sein: Ich habe kürzlich gelernt, dass es umstritten ist ob die für Verbündete gelten.

    Wir sind ohnehin nicht vorbereitet: Trotz aller Zeitenwende-Reden der letzten Jahre, dass wir aus der Abhängigkeit von Russlands Öl und Gas gelernt hätten, würde hier ohne Amazon AWS, Google Android und Microsoft Windows nichts mehr funktionieren. Kein Meta und IT-Hardware nur über Umwege wäre ärgerlich, ebenso der Verlust der Flüssiggaslieferungen, aber nicht so bedrohlich bedrohlich wie spontane technische Problemchen mit der US-Cloud.

    Trump kann tun was er will, er kann befehlen was er will, wir werden brav still sein, uns leise über Bauchschmerzen beklagen, ihm folgen und unser Land für die Völkischen vorbereiten. Die illiberale Seite hat in Europa ja schon genügend Fans, auch bei uns amtierende Ministerpräsidenten.

    Wir müssen die Drohungen gegenüber Dänemark und Palästina ernst nehmen, schon der Ausstieg aus dem Klimaschutz wäre Grund genug für harte Maßnahmen.



    Nur dagegen tun können wir nichts.



    Höchstens die Botschafter einbestellen. Wurde wenigstens das schon gemacht?

  • "Falls Washington, wie es angedroht hat, Zahlungen einstellt, könnten das zumindest teilweise andere Geldgeber wie die Vereinigten Arabischen Emirate auffangen."



    In diesem Fall sollten sich unbedingt auch europäische Staaten, am besten auch die EU, daran beteiligen. Zum einen um eine erzwungene ägyptische und jordanische Komplizenschaft bei diesem kolossalen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern. Zum anderen um den VAE oder den anderen Golfstaaten nicht zu erlauben die dann entstehende Einflusslücke vollständig zu füllen.

    • @Residente:

      Warum? Welche negativen Effekte erwarten Sie davon, dass nicht-europäische Staaten die Einflusslücke füllen? Welchen positiven Effekt sehen sie im europäischen Einfluss?

      • @Socrates:

        Reicht der Versuch eine ethnische Säuberung zu verhindern nicht als positiver Effekt?



        Den beiden Ländern einen Ausweg aus der amerikanisch-israelischen Erpressung zu bieten und im selben Atemzug sehr deutlich machen, dass sich Europa in klare Opposition zu den verrückten Vertreibungsplänen stellt, egal ob die nun in Washington, Jerusalem oder Hebron formuliert werden hielte ich für sehr positiv. Mir ist klar, dass das bei den vielen



        rechtsextremen Regierungen in Europa, von denen diverse hervorragende Kontakte zu Trump und Netanjahu unterhalten, eher unrealistisch ist, richtig wäre es trotzdem. Allgemeiner halte ich es auch für positiv in geostrategisch bedeutenden Regionen eigene europäische Kontakte und Einfluss aufzubauen um nicht von US-Initiativen abhängig zu sein. Warum das nötig ist sollte spätestens seit der ersten Wahl Trumps deutlich geworden sein. Wenn stattdessen Katar, Kuwait, oder auch China und Russland in diese Lücke stoßen hätte ich noch weniger Hoffnung, dass daraus etwas Positives entsteht.

        • @Residente:

          Ich glaube zu verstehen, was Sie meinen.

          Allerdings glaube ich, dass zur "Verhinderung ethnischer Säuberung" eine Finanzhilfe an Ägypten durch Andere ebenso effektiv wäre, wie die europäische - wenn man nur diesen einen Punkt betrachtet.

          Das große Ganze betrachtet stimme ich Ihrer in den letzten 3 Sätzen formulierten Schlussfolgerung zu.