Traumstadt Rom: La leggerezza
Rom hat diese Leichtigkeit – leggerezza –, die man in anderen Ecken Italiens nicht findet. Über die Stadt am Tiber am Ende des Sommers.
Z urück in Rom, nach einem Sommer, der sich für viele endlos anfühlt und in diesen Tagen keineswegs mit einer brutalen Rückkehr in der Realität endet, sondern schlicht in einer etwas angezogeneren Stadtversion ausläuft, wehen mir permanent Superlative entgegen. Der Sommer meiner Bekannten war offenbar „episch“, „magisch“, „unglaublich“, für manche sogar kathartisch.
Ein Freund erzählte mir auf seiner Terrasse (die neuerdings nicht mehr von Möwen, sondern von Papageien besetzt wird, weil in Fregene, an der Küste, angeblich so viel Dreck rumliegt, dass die Meeresvögel sich nicht mehr die Mühe machen, bis ins Stadtzentrum zu kommen), dass er und seine Frau kurz davor waren, sich scheiden zu lassen, dann aber die Kurve kriegten und nun ein ganz neues Kapitel beginnen. Er sagte das wirklich so. Ich fragte: Wie war dein Sommer? Er sagte: Eigentlich wollten wir uns scheiden lassen, dann kam es aber anders.
Dieses „anders“ ist offenbar mit einem potenziellen Wegzug aus Rom verbunden. Was in der Runde aus Italiener*innen, Amerikaner*innen und Südamerikaner*innen zu einer Auflistung der Gründe führte, weshalb man nicht woanders leben sollte als hier, auch wenn man in der komfortablen Situation ist, es sich aussuchen zu können.
Ein Aspekt, auf den sich neben dem allzu offensichtlichen, also der Schönheit der Stadt im Zentrum und ihrer roughness an den Rändern, den Geschichtsschichten, die einen bei jedem Schritt unter den Füßen kribbeln und einen zwar nicht eindeutig festzumachenden, aber auch nicht zu leugnenden Einfluss haben, alle einigen konnten, war ein Begriff. Ein Wort, das zwar häufig mit dem Sommer verbunden wird, aber nicht zwangsläufig an ihn gebunden ist. Das zugleich etwas Schwebendes, aber auch eine gewisse Bodenhaftung beschreibt, das die Realität nicht wegdrückt, sondern den Betrachter einfach so platziert, dass er sie in ihrer besten Version, von ihrer besten Seite wahrnimmt.
Dieses Wort ist: La leggerezza. Die Leichtigkeit. Die Leichtigkeit ist natürlich nicht römisch, noch nicht einmal italienisch, miesepetrige Leute gibt es hier wie auch anderswo, nur ist diese besondere Version der Leichtigkeit, diese Fähigkeit, in den staubigen Straßen um den Tiber vielleicht doch etwas verbreiteter als sonst.
Wie bei Italo Calvino
Sie klar zu umreißen ist gar nicht so einfach. Die leggerezza ist nicht die Leichtigkeit eines Kundera. Es ist nicht die Leichtigkeit, die eine gewisse Leere impliziert und damit unerträglich, schmerzhaft und somit schwer auf dem Herzen lastend sein kann. Es ist auch nicht die derer, die beschlossen haben, auszusteigen, nichts wichtig zu finden.
Sie ist kein Nihilismus, auch kein krankhaft erzwungener Optimismus der immer Lächelnden, sondern vielleicht so etwas wie eine geistige Flexibilität. Der italienische Schriftsteller Italo Calvino hat die leggerezza in den achtziger Jahren einmal in einem Vortrag, einem seiner „Lezioni americane“ umrissen und als ein Gut benannt, das im kommenden Jahrhundert, also dem jetzigen, an Wichtigkeit gewinnen könnte.
Calvino sprach dabei zwar über die Literatur, darüber, was sie brauchen würde, um angesichts der Veränderungen in Kultur und Technologie wichtig zu bleiben, nur gilt, was in Büchern gilt, ja meist auch im Leben. Für ihn ist die Leichtigkeit so etwas wie die Fähigkeit, Dunkelheit nicht plump in Licht zu verwandeln, sondern etwas Subtileres in ihr zu finden: ein Leuchten, ein helles Schimmern unter dem Schwarz. Sie ist Humor und Abstraktion, Melancholie statt Trauer, die Kraft, Schönheit zu finden, egal wo.
Mit Leichtigkeit nehmen
Im Internet geistert ein Zitat herum, das Calvino und seiner Lektion zugeschrieben wird. Es sagt so etwas wie: Nehmt das Leben mit Leichtigkeit, Leichtigkeit ist nicht gleich Oberflächlichkeit, sondern eine Art, über den Dingen zu schweben und sein Herz nicht unnötig zu beschweren.
Wirklich gesagt oder geschrieben hat er das in der Form angeblich nie, nur war uns das in dem Fall egal. Dank ihm kamen wir am Ende des Abends zu einem positiven, von allen krachenden Superlativen befreiten Fazit: Sollten unsere Freunde die Stadt tatsächlich verlassen, wegziehen aus la grande bellezza, so gibt es doch etwas, das sie mitnehmen und für immer bei sich tragen können. La leggerezza.
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