Trauerfeier für Grünen-Politiker: Ströbele for future
Auf der Trauerfeier erinnern Weggefährt:innen an Christian Ströbele. Sein Kampf für Gerechtigkeit, Klima und Umwelt bleibt hochaktuell.
„Ich hoffe, wir, die nächste Generation, schaffen es, so beständig politisch engagiert zu bleiben wie er, damit auch wir in hohem Alter mit unserem Fahrrad durch den Kiez radeln können, dann hoffentlich in einer ein bisschen besseren Welt als der jetzigen“, schließt die junge Frau.
Clara Mayers Rede bildete am späten Dienstagabend den Abschluss der Trauerfeier für Christian Ströbele, der am 29. August gestorben ist. Dass die Gedenkveranstaltung in der Arena Berlin in Alt-Treptow mit Hoffnung endete, hätte ihn sicher gefreut.
Rund 1.000 Menschen waren gekommen, um Abschied zu nehmen von dem am 29. August verstorbenen Rechtsanwalt und Grünen-Politiker, dem nicht nur die taz viel zu verdanken hat. Im Beisein seiner Frau Juliana Ströbele-Gregor und seiner Geschwister erinnerten Bekannte, Freund:innen, politische Wegbegleiter:innen und ehemalige Mandant:innen rund zweieinhalb Stunden an ein im wörtlichen Sinne bewegtes Leben.
Empfohlener externer Inhalt
„Eine moralische Größe“
Facettenreich zeichneten sie das Bild eines Menschen, „der eine moralische Größe war, der menschlich integer war und auch gleichzeitig intelligent und locker“, wie es der Kabarettist Arnulf Rating formulierte. „Als Leitstern wird er umso heller strahlen, je dunkler es um uns wird.“
Als Mitglied der 3 Tornados war Rating Ströbeles Mandant im legendären wie absurden Krippenspiel-Strafverfahren. Das hatte eine erzkatholische Initiative wegen „Beschimpfung religiöser oder weltanschaulicher Bekenntnisse oder der Kirche“ Anfang der 1980er Jahre gegen das Anarcho-Kabarett-Trio angestrengt. Es endete erst in vierter Instanz mit einem Freispruch.
Über Ströbeles Zeit als RAF-Anwalt sprach Karl-Heinz Dellwo. „Christian habe ich zum ersten Mal 1974 getroffen, als ich mit anderen nach dem Tod von Holger Meins zu einer Protestaktion nach Berlin fuhr“, sagte der heutige Dokumentarfilmer und Verleger. „Wiedergesehen habe ich Christian dann als Anwalt im Prozess gegen das Kommando Holger Meins, dessen Mitglied ich war.“ Über das Gerichtsverfahren offenbarte Dellwo ein interessantes Detail: Der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll beteiligte sich mit einer Spende von 5.000 D-Mark an den Kosten der Verteidigung.
Das war kein Prozess, den Ströbele gewinnen konnte: Zusammen mit drei weiteren Kommandomitgliedern wurde Dellwo im Juli 1977 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Bis 1995 saß er im Knast. Über die ganzen Jahre seiner Haft sei Ströbele immer gekommen, wenn er ihn darum gebeten habe, so Dellwo: „Er hat an uns festgehalten, weil er an seiner eigenen Geschichte festgehalten hat“. Denn das sei die Geschichte der Revolte der 1960er Jahre gewesen, „die damals für viele ein reales Moment an Befreiung in sich barg“.
In diese Periode führte Klaus Eschen zurück, der wie Ströbele 1969 zu den Gründern des Sozialistisches Anwaltskollektivs gehörte, das in seiner Anfangszeit vor allem Aktivist:innen der 68er-Bewegung verteidigt hat. Ein Kollektiv seien sie gewesen, weil sie keine Hierarchie in ihrem Büro hätten haben wollen und alle das gleiche Geld bekamen. Als sozialistisch hätten sie sich verstanden, weil sie nur die von unten gegen die oben vertreten wollten, also Arbeitnehmer:innen gegen Arbeitgeber:innen, Mieter:innen gegen Vermieter:innen oder eben Studierende gegen die Staatsmacht.
Offen für Kritik – aber „kritikresistent“
Mit der Entstehung der RAF und der Bewegung 2. Juni verlagerte sich Anfang der 1970er Jahre der Schwerpunkt auf die Verteidigung jener, die sich für den bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik entschieden hatten. Ströbele bescherte das nicht nur unter Linken einen „größeren revolutionären Sexappeal“, wie es Eschen formulierte, sondern vor allem heftige Anfeindungen, seinen Ausschluss aus der SPD und schließlich sogar Untersuchungshaft sowie eine Verurteilung wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Eschen beschrieb Ströbele als einen bescheidenen Menschen, „der eigentlich nur in den Vordergrund kam, wenn es die Sache erforderte und wenn er für eine Sache eingetreten ist“. Mit einem Bonmot deutete der 83-Jährige indes an, dass die Zusammenarbeit mit ihm nicht immer konfliktfrei war: „Er war offen für Kritik, aber kritikresistent.“ Doch Ströbeles Standpunkt sei immer ein ernstzunehmender gewesen und „nie einer, der unseren Zusammenhalt gesprengt hat“. 1979 löste sich das Sozialistisches Anwaltskollektiv auf. „Wir hatten neue Perspektiven, haben neue Wege gehen wollen“, so Eschen.
Diese neuen Perspektiven waren für Ströbele zwei aus den alternativen Bewegungen der Post-68er-Zeit hervorgegangene „Projekte“, mit denen er bis zu seinem Lebensende eng verbunden bleiben sollte: die Grünen und die taz. Anschaulich berichteten die taz-Mitgründerin Gisela Wülffing und der langjährige Geschäftsführer Karl-Heinz „Kalle“ Ruch von seiner wichtigen Rolle bei der Entstehung dieser Zeitung. Als „Vater mit guter Laune“, würdigte ihn Ruch.
Ähnlich klang es bei dem Grünen Wolfgang Wieland, der auf die Bedeutung Ströbeles für die Alternative Liste, wie sich der Berliner Landesverband der Grünen bis 1993 nannte, einging: „Wenn Christian kam, ging das Licht an und war die Stimmung gut“, sagte der AL-Mitgründer und frühere Berliner Justizsenator.
CDU-Geld für die Guerillas
Die frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete und heutige Linken-Politikerin Gaby Gottwald erinnerte an eine von Ströbele maßgeblich initiierte taz-Kampagne, die sowohl in dieser Zeitung als auch bei den Grünen und weit darüber hinaus für mächtig Diskussionen gesorgt hat: „Waffen für El Salvador“. Zwischen 1979 und 1992 kamen mehr als 4,7 Millionen D-Mark zur Unterstützung der FMLN, der Guerilla in El Salvador, zusammen.
Die Kampagne endete, als die Stärke der Guerilla Anfang 1992 Militär und Regierung in dem mittelamerikanischen Land zu einem Friedensabkommen zwang. „Die offensive Unterstützung der FMLN von Christian und der taz war radikal, ja, aber sie war eben auch rational“, sagte Gottwald, die ihn als einen Internationalisten „mit allen Fasern seines Herzens“ beschrieb.
Gottwald erzählte auch eine Anekdote: Mitte der 1980er Jahre habe die CDU eine Postille zum Thema Terrorismus herausgegeben, in der sich ein Bild befand, das die damalige Abgeordnete zeigt, wie sie von der Polizei abgeführt wird. Da habe sie Ströbele um Hilfe gebeten und der hätte ihr geraten, dagegen juristisch vorzugehen. Was ein guter Rat war. Die CDU musste 1.000 D-Mark an Gottwald zahlen. Ströbele habe über beide Backen gegrinst und zu ihr gesagt: „Gaby, das muss aber klar sein: Die Kohle von der CDU kommt auf’s Waffenkonto!“. Und so sei es dann auch gewesen. Wodurch also die CDU indirekt die Guerilla in El Salvador unterstützt hat.
Seine konsequente Ablehnung deutscher Kriegseinsätze, ob 1999 im früheren Jugoslawien oder ab 2001 in Afghanistan, machte Ströbele lange für das Establishment der Grünen, für die er erstmals von 1985 bis 1987 und dann wieder ab 1998 im Bundestag saß, zu einem Außenseiter.
2002 schien Ströbeles Parlamentskarriere beendet, die Berliner Grünen verweigerten ihm einen aussichtsreichen Listenplatz. Doch sensationell holte Ströbele das Direktmandat in seinem Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg. „Ströbele wählen, Fischer quälen“, lautete sein damaliger Wahlspruch, an den der grüne Bundestagsabgeordnete und frühere Parteivorsitzende Jürgen Trittin erinnerte: „Ich weiß aus eigenen Gesprächen mit Joschka, dass er sich gequält gefühlt hat, aber am Ende doch stolz drauf war.“
Ströbele war der erste Grüne, dem es gelungen ist, ein Direktmandat zu gewinnen. Und dieses Kunststück wiederholte er noch dreimal, bis er 2017 freiwillig aus dem Parlament schied. „Ich finde, der deutschen Demokratie fehlt der Aufklärer Ströbele ganz schmerzlich“, sagte Trittin. „Ich verneige mich vor einem ebenso sanften wie beharrlichen Revolutionär, einem linken Grünen, vor allem aber einem großen Menschen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung