Trauer und Zeitung machen: Tage ohne Ordnung
Je dichter die Nachrichten an die BlattmacherInnen heranrücken, desto schwieriger ist es, kühl zu berichten. Diese Woche war besonders herausfordernd.
Z ur Tagesordnung übergehen, irgendwie schnell weitermachen, auch wenn etwas Schreckliches passiert ist, gehört im Journalismus zwangsläufig zur Jobbeschreibung. Weil leider häufig etwas Schreckliches passiert und die nächste Ausgabe nicht wartet. Sie muss ja trotzdem vollgeschrieben werden. Oder gerade erst recht. Online sogar sofort.
Da cool zu bleiben ist nicht immer einfach, aber meistens geht es, solange uns die schlechten Nachrichten nicht direkt selbst betreffen. Und auch wenn sie näher rücken, hilft der Zeitdruck, um sich durch konzentrierte Arbeit von eigenen Ängsten abzulenken. Manche schützen sich durch einen Panzer aus Routine und einen Abwehrmechanismus, der bisweilen ins Zynische abgleitet. Bomben auf die Ukraine? Dachschaden in Moskau? Gibt’s denn nicht was Neues?
Die meisten versuchen die Not nicht an sich heranzulassen und nach Redaktionsschluss abzuschalten. Oft ist der Schreck am nächsten Morgen tatsächlich abgeklungen, verdrängt, verlacht, vergessen. In dieser Woche ging das in der taz für viele nicht mehr. Menschen, die sonst meist ruhig und abgeklärt wirken, weinten in Konferenzen. Andere umarmten sich still und kamen abends noch einmal zusammen.
Nicht um sich abzulenken, sondern um gemeinsam um einen Kollegen zu trauern, der gerade erst 50 geworden war und plötzlich nicht mehr da ist. Dass er vor drei Monaten zum Spiegel ging, spielte keine Rolle. Denn Martin Reichert war jahrzehntelang ein tazler und für viele ein Freund, für manche ein enger Wegbegleiter, für seinen Mann der Liebste. Dass Martin sich am vergangenen Freitag selbst das Leben nahm, hat die ganze taz erschüttert.
Vielleicht ein paar mehr Fehler als sonst
Ich bitte deshalb um Verständnis, dass ich hier nicht die Großereignisse der Woche von BVB bis Lina E. launig Revue passieren lasse. Wir Rote-Faden-SpinnerInnen versuchen ja sonst gern, das Tragikomische im Weltgeschehen zu finden, aber ich will diesmal nicht so tun, als hätte mich das ewige Gezerre um Habecks missglücktes Heizungsgesetz oder der Haushaltsstreit in den USA lang beschäftigt und belustigt.
Dafür denke auch ich zu viel an meinen ehemaligen Mitstreiter im Redaktionsrat und an die Menschen, die ihm viel näher standen und die drei Seiten über Martin vollgeschrieben haben. Damit die Lücke, die er hinterlässt, sichtbar wird – und der Schock nachvollziehbar. Vielleicht wird Ihnen das alles jetzt zu viel. Vielleicht denken Sie, wir sollten uns zusammenreißen und wie andere Leute auch nach Schicksalsschlägen trotzdem weiter unseren Job machen, also die politische Lage einordnen.
Haben wir ja auch getan – so gut es ging. Aber falls in der taz im Laufe dieser Woche mehr Fehler als gewohnt auftauchten und manches Wichtige wegfiel, wissen Sie nun wenigstens, warum. Und Milde wäre nett. Vielleicht sollten JournalistInnen generell öfter zugeben, dass sie nicht immer neutral die Nachrichten sortieren. Sosehr wir uns bemühen, Empathie für alle globalen Probleme aufzubringen und auf weit entfernte Missstände aufmerksam zu machen:
Natürlich berühren auch uns Gefahren in unserer Nähe mehr als Ereignisse in Australien, wenn wir dort niemanden kennen. Bei den aktuellen Kriegsmeldungen haben manche vordringlich Angst um FreundInnen in der Ukraine, andere vor einem Atomkrieg hier. In der Coronazeit setzten JournalistInnen, die sich selbst oder Angehörige zu den vulnerablen Gruppen zählten, verständlicherweise andere Akzente als medizinisch eher unbesorgte Eltern, deren Gedanken vor allem um die Bewegungsfreiheit ihrer Kinder kreisten.
Trotzdem alle Sichtweisen abzubilden gehört zum Zeitungmachen. Aber manchmal wäre ein persönlich begründeter Meinungstext wohl ehrlicher als ein zu einseitig geschriebener Bericht. So oder so können wir früher oder später zur Tagesordnung übergehen. Martin konnte es leider nicht mehr.
Sollten Sie Suizidgedanken haben, suchen Sie sich bitte umgehend Hilfe. Anononym bei der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 22
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Kohleausstieg 2030 in Gefahr
Aus für neue Kraftwerkspläne
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Russlands Nachschub im Ukraine-Krieg
Zu viele Vaterlandshelden