Transnistrien, die nächste Krim: Wo die Uhren rückwärtsgehen
Nach dem Vorbild der Krim strebt mit der Moldau-Republik Transnistrien ein weiterer Satellitenstaat des russischen Militärs in Richtung Moskau.
TIRASPOL taz | Tiraspol wirkt so, als seien die Uhren stehen geblieben. Die Hauptstadt des international nicht anerkannten Transnistrien – der Teil der Republik Moldau, der östlich des Flusses Dniestr liegt und sich 1992 unabhängig erklärte – ist voller Sowjetsymbole. Leninstatuen, sowjetische Kriegsdenkmäler und ewige Feuer sieht man an jeder Ecke.
Die Spitze des Stadtrats schmückt ein roter Stern. Am Gebäude erinnert eine Gedenktafel an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Die Flagge der Russischen Föderation wird häufig auf Verwaltungsgebäuden, Einkaufszentren und Geschäften gehisst. Gleichzeitig sind viele Gebäude mit Losungen wie: „Wir sind mit Russland“, „Mit Russland nach vorne“ oder „23 Jahre gemeinsam mit Russland“ versehen.
Nach dem Anschluss der ukrainischen Halbinsel Krim an Russland strebt nun auch Transnistrien einen Beitritt an. Seit Sowjetzeiten ist die 14. russische Armee in Transnistrien stationiert. Im März bat das transnistrische Parlament offiziell um die Aufnahme des Gebiets, das sich „Pridnestrowische Moldauische Republik“ (PMR) nennt, in die Russische Föderation.
Anfang Mai besuchte der russische Vizepremier und Transnistrien-Beauftragte Dmitri Rogosin die Hauptstadt Tiraspol und nahm an den Feierlichkeiten zum Tag des Siegs im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai teil. Vorab sammelten Bürger auf den Straßen Unterschriften für den Beitritt zu Russland. Die Unterschriftenmappen wurden im Anschluss Rogosin übergeben.
Moldau zeigte sich wenig begeistert von diesem Besuch. Rumänien und die Ukraine hatten zuvor den Luftverkehr für den russischen Vizepremier für geschlossen erklärt und sich dabei auf laufende EU-Sanktionen gegen den Politiker bezogen. Der kümmerte sich jedoch nicht weiter um das Verbot und flog mit einer anderen Maschine zurück.
Luftangriff angedroht
Kurz darauf drohte Rogosin per Twitter Rumänien mit einem Luftangriff: „Nächstes Mal fliege ich mit einer Tu-160“ (ein sowjetischer Bomber). Später fügte er provozierend hinzu: „Liebe Rumänen, wir werden euch bald zeigen, wer ihr seid und was wir von euch halten.“
Obwohl es in Transnistrien drei offizielle Landessprachen gibt (Russisch, Ukrainisch und Moldawisch), empfängt man vor Ort nur russische und ukrainische TV-Kanäle. Eine unabhängige Presse existiert nicht. Die einzige ausländische Presseagentur Novyj Region wurde geschlossen. Das Schriftbild in Tiraspol ist hauptsächlich russisch.
Als Igor Smirnow, der 20 Jahre lang Regierungschef des Landes war, 2011 von Jewgeni Schewtschuk abgelöst wurde, stiegen die Steuern und die Nebenkosten. Das Durchschnittsgehalt in Transnistrien beträgt rund 200 Euro im Monat, bei Verbraucherpreisen sind ähnlich wie in Europa.
Die Bevölkerung Transnistriens besteht hauptsächlich aus Russen, Ukrainern und Moldauern. Anfang der Neunziger sehnte sich die russischsprachige Bevölkerung der Region nach einem unabhängigem Staat. Moldau wünschte sich dagegen einen Anschluss an Rumänien, mit dem es eine jahrhundertealte Geschichte, Kultur und Sprache verband. 1992 führte die Auseinandersetzung zu einem bewaffneten Konflikt, bei dem knapp 1.000 Bewohner Transnistriens starben. Dann erklärte sich die Region unter Schutz der 14. russischen Armee für unabhängig.
Seitdem ist viel Zeit vergangen, an der Situation aber hat sich nicht viel geändert. Gespräche über eine Wiedervereinigung mit der Republik Moldau führten immer wieder ins Leere. Es wurden Kommissionen geschaffen und OSZE-Beobachter nach Transnistrien geschickt, um ein Gesprächsformat zu schaffen. Konkrete Maßnahmen für eine Verbesserung der Beziehungen gab es keine. Moldau strebt in die EU, Transnistrien dagegen sieht seine Zukunft in der Zollunion mit Russland.
Die 55-jährige Jelisaweta würde einen Anschluss an Russland begrüßen: „Transnistrien als Teil Russlands wäre eine ideale Lösung. Russland hat uns nie im Stich gelassen. Rentner bekämen dann knapp 15 US-Dollar mehr im Monat. Es würden Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten gebaut. Außerdem wären Nebenkosten viel billiger als in der Republik Moldau, besonders die Gaspreise.“
Gemeinsame Zukunft
Auch Nikolaj, 28, sieht eine Zukunft nur gemeinsam mit Russland: „Ich verstehe die EU-Befürworter nicht. Was hat Europa Gutes getan? Die Grenzen geöffnet? Und was ist das Ergebnis davon? Viele arbeiten für niedrige Gehälter in Italien, Frankreich und Deutschland und sind sozial und juristisch nicht abgesichert. Transnistrien und Russland verbindet vieles, deswegen haben wir eine gemeinsame Zukunft.“
Nur wenige Einwohner sind skeptisch, so wie die 26-jährige Karina: „Transnistrien hat außer Arbeitskräften und magerer landwirtschaftlicher Flächen nichts zu bieten. Alle sind überzeugt, dass Transnistrien nur durch Russlands Unterstützung existieren kann.
Russland aber bietet seine Hilfe nicht aus purer Selbstlosigkeit an. Es möchte hier nur seine Soldaten stationieren, um die Grenzen vor der Nato zu verteidigen. Ich aber möchte in einem Land leben, dessen Werte auf Stabilität, Toleranz und sozialer Sicherheit beruhen, so wie Europa es vorlebt.“
Mitarbeit: Ljuba Naminova
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