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Transition bei Kindern und JugendlichenDas Eindeutige loslassen

Jedes Kind, jede jugendliche Person, jede Genderbiografie ist anders. Eltern müssen sich auf diese Unwägbarkeit einlassen.

Kindheit ist Unwägbarkeit. Geschlecht auch Foto: Christine Müller/Westend61/imago

E rfreulicherweise immer öfter sehe ich Dokus über trans Kinder und Jugendliche und ihre Familien auf diversen Sendeplätzen. Die Beiträge sind alles andere als perfekt, was Wortwahl und Per­spek­ti­ve angeht. Aber mir ist jede heiter-­naive Gesellschaftssafari im Nachmittags-TV lieber als das, was Intellektuelle teils in die Feuilletons gießen. Und ja, mir ist die Ironie dieser Aussage bewusst.

Die Fernsehteams brauchen Bildmaterial und suchen deshalb echte Fälle auf. Den­ke­r*in­nen käuen bloß wieder, was sie über Geschlecht zu wissen glauben. Im schlimmsten Fall schleicht sich Birgit Kelle, die seit Jahren immer was findet, um uns auf den Zeiger zu gehen, in die Neue Zürcher und erzählt von der „Trans-Lobby“. Oder die FAZ popelt im Wortfeld der Genderpropaganda. Oder irgendeine altlinke, neoliberale, protomittige oder orthodoxmarginale Plattform findet: Es gehört mal ergebnisoffen über anderer Leute Geschlechter diskutiert! So als Sparring bis zum nächsten Buch.

Wie unnötig! Jedes Kind, jede jugendliche Person, jede Genderbiografie ist eh anders. Der Schlüssel liegt nicht in großen Thesen, sondern im Hinnehmen der Unwägbarkeit. Der Einzelfall diktiert, was richtig ist. Heißt nicht, dass es ohne Regeln geht. Sie müssen halt in der Lage sein, auf Vielfalt flexibel zu reagieren.

Da Sie fragen: Ja, ich bin dafür, dass Kinder und Jugendliche in Sachen Transition fachliche Beratung und Unterstützung bekommen, auch medizinisch und psychologisch; ja, ich bin gegen übereilte geschlechtsangleichende Maßnahmen. Niemand ist für übereilte geschlechtsangleichende Maßnahmen.

Ordnung in die ausgekippte Gender-Pandorabüchse

Bei der „Gendergaga“-Crowd und moderat genderkritischen Intellektuellen scheint es eher um den Wunsch zu gehen, in die ausgekippte Gender-Pandorabüchse schön Ordnung zu bringen – heißt: alles wie früher. Ich verstehe ja, wenn man auf die Unwägbarkeiten kindlich-jugendlicher Entwicklung keinen Bock hat. Wenn man klare Fronten, Sitten und Gender liebt; oder keine Lust hat, Minderjährige in Entscheidungen zu unterstützen, die ihr ganzes Leben prägen, ohne dass man die Konsequenzen kennen kann.

Früher haben wir diesen verzweifelten Witz gemacht: „Ihr habt ein Problem mit Homo-Ehe? Dann heiratet keine Homos.“ Heute würde ich gern sagen: „Ihr habt ein Problem mit trans Kindern? Dann kriegt keine Kinder.“ Wir müssen eh nicht mehr panisch einen Minimensch nach dem anderen in die Welt schleudern, aus Angst, dass niemand den Hof übernimmt. Ich entlasse alle künftigen transphoben Eltern aus der Pflicht!

Ha, ich weiß, dass das niemanden interessiert. Ich mach auch nur Spaß. Denn in Wahrheit hab ich Hoffnung. Weil ich in jenen Dokus Eltern sehe, die sich auf den Weg der Kinder einlassen. Eltern, die bis dahin keineswegs die Newsletter der GenderHomoTrans-Lobby abonniert hatten. Queers kommen in den besten Familien vor. Und die besten Familien sind die, wo queere Menschen safe sind.

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Peter Weissenburger
Autor
Schreibt über Kultur, Gesellschaft, Medien.
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6 Kommentare

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  • Danke für diesen Artikel. Besonders der letzte Satz hat mich berührt.



    "Queers kommen in den besten Familien vor. Und die besten Familien sind die, wo queere Menschen safe sind."

    Dazu gehören auch alle, s. RESTO, die sich nicht eindeutig zuordnen wollen, können. Denn ein Mensch sind sie trotzdem. Sie haben Talente, Macken, Charme, sind widerspenstig, anlehnungsbedürftig, klug, weise, auch mal dumm... wie alle Menschen. Es könnte so einfach sein.



    Gilt auch für alle, die nicht queer sind. Auch sie sollten sich ihren Eigenschaften gemäß entwickeln dürfen und nicht die Firma übernehmen müssen oder Prof. werden, weil die Eltern davon immer träumten. Ob Liebe reicht? Zusätzlich nachdenken kann nicht schaden.

  • Entschuldigung, dem muss ich widersprechen: "Ich verstehe ja, wenn man auf die Unwägbarkeiten kindlich-jugendlicher Entwicklung keinen Bock hat. Wenn man klare Fronten, Sitten und Gender liebt; oder keine Lust hat, Minderjährige in Entscheidungen zu unterstützen, die ihr ganzes Leben prägen, ohne dass man die Konsequenzen kennen kann." Ist es nicht eher so, dass die Unterstützung von früher Transition, also von Kindern und Jugendlichen, das Geschlecht zu ändern, der einfachere Weg ist, weil er eben ganz klare Verhältnisse mit Geschlechtsrollen schaffen will und man Zwischenwelten nicht aushält und ungeduldig ist? Ich, als Mädchen in den 50ern geboren, wollte als Kind ein Junge sein, da ich zwar mit Puppen spielte, aber auch mit Autos und Lastwagen und aber auch gerne mit den Jungs rumtobte. Ich gehörte nirgendwo richtig hin; das dachte ich aber nur, weil die Welt dermaßen in 'männlich und weiblich' aufgeteilt war. Ich würde bevorzugen, Kindern ihren Freiraum im Verhalten zu geben (auch klamottenmäßig) und sie nicht schon in unwiderrufliche physische Veränderungen drängen, wobei die Menschen dann auch zu lebenslangen Patient:innen werden. Nicht umsonst ist man erst ab 18 Jahren volljährig.

    • @resto:

      ‚Ist es nicht eher so, dass die Unterstützung von früher Transition, also von Kindern und Jugendlichen, das Geschlecht zu ändern, der einfachere Weg ist, weil er eben ganz klare Verhältnisse mit Geschlechtsrollen schaffen will und man Zwischenwelten nicht aushält und ungeduldig ist?‘



      NEIN, GENAU SO IST ES NICHT. Trans Mädchen sind keine Jungs, die auch mal ein Röckchen anziehen wollen. Das sind dann Jungs. Das hat mit dem Thema trans nicht wirklich viel zu tun. Ich wünschte, es wäre so einfach! Da sollten Sie sich schlicht mal schlau machen und zu Ihrem ‚Bauchgefühl’ und Ihrem ‚gesunden Menschenverstand’ Behandlungsempfehlungen der Schulmedizin zur Ihrer Meinungsbildung zulassen. Ich würde es übrigens auch bevorzugen, Kindern ihren Freiraum im Verhalten zu geben. Aber was genau, glauben Sie, hat das mit trans zu tun? Leider fehlen Ihnen hier Infos, Erfahrung und med. Sachwissen. ‚Bauchgefühle‘ und ‚gesunder Menschenverstand‘ halfen weder uns als Eltern, noch unserem Kind. Dem ging es nämlich sicherlich völlig anders als Ihnen in Ihrer Jugend. Geholfen haben uns Ärzte und andere Familien.

      • Peter Weissenburger , des Artikels, Autor
        @Achim S.:

        Hallo Achim, ich bin immer interessiert an Austausch mit Eltern, die entsprechende Erfahrungen machen. Wenn Sie möchten, melden Sie sich gerne bei mir!

      • @Achim S.:

        Ja, mir ging es anders als Ihrem Kind. Und das kann man so stehenlassen. Allerdings unterstellen Sie mir, dass ich von dem Thema keine Ahnung hätte, ergo gar nichts sagen solle - das ist nicht fair. Ich denke nicht, dass man die eigenen Erfahrungen als die einzige Wahrheit anderen aufzwingen sollte. Das gilt für alle Seiten.

        • @resto:

          Wieso ist es unfair, dass Sie kein Fachwissen haben? Das können Sie sich doch aneigenen.



          Müssen wir transgeschlechtliche Menschen doch auch, wenn wir die fachliche Meinung von Medizinern und Therapeuten verstehen wollen.



          Oder finden Sie es einfach nur unfair, dass eine fachliche Meiunung, die sich anhand von Fakten belegen läßt mehr Gewicht hat als ihr persönliches Bauchgefühl?

          Und was die Behandlung von transgeschlechtlichen Kindern angeht, stehen Mediziner und Therapeuten immer vor einem Dilemma. Auf der einen Seite, muss man sich sehr sicher sein, dass sich die Geschlechtsidentität des Kindes nicht mehr ändert, auf der anderen Seiten ist es unmöglich einem Kind zu zumuten eine Pubertät durchzumachen, die nicht seinem Selbstbild entspricht.



          Auch diese körperlichen Veränderungen können nicht mehr komplett ungeschehen gemacht werden. Ein transgeschlechtliches Mädchen wird ihre männliche Stimme nie wieder los, wenn der Stimmbruch durch ist. Dann hilft nur logopädisches Training oder eine Stimmband-OP. Das gleiche ist beim männlichen Bartwuchs, den wird sie dann auch nur noch mit Laser-Epilation los. Abwarten ist keine Option, weil es den transgeschlechtlichen Kindern unnötige Behandlung auslädet, um dass zu korrigieren, was man abwarten wollte. Und dazu noch zusätzlichen psychischen Stress, weil die Kinder eine Pubertät durchmachen, die sie gar nicht wollen.



          Dessen muss man sich immer bewußt sein, da hilft kein Bauchgefühl, kein gesunder Verstand oder sonst etwas. Abwarten schadet transgeschlechtlichen Kindern massiv. Sie müssen letztlich mit den Konsequenzen und Folgen leben, nicht ihre Ärzte, Theapeuten oder Eltern.



          Dieses Wissen muß man immer mit sich tragen. Deshalb hilft nur genauer zu diagnostizieren, um möglichst keine Fehler zu machen.



          Wer glaubt, dies sei der einfache Weg, der irrt gewaltig. Das ist der schwere Weg.