Transformation in der Coronakrise: Mit dem Schrubber im Homeoffice
Die meisten hoffen, dass irgendwann alles wieder so wird, wie es war. Aber was kann man in der neuen Corona-Normalität an Gutem finden?
W enn man versucht, dem Ende der alten Normalität etwas Gutes abzugewinnen, dann ist die erste Antwort: Reflektier erst mal Deine Privilegien, Alter. Dir geht’s ja gut, du bist nicht Risikogruppe, festangestellt, und außerdem hängst du Sack doch sowieso am liebsten zuhause rum. Aber die Kranken, die Alten, die Jungen, die Armen, die Frauen, die Freien, die Künstler, die Klein- und Mittelunternehmer, die Autoindustrie, alle schlimm dran. Und die Grünen erst!
Etwas Gutes zu suchen oder gar zu finden, gilt fast schon als obszön, wo es vielen objektiv schlechter geht. Und sie womöglich auch dauerhaft weniger haben werden als bisher. Das betrifft speziell die Unter-40-Jährigen, wenn die Corona-Billiarden in der EU nur nach hinten und nicht in Zukunft investiert werden. Um es mal ganz brutal zu sagen: Die Alten, denen es wirklich dreckig gehen könnte, weil der Staat sie nicht mehr retten kann, das sind die Jungen von heute.
Aber was interessieren uns Leute, die in 50 Jahren sterben? In der Tendenz favorisieren wir die Vollnarkose-Erzählung: Es ist schlimm, nichts wird sein wie vorher, aber irgendwie wird alles so weitergehen wie vor der Epidemie, jedenfalls für mich, mein Unternehmen und meinen individuellen Lebensstil.
Da eine Mehrheit für europäische Zukunftspolitik zu gewinnen, ist eine echte Herausforderung, die bei einem selbst beginnt. Noch härter aber ist es, sagen zu können, was man als mündiger Mensch selbst jetzt anders machen kann und auch will.
Homeoffice selbst putzen
Hm, mal sehen: Seine „Geschäftsmodelle“ ins Digitale verlagern! Yeah. Es wäre systemrelevant für die Berliner Mittelschicht, wenn das zunächst und subito bei ihren ukrainischen Raumpflegerinnen hinhaute, die alle vor Wochen abgedampft sind. Homeoffice ist ja schon hart, aber es auch noch selbst zu putzen?
Meetings „im Netz“, Online-Panels, Seminare von der Datsche aus, virtuelle „Events“, das sind bisher so die schockbebendsten Change-Vorstellungen. In Wahrheit also Business as usual.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Leider muss ich mir abschminken, dass ich selbst die große Ausnahme bin und total aufbruchbereit. Is' nicht so. Meistens sitzt man so da und wartet, dass das Programm weitergeht. Wie früher bei den Störungen im Fernsehen („Bitte haben Sie etwas Geduld.“).
Zukunft kann man ja blöderweise auch nicht mit Denunzieren anderer unter der Nummer 110 bestellen. Oder mit einem Grünen Lynchmob zur Rettung der Menschenwürde gestalten. Aber diese Woche sprach ich mit einer bisher erfolgreichen Unternehmerin, die die neuen Probleme von Selbstständigen hat, keine Projekte, keine Einnahmen, Kurzarbeit, Mietsorgen undsoweiter. Die erzählte mir in Toppstimmung, was sie jetzt Gutes entdeckt, es war eine ganze Menge und kaum romantisierend.
Ich sagte bockig: „Naja, Sie sind auch privilegiert“.
Nicht mal damit konnte ich sie stoppen. Sie ist nicht darauf fixiert, „ihr Business zu retten“, was von der Denkanlage her eine Rückwärtsbewegung bedeutet. Sie will die neu gefundenen Freiheiten und Möglichkeiten ausbauen. Den weggefallenen Bullshit nicht zurückholen, den gewonnenen Raum, die gewonnene Zeit und eine neue Solidarität genießen, die sich dem produktiven Umgang mit gegenseitigen Abhängigkeiten verdankt. „Die Welt ist so, wie ich immer ahnte“, sagte sie aufgekratzt. „Im Schlechten, aber eben auch im Guten: Es geht alles.“
In dem Moment fiel mir ein, dass meine Frau mich neuerdings den „Pastor“ nennt. Und ich dachte: Geil. Damit schließe ich meine Wochenendpredigt ab.
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