Trans* in den Medien: „Berichterstattung schürt Angst“
Vor einem Jahr lancierten Trans*vereine eine Petition für bessere Berichterstattung über Trans*themen. Jenny Wilken über den Stand der Debatte.
taz: Trans*feindliche oder zumindest unsensible Beiträge sind in deutschen Medien leider keine Seltenheit. Was löst das in Ihnen aus?
Jenny Wilken: Es ärgert mich. Solche Beiträge erscheinen immer noch in schöner Regelmäßigkeit. Von rechten Medienbeiträgen mal abgesehen. Oft sind die Sendung oder auch die Journalist:innen sehr uninformiert. Im besten Fall wissen sie es nicht besser. Im schlimmsten Fall machen sie es mit Absicht. Inklusion von queeren Menschen ist nicht erst seit gestern ein Thema. Es gibt schon seit über zehn Jahren gute Medien-Leitfäden. Der Bundesverband Trans* hat viel dazu gemacht. Und ich weiß, dass die Öffentlich-Rechtlichen, also ARD und ZDF, diesen Sommer eine Schulung zum Thema trans*sensible Sprache und Berichterstattung angeboten haben.
Die Petition der dgti mit Namen „Transmedienwatch“ wurde vor einem Jahr veröffentlicht. Was war der konkrete Anlass dafür?
Zum einen eben genau solche diskriminierenden Beiträge. Zum anderen hat uns die Berichterstattung rund um das damals entstehende Selbstbestimmungsgesetz zur Petition getrieben. Es war so viel Meinung im Umlauf und so wenig Wissen. Dem wollten wir zusammen mit den anderen Institutionen etwas entgegensetzen.
leitet die Bundesgeschäftsstelle der dgti e.V. (Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität).
Sind Sie zufrieden mit dem Outcome?
Jein. Gerade öffentlich-rechtliche Medien nehmen die dgti immer stärker als Vertretung wahr und fragen uns für Berichte, Recherchen und Interviews an. Das ist gut. Andererseits gibt es immer noch viele unsensible, unreflektierte Beiträge, bei denen man sich denkt: Sind die in den Fünfzigern stecken geblieben?
Anscheinend werden zumindest vermehrt Betroffene als Expert:innen angefragt.
Und das ist absolut wünschenswert. Wir haben das Fachwissen und geben es gerne weiter, wenn wir gefragt werden.
Was sind im Moment noch die größten Probleme in der Berichterstattung über trans* Personen?
Es wird Angst geschürt. Ganz beliebt ist das „Bedrohungsframing“ à la: Jetzt kommt etwas ganz Schlimmes auf uns zu. Dabei geht von queeren Menschen keinerlei Gefahr aus. Wir wollen niemandem etwas Böses. Außerdem werden trans* Personen oft einseitig und eindimensional porträtiert. Die Trans*Identität steht im Fokus und nicht der Mensch dahinter. Die Person wird zu etwas Exotischem gemacht. Dass eine trans* Frau durchaus erfolgreich sein kann, ein Unternehmen leitet oder sonst irgendetwas Großartiges macht, darüber wird nicht berichtet. Als wäre die Trans*Identität allein das, was sie ausmacht.
Fällt Ihnen ein Fauxpas ein, der wirklich einfach zu vermeiden wäre und trotzdem immer wieder gemacht wird?
Die Benennung des „Deadname“. Das ist der abgelegte Name, der nicht mehr verwendet werden sollte. Ein banales Beispiel: Vera Müller, vorher Peter Müller, hat eine Geschlechtsangleichung hinter sich. Dann steht in der Schlagzeile: Peter lebt jetzt als Frau. Das ist plakativ gesprochen, passiert aber genau so. Der Name hat aus guten Gründen nichts in der Öffentlichkeit zu suchen, weil es nicht der Name ist, der zur Identität passt.
Trans* Personen haben in den letzten Jahren trotz allem mehr Sichtbarkeit in den Medien erfahren. Eine wichtige Entwicklung, die anscheinend auch im deutschen Fernsehen angekommen ist.
In der Fernsehlandschaft hat sich einiges getan. Trans* Personen werden in Filmen und Serien auch von real life trans* Personen gespielt. Im „Polizeiruf“ hatten sie letztes Jahr den trans* Mann Jonathan Perleth in der Hauptrolle. Diese Sichtbarkeit ist vor allem für junge Menschen enorm wichtig, die mit ihrer Identität hadern. Und für den Rest dreht sich die Welt doch trotzdem weiter.
Hat die erhöhte Sichtbarkeit Konsequenzen für queere Menschen?
Es kommen mehr Anfeindungen. Das liegt aber nicht allein an der erhöhten Sichtbarkeit, sondern auch am gesellschaftlichen Rollback. Alles, was mit Vielfalt und Offenheit zu tun hat, wird angegriffen. Konservative Kräfte drehen das Rad zurück, kommen mit dem Wandel nicht zurecht. Auch die Pandemie, wirtschaftliche Krisen und soziale Ungleichgewichte sind Nährboden für Unzufriedenheit. Große Anti-Gender-Kampagnen aus den USA oder Russland, die massiv mit Geldern gefördert werden, unterstreichen das.
Unzufriedenheit ist bekanntlich ein guter Nährboden für Hass. Von bösen Zungen wird oft behauptet, dass die queere Community zu stark polarisiere.
Sie kann gar nicht genug polarisieren. Queere Menschen sind nach wie vor rechtlich gesehen im Nachteil. Ihnen wird keine volle Gleichberechtigung zuteil. Darauf aufmerksam zu machen, diese Missstände immer wieder zur Sprache zu bringen, das ist notwendig und hat nichts mit radikalen Forderungen gemein. Wenn das schon „zu viel“ ist, dann weiß ich auch nicht weiter.
Eine beliebte Kritik, auch in Bezug auf die leidige Gender-Debatte, ist, dass Menschen mit Lernschwäche oder Migrationshintergrund bei dem „Wirrwarr“ ja gar nicht mehr durchblicken. Wie nehmen wir alle Leser:innen mit auf die Reise zu einer inklusiven und sensiblen Sprache?
Sensibilisierung und Aufklärung, also Bildungsarbeit letztlich. Es gibt wunderbare Materialien zu LSBTI und auch für Deutsch als Fremdsprache und Zweitsprache. Mit der Einführung der dritten und vierten Option im Personenstandsregister – also divers und freilassen – hat der Gesetzgeber versäumt, für Klarheit zu sorgen, was sprachliche Regelungen betrifft. Das müssen wir jetzt nachholen. Denn es ist schlicht eine Frage des Respekts, Menschen, die weder männlich noch weiblich sind, entsprechend richtig anzusprechen und auch mittels Gendersternchen mit zu nennen. Deswegen bin ich auch die Debatte übers Gendern leid. Sprache verändert sich schon immer. Heute wird keine junge Frau mehr als Fräulein angesprochen, hoffe ich jedenfalls. Die Rechtschreibreform hat auch jede:r mitgemacht und verstanden.
An Schulen in Sachsen und Sachsen-Anhalt soll das Gendern verboten werden. Was würde die Unterlassung bedeuten?
Eine falsche Anrede hat psychische Auswirkungen auf Jugendliche, die in ihrer Findungsphase oder ihrem Coming-out stecken. Im schlimmsten Fall geht es hier um Leben oder Tod. Genau dafür müssen wir sensibilisieren. Queere Menschen wollen niemanden schikanieren. Wir haben vier Personenstände und die müssen sprachlich abgebildet werden. Das erkennt auch der Rat für deutsche Rechtschreibung an.
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