Trainerwechsel beim VfL Wolfsburg: Gefühlte Perspektivlosigkeit
Beim Fußball-Bundesligisten VfL Wolfsburg hat man den Glauben an Valérien Ismaël verloren. Andries Jonker soll nun den Abstieg verhindern.
Fünf Siege aus fünfzehn Spielen seit Übernahme des Jobs im Oktober ist nicht viel, aber auch nicht ganz desaströs. Da die Konkurrenz auch so schwach ist, steht man damit immer noch vier Punkte über dem direkten Abstiegsplatz.
Weil im Fußball die gefühlte Realität der Profis großen Einfluss auf die produzierte Realität der Ergebnisse hat, spielt der Glaube an den Trainer eine entscheidende Rolle. Insofern ist auch die immer gern kommunizierte Äußerung, man werde „analysieren“ und „bewerten“ eine Vortäuschung von Wissenschaftlichkeit. Letztlich entscheidet das Gefühl des Moments im Gremium, ob man mit dem jeweiligen Trainer weitermacht oder nicht.
Das Gefühl beim VfL war am Sonntagabend: Nein. Weshalb seit Montag ein neuer Mann das Training leitet: Andres Jonker, 54, zuvor Jugendkoordinator in Arsenal und zwischen 2012 und 2014 schon mal beim VfL, als Co- und Taktiktrainer. Jonker war auch schon Assistent von Louis van Gaal beim FC Bayern München und nach dessen Entlassung für fünf Spiele dort Interimschef.
13:1 Ecken gegen Bremen reichten nicht
Selbstverständlich kann man mit Gründen argumentieren, das jüngste 1:2 gegen den direkten Konkurrenten Werder Bremen sei das beste Wölfe-Spiel seit langem gewesen. 13:1 Ecken und 27:7 Torschüsse sind der Beleg dafür, dass der VfL in der Lage war gegen eine formierte Werder-Abwehr mit Kombinationsfußball (72 Prozent Ballbesitz) viele, viele Chancen herauszuspielen.
Die Betonung liegt auf „spielen“. Die tiefstehenden Bremer wurden ordentlich zugepresst, der Matchplan im Grunde weitestgehend durchgezogen. Das ist das Plus.
Allerdings: Der Gegner war Werder Bremen und Werder war, bei allem Respekt, erdenschlecht. Wenn man selbst gegen so einen Gegner nur einen Treffer erzielt (19., Mayoral), dessen einzige Waffe (Standards) ignoriert und dann verliert, wer soll denn dann am Ende tabellarisch noch hinter einem stehen? Das ist das riesige Minus.
Ironischerweise ist es ja im Fußball und speziell im Abstiegskampf so, dass ein „unverdienter“ Sieg einem Team wie nun Werder womöglich erst richtig Auftrieb gibt, weil es die gefühlte Realität widerlegt, dass eine Aneinanderreihung von Pech und Unrecht zu der Misere geführt habe. Eine Niederlage trotz guten Spiels dagegen bestätigt die Spieler in ihrem Groll, dass sich wirklich alles gegen sie verschworen hat. Die Entlassung des Trainers ist dann auch ein Ritualopfer, das gebracht wird, um den vermeintlichen Fluch zu bannen.
Eine Notallianz
Somit ist Jonker nach Dieter Hecking und Valérien Ismaël nun schon der dritte Mann, der in dieser Saison den VfL trainiert. Ismaëlhatte Heckings zuletzt erfolglosen Ballbesitzfußball durch den mittlerweile in der Liga üblichen Umschaltfußball ersetzt und hinten auf Fünferkette umgestellt. Stabiler wurde der VfL dadurch aber nicht grundsätzlich, sondern nur manchmal.
Das grundsätzliche Problem dahinter ist der enorme Spannungsabfall im Team, wenn es nicht – wie in den Jahren zuvor – in der Ligaspitze und der Champions League mitmischt. Offenbar sind manche hochbegabte Profis irgendwann nicht mehr in der Lage, sich maximal zu engagieren. Deshalb ist auch die permanente Behauptung, das Team sei „zu gut“ um abzusteigen, eine self-fulfilling prophecy des Gegenteils. Es geht jetzt sehr wahrscheinlich nicht um eine neue Spielidee, es geht um eine Notallianz.
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