piwik no script img

Tour de FranceGroße Schleife mit Dominator

Am 5. Juli startet die Tour de France der Männer. Der Radsport leidet unter der Überlegenheit von Tadej Pogačar. Der Dauersieger ist ein Problem.

Gewohntes Bild: Tadej Pogačar jubelt, hier beim belgischen Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich im April Foto: AP Photo/Geert Vanden Wijngaert

Die wichtigsten Protagonisten versuchen sich derzeit noch in dünner Luft perfekt vorzubereiten: auf die Tour de France der Männer, die am 5. Juli in Lille startet. Tadej Pogačar in den französischen Meeralpen auf der Skistation Isola 2000, Jonas Vingegaard, Remco Evenepoel und Primož Roglič alle­samt etwas weiter nördlich in Tignes.

Über Vingegaard, zweifacher Toursieger 2022 und 2023 und mit maximalen Revanchegelüsten nach dem verlorenen Wettstreit im vorigen Jahr, sind aus dem Trainingslager schon kuriose Details bekannt. Ein Fan beobachtete den Dänen, wie er nach einem Bergaufsprint das Rad tauschte und mit einem anderen Untersatz talwärts raste. Hier eröffnet sich ein Spekulationsfeld über die Suche nach den marginal gains, den kleinen Vorteilen, die addiert zu einem großen werden können.

Viele Hersteller, so auch Cervélo, der Radlieferant von Vingegaard, bieten seit geraumer Zeit neben ultraleichten Rädern fürs Bergauffahren auch aerodynamisch optimierte Maschinen an. Gut möglich, dass Vingegaard testete, nach einer Bergaufaktion auf Cervélos Klettermodell R5 für die Bergabsause auf das Aeromodell S5 umzusteigen. Das verspricht Kräftesparen bei gleichem Speed in der Abfahrt oder noch höhere Geschwindigkeiten, um Druck auf Pogačar auszuüben.

Gezwungen, an jedem Schräubchen zu drehen

Der dreifache Tour-de-France-Sieger und amtierende Weltmeister Pogačar fuhr derart überlegen, dass die Rivalen gezwungen sind, an jedem Schräubchen zu drehen. Die gute Nachricht dabei ist: Im Lager Vingegaards glaubt man noch an die Chance. „Wir müssen uns auf unsere eigenen Leistungen und den Formaufbau von Jonas konzentrieren. Das ist das, was wir beeinflussen können“, versuchte der Head of Performance Mathieu Heijboer es mit Optimismus.

Bei vielen anderen aber herrscht Resignation. „Für uns als Trainerteam ist es frustrierend: Wir finden momentan einfach nicht die Antwort, wie man einen Fahrer wie Pogačar herausfordern kann. Mit all den Informationen, die wir durch unsere Fahrer in den gleichen Rennen bekommen, fällt es uns schwer, zu verstehen, was wir sehen“, meint Peter Leo. Der Österreicher arbeitet für den australischen Rennstall Jayco Alula, der mit Ben O’Connor einen Kandidaten für die Top-5 in Paris im Kader hat.

Rückstand ist offensichtlich

O’Connor liefert beständig gute Werte, hätte fast die Vuelta 2024 gewonnen. Der Rückstand zu Pogačar ist aber offensichtlich. „Vielleicht verstehen wir in Zukunft besser, was wir tun können“, so Leo in einem Gespräch mit dem Magazin Velo. In der Gegenwart gibt Pogačar, dieser (Fast-)Allesgewinner, sogar den Trainingswissenschaftlern Rätsel auf.

Das ist das eine Problem des Straßenradsports. Tadej Pogačar ist derart überlegen, dass der Rest des Feldes schon durch die Präsenz des Weltmeisters eingeschüchtert wirkt. „Meiner Erfahrung nach fährst du in Rennen, in denen Pogačar an den Start geht, nur noch um den zweiten Platz“, drückte das spanische Talent Iván Romeo eine weit verbreitete Haltung aus. Romeo ist immerhin U23-Zeitfahrweltmeister und einer der wenigen, die bei der letzten Dauphiné-Rundfahrt zu einem Etappensieg kamen (Pogačar selbst holte deren drei und natürlich auch die Gesamtwertung). Vingegaard blieb beim letzten Tour-Vorbereitungsrennen ganz klar im Schatten des Slowenen.

Tour-Organisatoren besorgt

Das Ausmaß der Überlegenheit des Slowenen besorgt auch die Tour-Organisatoren. Ein Star, ein Gesicht, das alle kennen, ist zwar gut fürs Vermarktungsgeschäft. Ein Star, der über allen schwebt und stets gewinnt, verbreitet in den Rennen aber Langeweile. Und weil Pogačar meist gewinnt, wenn er an den Start geht (12 Siege bei 22 Wettkampftagen in dieser Saison, 28 Siege bei 58 Wettkampftagen im vorigen Jahr) ist die Frage nach dem Ausgang eines Rennens oft schon mit der Vergabe der Startnummern beantwortet. Heftet sich Pogačar auch eine an, kann man rein statistisch schon bei der Hälfte der Rennen die erste Zeile des Ergebnisprotokolls vor dem Startschuss korrekt ausfüllen.

Weil die wilden alten Zeiten des Radsports lange vorbei sind, kann Tour-de-France-Organisator ASO nicht einmal Problemlösungen vom Giro d’Italia abkupfern. 1930 boten die Giro-Planer dem damals schon vierfachen Gesamtsieger Alfredo Binda an, ihm all die Prämien zu zahlen, die er ohnehin gewinnen würde, nur damit er bitte, bitte, nicht zum Giro käme. Binda akzeptierte, fuhr während des Giros ein paar Bahnrennen. Und der Giro, der in den Jahren zuvor eine klare Sache mit mal 27 Minuten, mal 18 Minuten Vorsprung für Binda war, wurde in dessen Abwesenheit zu einem engen Rennen mit nur 52 Sekunden zwischen den ersten beiden und weniger als zwei Minuten zwischen den ersten drei.

Sportswashing weniger attraktiv

Aber für Pogačar gibt es im Juli kein attraktives Alternativprogramm. Geld genug hat er ohnehin. Und dann macht ihm Radsport ja auch noch Spaß. Seine Sportswashing-Geldgeber aus den Vereinigten Arabischen Emiraten würden es wahrscheinlich auch nicht goutieren, wenn ihr Markenbotschafter Nummer 1 die größte Werbeplattform der Branche links liegen ließe.

Für die Branche stellt sich eher das Problem, dass Sportswashing angesichts des Höhenflugs von Regelbrechern jeder Art, ob in Moskau, Tel Aviv, Washington und, ja, auch Berlin – siehe „Drecksarbeit“-Bejubler Friedrich Merz – an Attraktivität rapide verliert. Ein Image muss nicht mehr teuer poliert werden, denn „Dreck“ is beautiful. Das könnte in naher Zukunft Auswirkungen auf die Budgets von Team UAE Emirates, Bahrain Victorious, Jayco Alula, Astana XDS und dergleichen haben.

Minimum an Spannung

Als Rettungsstrategie für ein Minimum an Spannung sind die Streckenplaner der Tour de France auf den Gedanken verfallen, möglichst viele der Gipfel, bei denen Pogačar in der Vergangenheit etwas weniger souverän wirkte als gewohnt, ins Programm zu nehmen. Das Pyrenäen-Triple der 12., 13. und 14. Etappe beginnt ausgerechnet in Hautacam. Dort wurde Pogačar 2022 von Vingegaard und dessen Teamkollegen Wout van Aert so gekonnt in die Zange genommen, dass er eine Minute gegen den Dänen verlor und damit auch jede Hoffnung auf eine Titelverteidigung.

Auch der Mont Ventoux ist wieder dabei. 2021 musste Pogačar beim Aufstieg auf den Riesen der Provence erleben, wie Vingegaard ihn kurz mal abhängte und aus dem Schatten als Ersatzmann für Primož Roglič trat (16. Etappe). Und der Col de la Loze, wo Pogačar 2023 gegen einen wie entfesselt fahrenden Vingegaard fast sechs Minuten verlor – die wohl schlimmste Schlappe in seinem Berufsradfahrer­leben – ragt am Ende der Königsetappe (Nummer 18) der diesjährigen großen Schleife auf.

„Gießen nur Öl ins Feuer“

Die Geschichte scheint da mal gegen Pogačar zu sprechen. Der Slowene allerdings fühlt sich von so viel Aufmerksamkeit eher geehrt – und prächtig herausgefordert. „Vielleicht wollen mich die Organisatoren so kriegen, indem sie die drei Berge, bei denen ich nicht exzellent war, auswählten. Aber damit gießen sie nur Öl ins Feuer“, sagte er.

Außerdem gibt es genug Etappen, die ihm vom Profil her liegen. Die erste Woche in Nordfrankreich bietet gleich drei Hügeletappen (4., 6., 7.), die den explosiveren Slowenen gegenüber Vinge­gaard und Evenepoel begünstigen. Auch beim Bergzeitfahren in den Pyrenäen (13. Etappe) ist Pogačar eindeutig favorisiert. Am Tag darauf muss auch die Konkurrenz erst einmal genug Luft haben, um Riesenberge wie den Tourmalet, den Col d’Aspin und den Col de Peyressourde zu bezwingen und dann zum großen Showdown in Superbagnères aufzurufen.

Am Ende meinten es die Organisatoren noch supernett mit dem Überfahrer der Gegenwart. Statt des gewohnten Sprint Royal auf den Champs-Élysées könnte es ein Klassikerfinale geben. Gleich dreimal muss der Pariser Stadtberg Montmartre erklommen werden: Für den zweimaligen Sieger der Flandernrundfahrt die allerbeste Gelegenheit, im Klassement noch etwas zu korrigieren, falls da etwas schiefgelaufen ist.

Augen auf Lipowitz

Die Augen der deutschen Fans werden derweil vor allem auf Florian Lipowitz gerichtet sein. Der frühere Biathlet drang bei der Dauphiné-Rundfahrt in die Phalanx der großen drei ein, verdrängte Evenepoel noch vom dritten Platz hinter Pogačar und Vingegaard. Dass ihm Gleiches über drei Wochen gelingt, wäre vermessen anzunehmen. Auch wird er von seinem Team zunächst als Helfer für Kapitän Roglič eingesetzt. Wie schnell Helfer für Furore sorgen können, zeigte allerdings schon Vingegaard 2021, als sein damaliger Chef Roglič wegen Sturzproblemen aufgeben musste.

Auch die Tour de France 2025 wird ihre Helden finden. Als Gewähr, dass das Dopingkontrollprogramm mehr ist als ein hübsches Arbeitsbeschaffungsprogramm für medizinisches Fachpersonal, wäre der eine oder andere Treffer bei den Kontrollen aber auch gut. Vor zehn Jahren wurde der letzte Sünder bei der Tour erwischt. Extrem schwache Kontrollperformance.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!