Tour-de-France-Fahrer Chris Froome: Wieder voll auf der Rolle
Der viermalige Tour-de-France-Sieger Chris Froome sieht sich erneut für große Aufgaben gewappnet. Auch deshalb befeuert er Wechselgerüchte.
Chris Froome richtet es sich derzeit in Widersprüchen ein. „Ich bin froh, dass wir endlich wieder draußen auf der Straße fahren können“, teilte er zwar bei einer Telefonkonferenz Anfang der Woche mit. Den Sonntag wird er trotz schönem Wetter dennoch indoor auf der Rolle verbringen. Denn er nimmt an der „Challenge of the Stars“ teil, einem neuen virtuellen Rennformat vom Giro-Ausrichter RCS.
Acht Kletterer, unter ihnen auch der Toursiegerkollege Vincenzo Nibali, nehmen da eine virtuelle Steigung des Stilfser Jochs in Angriff. Das Format sieht zunächst vier Mann-gegen-Mann-Duelle vor. Die Sieger kommen ins Halbfinale, die Sieger dort bestreiten das Finale. „Es ist wie ein Tennisturnier, nur auf dem Rad und eben zu Hause“, beschrieb Paolo Bellino, Generaldirektor von RCS, das Reglement.
Froome will das Rennen gerne gewinnen: „Ich bin ein Rennfahrer. Und egal ob es ein kleines virtuelles Rennen ist oder ein Kampf gegen 200 andere auf der Straße, ich will immer um den Sieg mitfahren.“
Es wäre, man staune, sein erster Sieg nach zwei Jahren. 2018 gewann er den Giro d’Italia. Das Unterfangen raubte ihm so viel Substanz, dass er den erstrebten Toursieg im gleichen Jahr dem Teamkollegen Geraint Thomas überlassen musste. Weil neben dem Sieg bei großen Rundfahrten sonst kaum etwas zählt für Froome und andere Rennen bestenfalls als Vorbereitung dienen, kam bis zum Criterium du Dauphiné 2019 auch kein weiterer Erfolg hinzu. Bei der Dauphiné stürzte er schwer und kämpft seitdem um die Rückkehr auf alte Formhöhen.
„In der Nähe meiner alten Form“
Die Ausgangsbeschränkungen der Covid-19-Pandemie kamen ihm daher zupass. Rennen finden momentan nicht statt – sieht man von der unterklassigen 3-Etappen-Fahrt Klatrekongen Fuel of Norway ab, die an Christi Himmelfahrt unter Ausschluss von Zuschauern begann. Währenddessen kann Froome im Training Boden gutmachen auf die Konkurrenz. Bis zu sieben Stunden blieb er pro Tag auf der Rolle, sagte er. „Ich habe dabei viel Musik gehört, viel laute Musik. Das hat die Beine angetrieben“, sagte er auf der virtuellen Pressekonferenz. „Ich bin in der Nähe meiner alten Form“, bilanzierte er. Seine Top-Verfassung will er dann auch am Sonntag zeigen. Genug auf der Rolle trainiert habe er ja, um fit genug fürs virtuelle Rennen zu sein, meinte er leicht sarkastisch.
Antreten wird er im gewohnten Ineos-Trikot. Das wäre keine Meldung wert, wenn Froome nicht selbst die Spekulationen um einen Wechsel des Arbeitgebers befeuern würde. Er stecke im Sondierungsprozess, teilte er mit. „Ich werde die nächsten Schritte in den nächsten Wochen und Monaten machen. Hoffentlich werde ich dann etwas mehr Klarheit haben, was die Zukunft bringen wird.“
Sein Vertrag mit Team Ineos läuft Ende 2020 aus. Dass noch keine Verlängerung verkündet wurde, deutet auf Nachdenken beider Seiten hin. Die zwei anderen Toursieger im Team sind länger gebunden, der Kolumbianer Egan Bernal bis 2023, Thomas bis 2021. Dem 23-jährigen Bernal gehört die Zukunft. Froome – er wurde am Mittwoch 35 Jahre alt – will unbedingt die Toursiege fünf und sechs. Bei Ineos ist er aber nicht mehr automatisch Kapitän. Das dürfte den Wechselwillen verstärken.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Der Branchendienst Cyclingnews spekulierte, dass Froome bereits die auf den Herbst verschobene Tour 2020 in neuem Outfit bestreiten könnte. Angesichts der angekündigten Ausreisebeschränkungen für Kolumbianer bis 31. August, die die Regierung in Bogotá verhängte, wäre es allerdings äußerst unklug von Ineos, sich vorfristig vom alten Vorfahrer zu trennen.
Für die Zeit danach kommen verschiedene Rennställe in Frage. Das spanische Team Movistar hat die Planstelle Rundfahrtsieger aktuell nur mit dem Talent Enric Mas besetzt. Sylvan Adams, Geldgeber von Israel Start-Up Nation, ist für überraschende Coups bekannt. Eine Verpflichtung von Froome würde noch mehr Aufmerksamkeit auf Israel lenken. Adams’ Millionen hatten bereits den Giro-Start 2018 in Jerusalem ermöglicht. Bahrain McLaren und der von Rückkehrer Bjarne Riis geführte Rennstall NTT sind weitere mögliche Destinationen. Viel Trubel im gelockerten Lockdown für Froome also.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“