Radsport in der Corona-Pause: Virtuell bergauf ­– analog bergab

Virtuelle Rennen bescheren dem Frauenradsport ein nie gekanntes Maß an Aufmerksamkeit. Derweil steuern etliche Straßenteams auf eine Pleite zu.

Anstieg zu einer ausgebremsten Saison: Team Bigla-Katusha trainiert im Februar in Valencia Foto: Sean Robinso/velofocus

Die Covid-19-Pandemie hat auch emanzipatorische Potenziale. Gesamtgesellschaftlich stellt zwar das Homeoffice-Regime einen Rückschritt dar. Denn es bringt Frauen zurück an den Herd, wie es in vergleichbarem Ausmaß wohl nur nach Ende des Zweiten. Weltkriegs geschah, als die von den Schlachtfeldern heimgekehrten Männer die Arbeitsplätze in den Fabriken übernahmen, die zuvor ihre Ehefrauen, Schwestern, Töchter und Mütter besetzt hatten. Im Profiradsport zumindest sind aber auch positive Signale zu entdecken. In zahlreichen virtuellen Rennen gehen Männer und Frauen gemeinsam an den Start, etwa beim virtuellen Giro d’Italia.

Der geht über sieben Etappen bis zum 9. Mai. Bei den kommentierten Liveübertragungen werden Stars des Frauenradsports wie Ex-Weltmeisterin Lizzie Deignan genauso gefeaturt wie Ex-Toursieger Vincenzo Nibali. Auch ins Wohnzimmer der kolumbianischen Radsportlerin Liliana Moreno wurde geschaltet, als sie den virtuellen Anstieg zur legendären Wallfahrtskirche nach Madonna di Campiglio hinauffuhr. Auch bei der „Tour for All“, einer 5 Etappenfahrt vom 4. bis 8. Mai auf der Plattform Zwift, die bei Eurosport übertragen wird, starten weibliche und männliche Profis gemeinsam.

„Diese größere Sichtbarkeit tut dem Frauenradsport gut“, meint Ronny Lauke, Chef des deutschen Profiteams Canyon SRAM und seit mittlerweile einer Dekade im Frauenradsport als Manager aktiv. „Jeder hat zu Hause ein Fahrrad und eine Rolle. Das macht es einfacher und auch vergleichbarer. Alle können zur gleichen Zeit auf die Strecke gehen und gegeneinander fahren.“

Lauke und sein Team gehören zu den Pionieren des Sports an der Rolle. 2016 bereits entwickelten sie die Zwift Academy, einen offenen Wettbewerb auf der virtuellen Plattform, in den auch Trainingssessions integriert sind. 2017 sprangen die Männer auf. Wer gewann, erhielt einen Profivertrag, die Frauen bei Laukes Team, die Männer bei Dimension Data.

Von der Rolle auf die Straße

Während die männlichen Watt-Giganten über Einsätze bei zweit- und drittklassigen Rennen nicht hinauskamen, setzte Lauke seine Indoor-Champions auch bei den hochkarätigen Rennen ein. Ella Harris, Siegerin der Zwift Academy 2019, holte in dieser Saison sogar schon ihren ersten Profisieg auf der Straße. „Wir haben schon lange an diese Art von Radsport geglaubt, dass das eine Marktlücke ist und sich entwickeln kann“, bilanziert Lauke. Er hofft zugleich, dass die virtuelle Gleichberechtigung auch Auswirkungen auf den Rennkalender auf der Straße hat.

Seine Wünsche werden zumindest zum Teil von den Rennveranstaltern erfüllt. Der Ausrichter der Klassikerrennen in Flandern gab bekannt, dass er selbst in dieser durch Corona geschädigten Saison alle seine Rennen auch für die Frauen ausrichten will: Flandernrundfahrt, Gent-Wevelgem und Omloop Het Nieuwsblad. Neuer Termin: irgendwann im Oktober.

Lauke bescheinigt auch dem Weltradsportverband UCI und hier besonders der Generalsekretärin Amina Lanaya tatkräftige Hilfe beim Retten des Wettkampfkalenders der Frauen. „Ich kann nicht in die Kerbe hauen und sagen, die UCI tue nichts für die Frauen“, sagte er der taz. Die Fah­rerinnen­ge­werkschaft TCA hatte vor zwei Wochen die UCI dafür kritisiert, dass diese sich nur auf den Männerkalender konzentrieren würde.

Düstere Aussichten

Wirtschaftlich indes schaut es düster aus bei vielen Rennställen. CCC, Hauptsponsor eines Männer- und eines Frauenteams, reduzierte die Zahlungen drastisch. Bigla und Katusha, Sponsoren des gleichnamigen Frauenrennstalls, stellten die Zahlungen komplett ein. Das Management startete eine Crowdfunding-Kampagne. Ziel: 170.000 Schweizer Franken. Nach drei Tagen kamen magere 4.500 Franken zusammen.

Das Lizenzierungsverfahren der UCI sieht Bankbürgschaften für drei Monatsgehälter vor; aus diesen Bürgschaften können alle Angestellten bezahlt werden. Danach wird es eng. Lauke, der auch Sprecher der Rennstallvereinigung Unio ist, der 22 Rennställe des Frauenradsports angehören, sagt: „Wir haben eine Umfrage unter den Rennställen gemacht. Die Hälfte von ihnen befürchtet, dass sie nach Aufhebung der Reisebeschränkungen nicht mehr das Geld haben für die Reisekosten zu den Rennen.“ Das Fahrerinnenfeld wäre reduziert, weil das Budget nicht mehr für Flug­tickets und Spritkosten ausreicht.

Herbe Aussichten für den Offlinesport.

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