Tote Frau in Brandenburg: Schwere Vorwürfe gegen die Polizei
Hat die Polizei genug getan, um das Verschwinden einer Kenianerin im Kreis Elbe-Elster aufzuklären? Der Verein Opferperspektive sagt: nein.
Berlin taz | Nach dem mutmaßlichen Mord an einer 32-jährigen Kenianerin erhebt der Verein Opferperspektive Brandenburg schwere Vorwürfe gegen die Polizei. Die örtlichen Beamten hätten über Wochen zu wenig getan, um das Verschwinden von Rita O. aus dem Asylbewerberheim nahe des Örtchens Hohenleipisch (Kreis Elbe-Elster) aufzuklären.
Die Frau, die seit sieben Jahren in Deutschland lebte und einen Duldungsstatus hatte, war am 7. April aus dem abgelegenen „Dschungelheim“ verschwunden, in dem sie mit ihren 2- und 4-jährigen Söhnen lebte. Doch die Polizei sei Hinweisen des Vaters der Kinder, der eine Gewalttat durch einen Heimnachbarn befürchtete, nicht nachgegangen, sagte Martin Vesely von der Opferperspektive der taz. Erst auf Druck seines Vereins sei der Wald ab dem 11. Juni mehrere Tage durchsucht worden. Dabei wurden menschliche Überreste gefunden, die per DNA-Analyse der jungen Frau zugeordnet wurden.
„Ich glaube nicht, dass man so zurückhaltend vorgegangen wäre, wenn eine weiße Deutsche verschwunden wäre“, kritisiert Vesely das Vorgehen der Beamten. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus, die die Ermittlungen führt, weist den Vorwurf am Freitag zurück: „Die Polizei hat alles getan, was in Vermisstensachen üblich ist.“
Vesely beschreibt das ganz anders. Ihm zufolge wendete sich der Vater der Kinder am 29. April an den Verein, weil die Polizei in Elbe-Elster seine Befürchtungen nicht ernst nahm. Zunächst habe sie am 10. April seine Vermisstenanzeige gar nicht aufnehmen wollen. Erst nachdem er in Berlin, wo er lebt, zur Polizei gegangen sei und diese in Elbe-Elster angerufen habe, sei dort die Aufnahme der Anzeige erfolgt.
Dabei habe der Vater die Beamten darauf hingewiesen, dass sein 4-jähriger Sohn gesehen habe, wie die Mutter am Tag ihres Verschwindens von einem Heim-Mitbewohner geschlagen und weggeschleppt worden sei. Die Beamten seien dem aber nicht nachgegangen. „Wir haben die Polizei am 30. April erneut auf diese Spur hingewiesen und gebeten, das Kind durch einen speziell geschulten Beamten zu vernehmen“, so Vesely. Ein Polizist habe erwidert, er habe selbst einen Sohn und könne das machen.
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft bestätigte das. „Ein „erfahrener Vernehmer“ habe das Kind an jenem Tag befragt, Spezialisten für Kinder „haben wir hier nicht“. Der Junge habe bei der Vernehmung aber „widersprüchliche Aussagen“ gemacht. Auch Befragungen von anderen Heimbewohnern hätten keinen Tatverdacht gegen den Zimmernachbarn ergeben. Offen bleibt: Warum wurde der 4-Jährige erst am 30. April vernommen – und hätte dies nicht doch durch geschultes Personal erfolgen müssen?
Zudem, sagt Vesely, habe sich der Vater und nach dessen Darstellung auch die Getötete schon früher bei der Heimleitung über den Zimmernachbarn beschwert. Dieser habe Rita O. bereits länger belästigt. Die Heimleitung habe aber nichts unternommen. Ein Sprecher der Betreiberfirma „Human Care“ sagte der taz mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen, dazu könne er nichts sagen.
Fest steht, dass die Polizei bis zum 9. Mai von keinem Verbrechen ausgeht, sondern die Sache als reine Vermisstensache behandelt. Dies geht aus einem Fax an die Opferperspektive hervor, das der taz vorliegt. Laut Judith Porath, auch Mitarbeiterin von Opferperspektive, hat der Verein daraufhin bei Landespolitikern, Polizeiführung und Staatsanwaltschaft Druck gemacht, „dass das der Fall nicht nur als Vermisstenfall behandelt wird“. Erst dadurch sei es zur Durchsuchung des Waldes und dem traurigen Fund gekommen.
Der Heimnachbar wurde vorige Woche – nach Protesten anderer Heimbewohner, schreibt der Tagesspiegel – in ein anderes Heim verlegt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiter in alle Richtungen, so der Sprecher. Allerdings sei die genaue Todesursache aufgrund des Zustands der Leiche womöglich nicht mehr feststellbar.
Die Flüchtlingsorganisation Women in Exile fordert angesichts der Ereignisse die sofortige Schließung des Heims. „Wieder zeigen sich ganz deutlich die Vernachlässigung und der Rassismus, die von den Geflüchteten schon so viele Jahre lang angeprangert werden“, heißt es in einer online veröffentlichen Erklärung „Für Rita, unsere Schwester R.I.P.!“
Leser*innenkommentare
Daniel Gergish
Ich habe diese traurige Nachricht mehr als drei mal gelesen und habe mich schlechte gefühlt(may the almighty God rest your Soul peace), weil ich auch auf der suche nach meiner vermissten Cousine und mit ihrem Baby bin. Seitdem 14.Januar 2019 wird sie mit ihrem Baby von ihrem Wohnheim vermisst und wir haben längere Zeit gewartet aber haben noch keine Nachricht von den Polizei oder anderen Behörden erhalten. Ich habe vielmals mit der Polizistin telefoniert, die zuständige für den Fall ist, erhielt ich nicht viele Informationen. Ich fordere die Polizei Homberg, Landespolitikern, Polizeiführung und die Staatsanwaltschaft stärker weiter zu suchen.
Wenn Deutschland ein sicheres Land ist, finden Sie bitte meine Cousine mit ihrem Baby.
Dr. McSchreck
Dass bei verschwundenen Erwachsenen erst relativ spät von einem Verbrechen ausgegangen wird, ist auch bei Menschen ohne Migrationshintergrund die Regel - nicht die Ausnahme.
Ebenso haben nur ganz wenige größere Polizeistationen speziell geschulte Beamte für die Vernehmung von Kindern - da man damals noch von einem Vermisstenfall ausging und ganz bestimmt nicht von einem Mord, hat man so einen nicht dazu gerufen.
90618 (Profil gelöscht)
Gast
@Dr. McSchreck Aber nicht im Falle einer Mutter, die ihre Kinder plötzlich alleine läßt.
Außerdem: Kurze Web-Suche nach "Frau vermisst" bringt sofort mehrere Fälle, bei denen die Polizei sofort bzw. nach wenigen Tagen mit Spürhunden oder Hubschrauber auf die Suche gegangen ist. Aber diese Frauen haben nicht in einem Flüchtlingsheim gelebt, sondern waren vermutlich Deutsche.
Was, außer Dummheit und Rassismus auf Seiten der Cottbusser Polizei, kann die Ursache für diese Ungleichbehandlung sein?
Dr. McSchreck
@90618 (Profil gelöscht) ich kann Ihnen umgekehrt x Artikel googeln, wo sich Angehörige beschweren, dass sie von der Polizei erst abgewimmelt wurden, weil "die meisten ja von allein wiederkommen". Die Anhörigen sagen dann immer: "aber er/sie nicht, das ist völlig untypisch" und trotzdem muss man erst mal kämpfen, dass überhaupt eine Meldung aufgenommen wird.
Zum "plötzlich allein lassen": die erste Anzeige sollte 3 Tage nach dem 7.4. aufgegeben werden, am 10.4. scheiterte die erste Anzeige, die nicht aufgenommen wurde. Anscheinend waren ja in den 3 Tagen die Kinder versorgt, zum Beispiel beim Vater?
blinde kuh
@Dr. McSchreck Ihre technokratische Verniedlichung und Rechtfertigung struktureller Missstände spricht Bände...
In Deutschland werden also Vermisstenanzeigen für Mütter, die ihre Kleinkinder plötzlich und ohne Ankündigung verlassen, standardisiert nicht bzw. erst > 4 Tagen und nach Hinweisen externer Dienststellen aufgenommen?
Und in der zweitgrößten Großstadt Brandenburgs hat man keine kinderpsychologisch ausgebildeten Beamten, sondern nur sich selbst überschätzende "Polizeiväter"?
Und ganz generell darf nach Müttern von Kleinkindern auch erst über 2 Monate nach deren Verschwinden gesucht werden?
Ihre Verteidigungshaltung gegen den Rassismusvorwurf ist nicht nur empathiebefreit, sondern insgesamt menschenverachtend - auch gegen "Menschen ohne Migrationshintergrund"! Sie normalisieren das strukturelle Defizit und ignorieren die damit verbundene Intersektionalität entlang von sozialem Status, Geschlecht und Herkunft. Strukturelle Missstände wirken sich eben IMMER auf alle Diskriminierungslinien aus.
Und im übrigen ging es nicht "nur" um die "Beaufsichtigung" der alleingelassenen Kinder, sondern um die Aufklärung eines Verbrechens, deren Ausbleiben nunmehr mit der selbstverschuldeten Skelettierung der Leiche begründet wird.
Und ganz zuletzt noch: dass sich ein Vater in einem solchen Notfall um seine Kinder kümmert, muss genau weswegen nochmal extra 'hinterfragt' werden?!
Dr. McSchreck
@blinde kuh Sie haben gar nichts verstanden von meinem Beitrag. Natürlich hat der Vater sich um die Kinder gekümmert, er ist ja der Vater. Aber offenbar hat er erst nach 3 Tagen die Anzeige aufgeben wollen, also bis dahin war die Mutter als vermutlich noch nicht "vermisst", sondern einfach "unterwegs". Nur so kann ich mir die Verzögerung erklären beim Versuch, die Anzeige aufzunehmen. Bei getrennten Eltern ist das doch auch normal, dass Mütter die Zeit ohne Kinder mal nutzen für sich selbst.
Warum muss man dann unbedingt ein Verbrechen annehmen, wenn sie "länger weg bleibt" - danach sah es ja anfangs wohl aus.
Mr. XY
In jeder Hinsicht ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Gravierender Mangel gekennzeichnet vom Umgang mit Elementarsten Grund- & Menschenrechten der Umgang der Deutschen Lokalbehörden mit dem Vorfall um nicht zu sagen eine Absolute Schande .
Typisch Deutsche Wert(e)Arbeit : Polizei ermittelt bei Mord an Menschen mit Migrationshintergrund erst gar nicht , oder bestenfalls in die Falsche Richtung , und Staatsanwaltschaft ermittelt in Alle Richtungen nur nicht hinsichtl. anhand Indizien nachweislicher Ursache Mord oder Festnahme des Tatverdächtigen nach Identifizierung durch Zeugenaussage , weil sie so lange gewartet haben bis die Todesursache nicht mehr feststell- & das Verfahren einstellbar war ?
Immer dasselbe , genau wie im Fall der NSU etc. .
Gute Besserung !
Hampelstielz
Ein trauriger und erschreckender Vorfall über die eigentliche Tat hinaus. Asylanten sind keine Menschen dritter Klasse. Für manche Polizisten gibt es so eine Unterteilung in wertes und unwertes Leben. Der Fall zeigt auch auf, das die zentrale Unterbringung in Lager und Heime, die Menschen dort kaputt macht und in Gefahr bringt. Eine dezentrale Lösung und Einbindung der Asylanten in die Gesellschaft wäre allen nützlicher, außer den Abschiebefans, da so vielleicht Solidarität und Anteilnahme entstehen könnte.