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Toscano gibt Bundesverdienstkreuz zurück„Ich will nicht für so ein Deutschland stehen“

Der Mannheimer Fotograf Luigi Toscano gibt sein Bundesverdienstkreuz zurück – aus Protest gegen die gemeinsame Abstimmung von Union, FDP und AfD.

Der Mannheimer Fotograf und Filmemacher Luigi Toscano Foto: dpa
Anastasia Magasowa
Interview von Anastasia Magasowa

taz: Herr Toscano, zusammen mit AfD und FDP hat die Union am Mittwoch im Bundestag eine Mehrheit für ihren Antrag zur Verschärfung der Asylpolitik bekommen. Wie haben Sie darauf reagiert?

Luigi Toscano: Ich bin sehr empört über die Entscheidung. Das ist für mich zum einen ein einmaliger Vorgang in unserer Geschichte, seit der Gründung der Bundesrepublik. Zum anderen ist das für mich ein Verrat an mir selbst und an meinen demokratischen Mitbürgern. Denn wir kämpfen für die Demokratie, gegen Antisemitismus, und eine Partei wie die AfD kann jetzt einfach politische Entscheidungen beeinflussen. Deshalb habe ich mich gemeinsam mit dem 99-jährigen Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg aus Ostfriesland entschieden, unsere Bundesverdienstkreuze zurückzugeben.

Wie geht es Ihnen dabei?

Ich bin im Moment traurig und erschüttert. Ich will nicht für ein solches Deutschland stehen. Ich bin ein Kind von Gastarbeitern und hier in Deutschland geboren. Ich habe immer die Werte der Bundesrepublik Deutschland vertreten. Deshalb will ich nicht schweigen, sondern den Mund aufmachen und das auch zeigen.

Im Interview: Luigi Toscato

geb. 1972, ist ein italienisch-deutscher Fotograf und Filmemacher. Für das Projekt „Gegen das Vergessen“ traf und porträtierte er mehr als 400 Holocaust-Überlebende und stellte die Bilder an öffentlichen Orten aus. Damit erregte er weltweit Aufmerksamkeit.

Sie sind 2021 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden. Wofür haben Sie die Auszeichnung bekommen?

Das Bundesverdienstkreuz wurde mir für meine Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier im Schloss Bellevue verliehen. Seit mehreren Jahren arbeite ich an meinem Fotoprojekt „Gegen das Vergessen“. Mehr als 400 Frauen und Männer, die den Holocaust überlebt haben, habe ich in Deutschland, den USA, Österreich, der Ukraine, Russland, Israel, den Niederlanden, Frankreich und Belarus porträtiert und diese Fotos in Dutzenden Ländern an öffentlichen Orten gezeigt, damit die Menschen nie vergessen, was damals in Europa geschehen ist. Zurzeit ist die Ausstellung vor und in der Frauenkirche Dresden zu sehen. Mit meiner Arbeit, mit meiner Kunst setze ich mich für Demokratie und Vielfalt, gegen Antisemitismus und Rassismus in der ganzen Welt ein.

Viele Menschen in Deutschland teilen heute Ihre Traurigkeit. Ihre Entscheidung haben Sie kurz nach der Rede des NS-Überlebenden Roman Schwarzman im Bundestag getroffen. Haben Sie Hoffnung, dass sich etwas ändert?

Wir müssen etwas ändern! Wir können nicht nur hoffen und warten. Wir dürfen nicht den gleichen Fehler machen wie damals. Denn damals haben auch viele immer gesagt, es werde nichts passieren. Aber genau das ist der Fehler! In all den Jahren, in denen ich an dem Fotoprojekt gearbeitet habe, haben mir die Holocaust-Überlebenden gesagt, dass es damals genauso gewesen sei und dass niemand etwas getan habe. Aber wir müssen etwas tun! Wir müssen aufstehen, wir müssen Haltung zeigen, sonst verraten wir unsere Demokratie komplett, und das kann nicht sein.

An wen richten Sie sich mit Ihrem Statement und Ihrer Entscheidung, den Verdienstorden zurückzugeben?

An alle Menschen, die eine demokratische Haltung haben. Ich bitte einfach darum, den Mund aufzumachen und sich nicht hinter Facebook oder Instagram zu verstecken, sondern auch auf die Straße zu gehen und Haltung zu zeigen. Das ist für mich eine ganz essenzielle Sache. Dafür müssen wir uns einsetzen, sonst verlieren wir.

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9 Kommentare

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  • Ich bin mittlerweile so zynisch, dass ich mich bei derartigen Meldungen zuerst frage, ob der Betreffende ein neues Album oder Buch oder Ausstellung herausgibt, was beworben werden will. Ist die Welt so furchtbar, oder ist das ein individuelles Problem meinerseits?

  • Soviel Bundesverdienstkreuze wie ich zurückgeben möchte, werde ich nie erhalten.

  • Scheinbar gibt es sie noch, die Aufrechten

  • Leute mit Eiern (und Eierstöcken) mag ich!

  • Luigi Toscano hat vollkommen recht.

    Nebenbei möchte der Holocaustüberlebende Albrecht Weinberg sein Bundesverdienstkreuz ebenfalls zurückgeben. Weil es einfach eine Schande ist.

    Alles völlig verständlich. Das sind genau die Menschen, die vor einer bevorstehenden Machtergreifung ins Ausland als Flüchtlinge geflohen wären. Jahre später haben wir solche Menschen nicht mit Verachtung sondern mit Ehre gewürdigt. Dazu zählen z.B. Albert Einstein, Hellmuth Falkenfeld, Kurt Großmann und weitere die am Dringenden Appell (1932) mitgewirkt haben.

    Und was machen wir in Deutschland (2025)? Flüchtlinge, die Menschenrechte zu schätzen wissen, wieder ins Elend zurückschicken. Und wenn wir Deutsche heute fliehen, werden wir ebenfalls als Verräter beschimpft anstatt geehrt. Dabei sitzen die wahren Verräter im Bundestag.

    Wir brauchen wieder einen Dringenden Appell. Denn es droht, dass die Geschichte sich wiederholt.

  • „Der deutsche Abgrund“ : Die zehnteilige Doku-Serie lässt mich frösteln, welche Parallelen sich auftun. Man dachte damals auch, man hätte die Braunen unter Kontrolle.



    Das Datum macht zusätzlich sprachlos.

  • Respekt! Könnte Lanz den nicht mal mit Merz zusammen zur Diskussion laden?

  • Respekt! Ich verneige mich! Solch Rückgrat und Anstand wäre mal erfrischend für die Politik

  • Bravo!