Tory-Parteitag in Birmingham: Neue britische Übersichtlichkeit
Großbritanniens Labour-Partei wirbt mit „Fairness“, die Tories wollen niedrige Steuern. Die Kontroversen zeigen, wie sich die Industrienation neu sortiert.
G roßbritannien kehrt zur klassischen Rechts-links-Konfrontation zurück. Liz Truss hat mit einer sehr polarisierenden Rede zum Abschluss des Jahresparteitags ihrer regierenden Konservativen in Birmingham den kommenden britischen Wahlkampf markiert: Auf der einen Seite die Konservativen, die für „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ stehen, Steuern senken, Unternehmen fördern und den Menschen größtmögliche „Freiheit“ bieten wollen, auf der anderen Seite die „Antiwachstumskoalition“ aus allen anderen politischen Kräften und Interessengruppen, die immer nur alles blockieren und regulieren wollen.
Eine Woche zuvor zeichnete Labour-Oppositionschef Keir Starmer bei dem Parteitag seiner Partei ebenso deutliche politische Trennlinien: ein „faireres, grüneres Großbritannien“ unter seiner Führung gegen die Tories, „die nicht glauben, dass die Regierung arbeitenden Menschen helfen kann“.
Noch vor einem Jahr waren die Reden Keir Starmers und des damaligen konservativen Premierministers Boris Johnson kaum voneinander unterscheidbar gewesen. Aber die von dem rechten Tory-Flügel gestartete Revolte gegen Boris Johnson hat es seitdem geschafft, mit Liz Truss eine der ihren an die Macht zu hieven. Die Sozialdemokratisierung der Tories, mit der Boris Johnson 2019 viele Labour-Wähler für sich gewonnen hatte, ist damit vorerst beendet.
Was das für Großbritanniens nächste Wahlen bedeutet – sie könnten, wie auf dem Parteitag durchklang, im Frühsommer 2024 stattfinden –, ist völlig offen; aus den jetzigen desaströsen Umfragewerten der Tories und Labours Riesenvorsprung sollte niemand dauerhafte Schlüsse für die Zukunft ziehen.
Deutlich erkennbar aber ist, was das für den nächsten Wahlkampf bedeutet: Er wird ein politisch polarisierter inhaltlicher Wettstreit zwischen zwei klassischen großen Volksparteien um die Frage, welche Rolle der Staat einzunehmen und wie er sie auszufüllen hat. Das ist in den großen Industrienationen heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr. In den USA leben viele Republikaner und Demokraten in voneinander abgeschotteten Parallelwelten, unversöhnlich im Kulturkrieg verfeindet.
In Frankreich hat Macrons elitärer Zentrismus die populistischen Fliehkräfte rechts und links gestärkt. In Deutschland ist keine Kraft allein auch nur ansatzweise mehrheitsfähig, die programmatischen Unterschiede zwischen den großen Parteien verwischen zunehmend. Vielleicht werden jetzt in London die spannenden Kontroversen darüber ausgetragen, wie sich eine große Industrienation in einer ungemütlichen Welt neu sortiert.
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