Torjäger in Australien: Der respektierte Staatsfeind
Besart Berisha spielte um die Zukunft seiner aus dem Kosovo geflüchteten Familie. Doch erst in Brisbane fand der ehemalige HSV-Spieler zum Erfolg.
BRISBANE taz | Bei gegnerischen Spielern wie Fans ist Besart Berisha verhasst. Der bullige Kosovo-Albaner mit dem markanten blond gefärbten Iro ist auf dem Platz ein Krieger, hart in den Zweikämpfen, um keine verbale Auseinandersetzung verlegen, seine Tore feiert er gerne vor den gegnerischen Kurven. Die Fans seines Vereins Brisbane Roar lieben ihren Stürmer umso mehr. Respektvoll sprechen sie von ihm trotzdem als „Public Enemy“ – dem Staatsfeind.
Besart Berisha ist einer der Topstars der australischen A-League, die am Freitag in ihre neunte Saison startet. Vor zwei Jahren wurde Berisha Torschützenkönig und schoss Brisbane mit zwei Treffern im Grand Final zur Meisterschaft. Auch im Vorjahr war der 28-jährige Angreifer bester Torschütze seiner Mannschaft, die im Halbfinale scheiterte.
Das Image des Bösewichts nimmt er dafür gerne in Kauf. Er versteht es als Rolle. Immerhin hat er eine. In Europa war er einer von vielen verheißungsvollen Talenten, die in den Weiten des europäischen Fußballs verschwanden. In Australien ist er für die noch junge Profiliga genauso wichtig wie der italienische Weltmeister Alessandro Del Piero, Emile Heskey oder Shinji Ono.
Zuletzt war es vor fast zehn Jahren, dass Berisha ein Image hatte, damals in Berlin, wo er aufwuchs. Als fußballspielendes Politikum. „Meine Berliner Zeit war eigentlich sehr traurig“, sagt er zurückblickend und erzählt, wie er sich oft zu Hause in die Schule verabschiedete, nur um dann an der nächsten Ecke hinter einem Busch einen versteckten Fußball hervorzufischen und den Tag auf einem Bolzplatz zu verbringen: „Ich bin immer zum Fußball gegangen – nicht um Spaß zu haben, sondern eine Zukunft.“
Spielen für den Aufenthaltsstatus
Für den jungen Besart existierten in Berlin nur die Familie und der Fußball, Freunde hatte er kaum. Die Berishas waren 1992 aus den Kriegswirren auf dem Balkan, aus Pristina, der heutigen Hauptstadt des Kosovo, geflüchtet und in Deutschland nur geduldet. Berishas Eltern konnten und durften deshalb nicht arbeiten. Doch der Sohn hatte die Möglichkeit, seiner gesamten Familie einen dauerhaften Aufenthalt zu ermöglichen: Alles, was er brauchte, war ein Profivertrag. „Der Gedanke, dass ich mit dem Fußball für meine Familie verantwortlich war und ihnen was Gutes tun kann, war immer eine Motivation.“
In Diensten von Tennis Borussia wurde er 2004 Torschützenkönig der A-Jugend-Bundesliga. Der Hamburger SV verpflichtete ihn. Die Familie durfte bleiben. Doch die Station beim Bundesliga-Dino kam für Berisha noch zu früh. Er wurde verliehen und bewies sich erst mal in Dänemark. Den AC Horsens, einen kleinen Club auf Jütland, schoss er zum Klassenerhalt.
Zurück in Hamburg, spielte er unter Trainer Thomas Doll öfter – traf mit 21 Jahren in der Champions League, wurde albanischer Nationalspieler. Er war wie ein wilder Stier, angriffslustig, mitunter ungestüm, der immer alles gab. Doch Doll wurde entlassen, sein Nachfolger, Huub Stevens, ließ Berisha nicht mehr in die Arenen.
Also verließ Berisha Hamburg. „Mein größter Fehler“, sagt er heute selbstkritisch, „ich war zu ungeduldig.“ Kaum stand der Wechsel zum FC Burnley in die zweite englische Liga fest, verletzte er sich am Knie. Aus zunächst scheinbar harmlosen Beschwerden wurde eine fast einjährige Zwangspause: Diagnose Kreuzbandriss.
An der Bundesliga gescheitert
Nach Umwegen landete er bei Arminia Bielefeld. Berisha spielte zwar regelmäßig, ging aber genauso sang- und klanglos unter wie die Arminia. Beide stiegen in die Dritte Liga ab. Er musste sich selbst eingestehen: „Ich habe acht Jahre lang versucht, in die Bundesliga zu kommen, aber am Ende habe ich es nicht geschafft.“
Berisha suchte eine neue Herausforderung. Und fand sie noch in Bielefeld. Rado Vidosic, der Vater seines australischen Mitspielers Dario Vidosic, hatte im Jahr zuvor als Co-Trainer von Brisbane Roar schon Thomas Broich nach Down Under gelotst und suchte nun einen Stürmer für den Verein. Berisha passte ins Profil; gut ausgebildet, robust, aber auch mit gesunkenen Erwartungen an den Fußball. Perfekt für die australische Liga, die zwar zunehmend populärer wird, aber noch weitgehend auf zweitklassigem Niveau. Die Entscheidung für Australien traf Berisha nur in der Familie – ohne Manager oder Berater.
„Das war ein Glücksgriff“, sagt ein gereifter Berisha heute sichtlich zufrieden. In Brisbane spürte er von Anfang an Vertrauen, von seinen Trainern, Mitspielern und Fans. Der Druck, es schaffen zu müssen, der für ihn immer zum Fußball gehörte, ist verschwunden. Mit Frau Sumea und Sohn Amar genießt er die Zeit, geht in Brisbane in seine dritte Saison.
So lange hatte er es vorher nirgendwo ausgehalten: „Ich bin nicht mehr der Typ, der immer in seinen Gedanken woanders ist.“ Der Fußball hat ihm viel gegeben – eine Chance und eine Perspektive. In Australien auch Spaß am Spiel. Dafür mimt er gerne den Bösewicht.
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