Tödlicher Sturz: Schock im Hambacher Forst
Trauer – und die Angst vor Schuldzuweisungen: Wie Aktivisten, Polizei und Politik auf das tragische Unglück im Hambacher Wald reagieren.
Etwas später – es wird gerade zur Pressekonferenz der Aktivisten geladen – kommt es laut Augenzeugen zu turbulenteren Szenen: Am Boden, in der Nähe von Beechtown, sitzen mehrere Aktivisten. Sie scheinen traumatisiert zu sein, einige weinen. Einige Polizeibeamte, behelmt und mit Hunden, verstehen die Schockstarre der Menschen offenbar nicht recht. Es kommt zu lautstarken Auseinandersetzungen mit den Aktivisten. Auch zwischen den Aktivisten entsteht ein Streit. Unter anderem geht es darum, dass eine Person behauptet, der Gefallene sei gar nicht tot.
Leider stimmt das nicht. Am Mittwochnachmittag war um kurz vor 16 Uhr ein Mann aus den Baumhäusern im von Rodung bedrohten Hambacher Forst aus etwa 15 bis 20 Metern Höhe abgestürzt. Er landete auf dem Rücken und wurde laut Polizei schwer verletzt. Kurz vor 18 Uhr wurde klar: Der Mann hat den Sturz nicht überlebt.
Die nordrhein-westfälische Landesregierung setzte daraufhin die Räumungsarbeiten im Hambacher Forst „bis auf Weiteres“ aus. „Wir können jetzt nicht einfach so weitermachen“, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) in Düsseldorf.
Am Donnerstagmorgen ermittelte die Kriminalpolizei vor Ort die Unglücksursache. Beamte seien im Wald vor Ort, sagte ein Polizeisprecher. Einen Anfangsverdacht für eine Straftat gibt es nach Angaben der Aachener Staatsanwaltschaft nicht. „Es sieht nach einem Unglücksfall aus“, sagte Oberstaatsanwältin Katja Schlenkermann-Pitts der Deutschen Presse-Agentur.
„Der Vorgang ist sehr tragisch“
„Ein Mann, der das Leben der Baumhausbewohner dokumentiert hat, ist ums Leben gekommen“, sagte Paul Kemen, Sprecher der Polizei Aachen. Er sei, so Kemen, durch mehrere Bretter einer Brücke zwischen zwei Baumhäusern gestürzt. Obwohl sofort medizinische Rettungsmaßnahmen eingeleitet wurden und ein Rettungshubschrauber landete, verstarb er noch vor Ort. „Der Vorgang ist sehr tragisch“, sagte Kemen.
Der Mann habe seit Längerem das Leben der Aktivisten in den Baumhäusern dokumentiert. Es habe zum Unglückszeitpunkt keine Polizeimaßnahmen in der Nähe der Unglücksstelle oder am Baumhaus gegeben, betonten die Beamten. Das Aktionsbündnis „Hambi bleibt“ erklärte, zu dem tödlichen Sturz sei es vermutlich gekommen, weil der Mann einen SEK-Einsatz in der Nähe habe beobachten wollen.
Viele im Wald sind am Mittwochabend geschockt. Mit Kerzen erinnern die Aktivisten an den Toten. Eine Geigerin möchte laut Augenzeugen musizieren, wird aber schnell darauf hingewiesen, dass das jetzt nicht der Moment ist. Die Situation ist angespannt, die Polizei nervös.
Unterstützer, die Essen nach Beechtown bringen wollen, dürfen nicht in den abgesperrten Bereich. Sie besprechen sich mit denen im Blätterdach und kooperieren dann mit der Polizei. Zwei Beamte helfen dabei, Wasser und Linsensuppe mit einem an einem Seil befestigten Eimer in die Höhe zu lotsen.
Bei Einbruch der Dämmerung fahren viele Polizeifahrzeuge vom Wald weg. Es wird ruhiger auf den dunklen Wegen und Pfaden. Nur die Unfallstelle ist mit Flutlicht hell erleuchtet. Sie wird noch rigider abgeriegelt als zuvor: Journalisten dürfen nicht einmal mehr an das Absperrband. Ein Polizeibeamter, der den Weg bewacht, erklärt, dass die Spurensicherung inzwischen begonnen habe und noch Zeugen vernommen werden. “Das wird akribischst aufgeklärt – nicht dass es heißt, das war die Polizei“, sagt er.
„Heute sind viele Tränen geflossen“
Eine Gruppe von etwa zehn Menschen kommt an den Tatort und wundert sich über die strenge Abriegelung. “Die haben Angst, dass etwas eskaliert“ sagt einer, “dabei ist die Stimmung sehr friedlich. Betroffen sind alle, und heute sind viele Tränen geflossen.“
Die Gruppe besteht aus Aktivisten, Unterstützern und Leuten, die psychologische Betreuung anbieten. Die Polizei hatte einige Ärzte und Therapeuten zuvor unkompliziert in den Wald gelassen. Es entwickelt sich ein kurzes Gespräch mit dem Beamten, der behauptet: “Jetzt sind die Karten neu gemischt. Jetzt entscheiden andere, wie es hier weitergeht.“
Etwas weiter, an der Weggabelung namens Jesus Point, stehen Polizisten. Sie warnen vor den Polizei-Transportern: “Nicht dass da noch einer umgefahren wird. Es langt schon, wenn einer vom Baum fällt.“ Die kleine Nachtwanderung darf aber ungehindert fortgesetzt werden. Man unterhält sich eher gedämpft. Es sei gut, in Gruppen unterwegs zu sein, sonst könne es hier gruselig werden.
Am Rand der Mahnwache hängt ein Banner, auf dem steht: “Ohne Räumung gäbe es hier keinen Toten“. Zwei Aktivisten stehen dahinter und diskutieren. Sie finden es “nicht so cool“, weil es eine problematische Kausalkette aufstellt. Das könne man genauso von der Besetzung behaupten oder vom Kapitalismus oder gleich von der ganzen Menschheit – ohne die hätte es auch keinen Toten gegeben. Vieles ist an diesem Abend noch unklar. Plena sind abgesagt worden. Man muss sich erst einmal sammeln.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Reul appellierte indes an die Waldbesetzer, die Baumhäuser freiwillig zu verlassen. „Wir leben jetzt alle auch damit, mit der Hoffnung, so will ich es vielleicht sagen, dass diejenigen, die da in den Häusern sind, jetzt aus dem Wald rausgehen, aus den Häusern rausgehen, damit nichts passiert“, sagte Reul dem Radiosender WDR2.
Der Arbeitsbühnen-Verleiher Gerken kündigte an, seine Geräte aus dem Hambacher Forst abzuziehen. Das Unternehmen sei von dem betreffenden Kunden, bei dem es sich nicht um die Polizei handele, zuvor nicht über den Einsatzzweck informiert worden. „Da auch wir mit der Vorgehensweise im Hambacher Forst absolut nicht einverstanden waren und sind und wir auch den Einsatz unserer Bühnen dort nicht weiter rechtfertigen können, haben wir heute beschlossen, dass wir unsere Geräte dort stilllegen“, schrieb die Geschäftsleitung am Mittwoch auf der Firmenhomepage. (mit dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies