Tödlicher Schuss auf Wohnungslosen: Lega-Politiker in Hausarrest

Ein italienischer Kommunalpolitiker tötet einen 38-jährigen Wohnungslosen per Herzschuss. Es war Notwehr, sagt der Schütze. Doch Zweifel bestehen.

Polizisten sichern einen tatort

Der Tatort in der italienischen Stadt Voghera Foto: ansa

ROM taz | War es Notwehr oder Absicht? Am Dienstagabend starb der Marokkaner Youns El Bossettaaoui in der norditalienischen Kleinstadt Voghera an einem Herzschuss, auf offener Straße abgefeuert von dem Politiker der rechtspopulistisch-fremdenfeindlichen Lega Massimo Adriatici.

Als „Dezernent für Sicherheit“ gehört Adriatici, früher Polizist und heute Rechtsanwalt, der städtischen Regierung an, und auch am Dienstagabend wollte er wohl für Sicherheit sorgen, auf seine Weise. „Sheriff von Voghera“ wird der rechte Kommunalpolitiker von seinen Mitbürger_innen gerufen, auch weil er immer mit einer Pistole bewaffnet unterwegs ist. Erst seit Oktober 2020 in seinem jetzigen Amt, hatte er sich den Kampf gegen Obdachlose und anderweitig „Auffällige“ zur Hauptaufgabe gemacht. Erst am Abend des tödlichen Vorfalls war seine letzte Verordnung in Kraft getreten, die abends den Verkauf von Alkohol in Flaschen verbot.

Bei seinem letzten Rundgang stieß er auf den 38-jährigen obdachlosen Marokkaner, vorbestraft wegen Drogen- und Eigentumsdelikten, der nach ersten Zeugenaussagen betrunken unterwegs war und die Gäste zweier Straßencafés angepöbelt haben soll. Adriatici bekundete, er habe El Bossetaoui zur Rede gestellt und dann per Handy die Polizei gerufen. Erzürnt über diesen Anruf habe der Betrunkene ihm einen Stoß versetzt, der ihn zu Fall brachte – und dabei habe sich der tödliche Schuss gelöst.

Schon diese vom Täter selbst vorgebrachte Rekonstruktion setzt allerdings voraus, dass der Lega-Politiker dem Marokkaner mit gezückter und schon durchgeladener Waffe gegenüberstand. Die Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt wegen Notwehrexzess gegen den Dezernenten, der in Hausarrest genommen wurde.

Tod wurde schnell zu national diskutiertem Fall

Angesichts der politischen Rolle des Täters wurde der Tod des Marokkaners sofort zu einem national diskutierten Fall. Matteo Salvini, Chef der Lega, hatte umgehend seine Interpretation zur Hand: „Das Opfer hat denjenigen angegriffen, der sich dann zur Wehr gesetzt hat. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war das, was geschehen ist, ein Akt der Notwehr“.

Als Salvini im Jahr 2019 als Innenminister der Regierung angehörte, war der Notwehr-Paragraph ausgeweitet worden. Und jedes Mal, wenn in den letzten Jahren Juweliere oder Tankwarte bei Überfällen die Täter erschossen, womöglich mit Schüssen in den Rücken, wenn die schon auf der Flucht waren, stand die Lega auf Seiten der Todesschützen. Auf Italienisch heißt Notwehr „legittima difesa“, legitime Verteidigung – und der Slogan der Lega zum Thema behauptet, das „Verteidigung immer legitim“ ist.

Ganz anders sieht das die gemäßigt linke Partito Democratico (PD), die genauso wie Salvinis Lega der Regierung unter Mario Draghi angehört. Giuseppe Provenzano, Vizevorsitzender der PD, erklärte: „Ein Dezernent, der mit durchgeladener Waffe unterwegs ist, ein Parteiführer, der sofort dessen Gewalt rechtfertigt, sind schreckliche Verirrungen.“ PD-Chef Enrico Letta fordert den “Stopp für private Waffen“, nur Polizisten und Carabinieri sollten in Zukunft das Recht haben, Waffen zu tragen.

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