Tödliche Flucht nach Samos: Vater des Opfers angeklagt
Weil sein Sohn bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland ertrank, soll ein Afghane vor Gericht. Sein Anwalt kritisiert die Küstenwache.
dpa/taz | Auf der griechischen Insel Samos wird gegen einen afghanischen Migranten ermittelt, der vor knapp drei Wochen seinen sechs Jahre alten Sohn bei der Überfahrt von der Türkei verloren hat. Er habe fahrlässig gehandelt, als er das Kind auf die gefährliche Reise mitgenommen habe, die zum Tod des Jungen geführt habe, lautet der Verwurf. Die Untersuchungen liefen und es werde zum Prozess kommen, bestätigte der Anwalt des Beschuldigten am Freitag. Der Mann sei auf freiem Fuß, dürfe das Land aber nicht verlassen.
Das Unglück ereignete sich in der Nacht des 8. November, als bei starkem Wind vor Samos ein Boot mit Migranten kenterte. Die griechische Küstenwache konnte nach eigenen Angaben 17 Menschen aus den Fluten retten. Weitere sieben Menschen hätten aus eigener Kraft zur Küste von Samos schwimmen können, doch der sechs Jahre alte Junge sei später tot am Strand aufgefunden worden.
Der Anwalt des Afghanen wirft der griechischen Küstenwache vor, bei dem Unglück nicht die europäischen Grenzschützer (Frontex) informiert zu haben. Die „Tagesschau“ zitiert Flüchtlingshelfer, nach deren Angaben die Küstenwache selbst erst eineinhalb bis zwei Stunden nach dem Notruf der Migranten vor Ort gewesen sei.
In den vergangenen Monaten wurden von Hilfsorganisationen immer wieder Vorwürfe wegen angeblicher „Pushbacks“ der griechischen Küstenwache laut, bei denen Migranten zurück in türkische Gewässer gezwungen werden. Solche Zurückdrängungen sind schwer zu belegen, immer wieder werden auch Menschen gerettet.
Insgesamt ist die Zahl der Migrantenankünfte in Griechenland im Jahr 2020 deutlich zurückgegangen. Von Januar bis Anfang November kamen auf dem Seeweg rund 10.000 Menschen auf den griechischen Inseln der Ostägäis an. Allein auf Samos leben ünber 4.000 Menschen in einem Lager, das nur für wenige hundert konzipiert war.
Im Jahr 2019 waren laut UN-Flüchtlingshilfswerk auf dem Seeweg von der Türkei nach Griechenland noch fast 60.000 Flüchtende gewesen. Der starke Rückgang der Zahlen wird von Sicherheitsexperten in Athen auf die strengere Überwachung der Küstenwache zurückgeführt.
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