Zelte von Flüchtlingen auf Samos in der Dunkelheit

Foto: Michael Bunel/Le Pictorium/imago

Isolation von Geflüchteten mit Corona:Eingeschlossen im Container

Rund 100 Coronafälle gibt es im Flüchtlingslager Vathy auf der griechischen Insel Samos. Betroffene werden auf engstem Raum eingepfercht.

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27.10.2020, 18:47  Uhr

Wir bitten um Hilfe. Wir sind nur Flüchtlinge, wir haben kein Verbrechen begangen“, sagt die männliche Stimme im Video. Die Kamera zeigt in einer Plastikverpackung eine Art Fladenbrot, auf dem es bläulich-pelzig schimmert. „Das ist das Frühstück, das sie uns zu essen geben“, sagt der Mann. „Sie sehen, wie schlecht es ist. Im Camp ist das Essen schon abgelaufen.“

Die Kamera schwenkt auf den Boden, wo eine graue Decke ausgebreitet liegt und eine rosa-violett geblümte, an der Wand lehnt eine Isomatte. „Wir schlafen auf dem Boden.“ Eine andere Männerstimme sagt: „Wir brauchen Hilfe. Wir bekommen keine Behandlung, keine Medikamente, nichts.“

Joseph soll der Mann hier heißen, in dessen Coronaquarantäne im Flüchtlingslager auf der griechischen Ägäisinsel Samos das Video entstanden ist. Es zeigt die Bedingungen, unter denen die Be­woh­ne­r*in­nen des Camps isoliert werden, wenn sie positiv auf das Coronavirus getestet werden.

Josephs kompletter Name ist der taz bekannt. Doch wie viele andere im Lager hat er Angst vor den griechischen Behörden. „Ich bin schon so lange hier, ich kenne dieses Lager“, sagt der breitschultrige Mann. Seit einem Jahr und 10 Monaten lebe er im Camp.

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Erst ein paar Tage vor dem Gespräch mit der taz ist Joseph aus der Corona-Isolation entlassen worden. Die Sonne brennt heiß auf den kleinen Vorplatz der Kirche in der Nähe des Flüchtlingslagers. „Was ich sage, ist die Wahrheit, aber ich weiß, dass ich damit in Probleme geraten kann. Deswegen wollte ich mein Gesicht in dem Video nicht zeigen.“

Nach dem Gespräch muss er wieder zurück: ins Flüchtlingslager in Vathy. Dort leben 4.300 Menschen in einem und um ein Camp, das eigentlich nur für 650 ausgelegt ist.

Mitte September traten hier die ersten bestätigten Coronafälle auf. Ein beängstigendes Szenario: Tausende Menschen leben so wie Joseph ungeschützt in dem „Wald“ oder „Dschungel“ genannten Teil des Camps. Sie wohnen außerhalb fast jeder Infrastruktur, dicht an dicht in Zelten. Nicht immer sind Hygieneregeln wie gründliches Händewaschen einhaltbar, da weder fließendes Wasser noch Seife unbegrenzt zur Verfügung stehen.

Joseph war im Lager Vathy isoliert

„Ich habe die Situation akzeptiert. Schockierender war für mich, wohin sie uns brachten“

Das Camp ist seit den ersten bestätigten Fällen in einem Lockdown, die Flüchtlinge sollen das Gelände möglichst wenig verlassen, die Eingänge werden von Po­li­zis­t*in­nen kontrolliert – und wer positiv getestet wird, kommt für 14 Tage in Container. So wie Joseph.

Gespürt hatte Joseph vorher eigentlich nur einen leichten Husten, berichtet er. Der sportliche junge Mann machte sich keine Sorgen, er fühlte sich „sehr okay“, sagt er. Das Ergebnis kam schnell: „Nach vielleicht fünf Minuten hat mir der Arzt gesagt, ich sei positiv.“ Dass er nun für 14 Tage in Quarantäne gehen müsse, habe Joseph ganz ruhig aufgenommen, er kenne ja die Regeln. „Ich habe die Situation akzeptiert. Schockierender war für mich, wohin sie uns brachten.“

Nach dem Test ging es in den Container – rein dort, Türe zu. Joseph kam als Dritter in die Isolierstation, erzählt er. Dort warteten bereits zwei Männer und eine Frau. Am nächsten Tag seien noch zwei Frauen dazugekommen. Zwei Räume, eine Toilette – sechs unbekannte Menschen für zwei Wochen unter Quarantäne. Der Container hatte eine Klimaanlage, sodass die Gruppe zumindest nicht unter der Hitze leiden musste. Doch schlafen mussten sie auf dem Boden, auf einer dünne Isomatte oder Decke.

Um 6 Uhr abends wurde der Container aufgeschlossen, gibt Joseph an, dann hätten die Insassen herausgedurft, um Luft zu schnappen auf einem kleinen Platz oder zur Dusche zu gehen. „Dann kam die Polizei um 11 Uhr, um uns wieder einzuschließen“, sagt er.

Blick auf Flüchtlings-Barracken auf einem Bergrücken auf der Insel Samos

Die Polizei bewacht die Ausgänge des Camps Vathy auf Samos Foto: Eva Oer

Ärztliche Untersuchungen, regelmäßige Nachfragen nach Symptomen? In den ersten Tagen sei niemand vorbeigekommen, um den Gesundheitszustand der Isolierten zu erfragen, so Joseph. Erst in den letzten Tagen sei regelmäßig Fieber gemessen worden.

Kein Wunder: Für das gesamte Camp gibt es nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen nur zwei Militärärzte und drei Krankenpfleger*innen. Unter mangelndem Wasser hätten sie nicht gelitten, sagt Joseph. „Aber das Problem war das Essen“, klagt er, der Ekel klingt in seiner Stimme durch. „Es ist verfault.“

Bericht von Ärzte ohne Grenzen

„Die Menschen sind in schmutzigen Containern eingesperrt, die meisten müssen auf dem Boden schlafen, in dem oft Löcher klaffen“

Im Camp wird derzeit zweimal am Tag Essen verteilt: Morgens gibt es ein Frühstück und pro Person 1,5 Liter Wasser, zum Mittagessen wird auch schon gleich das Abendessen mit ausgegeben.

Die Camp­be­woh­ne­r*in­nen beklagen, das Essen sei schlichtweg ungesund, die Produkte oft abgelaufen, manchmal sichtbar verschimmelt. „Ich esse das Essen nicht“, erklärt auch Joseph. „Als ich herkam, habe ich viele Probleme mit meinem Magen bekommen – und darunter hab ich zuvor nie gelitten.“

Nach einer Weile habe er also aufgehört, die Speisen zu essen. „Ich habe mir gesagt, okay, es ist besser, mir von der kleinen Bargeldhilfe, die wir bekommen, etwas zu essen zu kaufen, als hier krank zu werden und zu sterben.“ So halten es viele Flüchtlinge auf Samos und geben die 75 Euro, die eine alleinstehende Person monatlich bekommt, für Lebensmittel aus.

Keine Reaktion der griechischen Behörden

Josephs Erfahrung ist kein Einzelfall. Ärzte ohne Grenzen hat gerade erst ob der Isolationsbedingungen für Camp­be­woh­ne­r*in­nen Alarm geschlagen. „Die Menschen sind in schmutzigen Containern eingesperrt, die meisten müssen auf dem Boden schlafen, in dem oft Löcher klaffen“, schreibt die NGO. „Bei einigen funktioniert die Wasserversorgung nicht, andere haben keine Toiletten. Das Essen ist manchmal ungenießbar.“

Ein Problem seien auch die Schnelltests, sagt Jonathan Vigneron, Projektleiter für Ärzte ohne Grenzen auf Samos, der taz. Nicht immer ergäben diese ein akkurates Ergebnis. Wenn aber die Menschen mit Infizierten in den Container gesperrt würden, seien sie danach auf jeden Fall coronapositiv.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk ­UNHCR gibt ebenfalls an, Klagen etwa über die fehlenden Schlafmöglichkeiten in der Quarantäne und das Essen gehört zu haben – es wende sich an die griechischen Behörden, um die Situation zu verbessern. Und die Behörden? Sie antworteten auf Anfragen zu den Quarantänebedingungen nicht.

Tatsächlich geben sie nicht einmal die genaue Anzahl der positiv Getesteten in den Flüchtlingslagern heraus. Ärzte ohne Grenzen spricht von mehr als 100 Infizierten im Camp von Samos. Doch Genaueres ist nicht zu erfahren. Die zuvor wöchentlich herausgegebenen Berichte mit epidemiologischen Daten aus den Flüchtlingslagern Griechenlands enden mit dem 26. Juli dieses Jahres.

Zum großen Unmut von Wissen­schaftler*innen wie Elias Kondilis, der an der Aristoteles-Universität in Thessaloniki zu Gesundheitspolitik und medizinischer Grundversorgung forscht. „Das ist das Problem: Wenn wir keine offiziellen Daten haben, gibt es all diese Gerüchte und Verschwörungstheorien.“

Die scheinen auch im Camp zu blühen. Viele der Be­woh­ne­r*in­nen zeigen sich skeptisch, ob das Virus wirklich im Lager aufgetreten sei – viele fürchten, die Lockdown-Maßnahmen seien nur eine weitere Taktik der Behörden, sie zu gängeln und einzuschließen. Sie werden schließlich anders behandelt als die Ortsansässigen: Die Menschen im Lager sind im Lockdown, der Rest der Bevölkerung nicht.

Für die Flüchtlinge existiert sogar ein eigener Plan, wie mit Corona-Ausbrüchen umgegangen werden soll – der sogenannte Agnodiki-Plan. Er besagt, dass die gesamte Einrichtung insgesamt je nach Fallzahl in einen unterschiedlich strengen Lockdown versetzt wird und alle bestätigten wie Verdachtsfälle vor Ort isoliert und behandelt werden.

„Es ist ein Militärplan“, sagt Forscher Kondilis. Das Konzept sei im Kontext der Politik der griechischen Regierung zu sehen, die Flüchtlinge und Migranten in Camps als Frage der nationalen Sicherheit und des Grenzschutzes behandle.

Alte, Kinder und chronisch Kranke müssen bleiben

„Die Idee ist einfach. Wenn man diese Bevölkerungsgruppe human behandelt, wenn man versucht, sie zu schützen, ihre Gesundheit zu fördern, dann gibt man das Signal an die­jenigen außerhalb der Grenzen, zu kommen und sich anzuschließen.“ Da der Plan von Flüchtlingen als Sicherheitsbedrohung ausgehe, sei der erste Schritt, bei einem oder mehreren Fällen Quarantänemaßnahmen für das gesamte Camp einzuleiten – selbst wenn diese nicht nötig seien. „Der ­Agnodiki-Plan sieht vor: Jedes Mal, wenn es einen positiven Fall gibt, wird das Camp abgesperrt“, sagt Kondilis.

In einem kompletten Lockdown ist das Lager auf Samos noch nicht. Aber die Bedingungen wurden zuletzt vor zwei Wochen strenger. Derzeit dürfen von den Tausenden Be­woh­ne­r*in­nen immer nur 150 Menschen gleichzeitig außerhalb des Camps sein. „Aus der Perspektive der öffentlichen Gesundheit wäre die erste Handlung, alle Positivfälle zu isolieren, alle besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen aus dem Camp zu bewegen und dann mit dem Testen und Nachverfolgen unter den im Camp Verbleibenden fortzufahren“, erklärt Kondilis.

Nach diesen Grundsätzen würde Athen handeln, wenn es um andere Bevölkerungsgruppen in abgeschlossenen Umgebungen gehe – etwa in Pflegeheimen. Anders als bei den Flüchtlingen auf Samos, die innerhalb des Lagers isoliert werden und wo Alte, Kinder und chronisch Kranke bisher einfach vor Ort bleiben. Da die Flüchtlingscamps so überbelegt seien, sei es unabwendbar, dass die Verdachtsfälle zum Beispiel die Sanitäranlagen mit den anderen Be­woh­ne­r*in­nen teilten, so Kondilis.

Jedenfalls erhöhen die Bedingungen in der Isolierstation kaum die Bereitschaft, sich testen zu lassen. Ärzte ohne Grenzen jedenfalls gibt an, dass mehrere Pa­ti­en­t*in­nen bei Symptomen nicht zu den Lagerärzten gehen wollten.

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