Todesstrafe für vergewaltigte Sudanesin: Noura will leben
Eine zwangsverheiratete Neunzehnjährige tötete ihren Mann, als er versuchte, sie zu vergewaltigen. Ihr droht nun die Hinrichtung.
Noura hat Pech. Sie ist im ostafrikanischen Sudan zur Welt gekommen – einem Land, in dem der Wunsch einer Frau weitaus weniger gilt als der eines Mannes.
Nouras Vater – die Familie ist muslimischen Glaubens – verheiratet seine Tochter gegen ihren Willen an einen Cousin. Obwohl sie noch minderjährig ist. Das ist erlaubt im Sudan, wo Mädchen ab ihrer Pubertät verheiratet werden dürfen, ja sogar schon mit zehn Jahren, wenn ein Richter dem zustimmt.
Noura will nicht, doch sie hat keine Wahl. Sie rettet sich ins Haus ihrer Tante, fast 300 Kilometer entfernt von ihrer Heimatstadt Omdurman.
So berichten es zahlreiche internationale Medien, darunter der Guardian, Al-Jazeera und CNN.
Sie und ihr Ehemann sehen aus wie Fremde – sind sie ja
Über zwei Jahre bleibt Noura bei ihrer Tante, bis ihr Vater sie in die Heimat zurück lockt. Die Hochzeit – die Zeremonie steht noch immer aus – sei abgeblasen, sie solle unbesorgt zurückkommen.
Noura zögert nicht lange, ihre Familie, die sie Jahre nicht gesehen hat, fehlt ihr.
Das Versprechen des Vaters entpuppt sich als Falle. Die Hochzeit findet statt. Ein Zurück gibt es jetzt nicht mehr.
Im Netz kursiert ein Bild von Nouras Hochzeit. Sie, eine schöne, stolze Frau mit vollen Lippen und markanten Augenbrauen, trägt eine traditionelle weiße Tracht, ihr Haar ist bedeckt. Sie blickt auf den Boden. Keine Spur von einem Lächeln. Ihr Bräutigam sieht auch nicht viel glücklicher aus. Sie wirken wie zwei Fremde, auch wenn sie dicht beieinander stehen. Sind sie ja auch.
Ihr Vater übergibt seine Tochter der Polizei
Noura weigert sich, nach der Vermählung mit ihrem Mann Sex zu haben, obwohl das im Sudan als die Pflicht einer Ehefrau angesehen wird. Am sechsten Tag holt sich der Ehemann Verstärkung von drei Verwandten. Erst reden die auf seine widerborstige Ehefrau ein. Als sie sich nicht überzeugen lässt, halten sie sie fest – einer an den Armen, zwei an den Beinen –, während ihr Ehemann sie vergewaltigt.
Noura Hussein, 19
Am nächsten Morgen will er sich erneut an ihr vergewaltigen. Sie entkommt ihm, rennt in die Küche, schnappt sich ein Messer und sticht auf ihn ein. Er wehrt sich, kratzt und beißt sie, doch sie sticht mehrmals zu.
Daraufhin flieht sie zu ihren Eltern.
Nouras Mann stirbt an seinen Verletzungen. Ihr Vater übergibt seine Tochter der Polizei.
Ihre Familie erscheint nicht vor Gericht, dafür viele Fremde
Noura wird der Prozess gemacht. Am 10. Mai 2018 – mittlerweile ist sie 19 – erscheint sie zur Urteilsverkündung. Allein. Von ihrer Familie ist niemand gekommen. Dafür viele Wildfremde, die sie unterstützen wollen. Und die teilweise von Sicherheitskräften – denen nachgesagt wird, immer wieder Frauen in Haft zu vergewaltigen – verprügelt werden, wegen Transparenten, die sie in den Händen halten.
Der Richter legt der Familie des ermordeten Ehemanns nahe, Noura zu verzeihen. Außerdem könne sie eine finanzielle Kompensation annehmen. Beides lehnt die Familie ab. Der Richter verhängt die Todesstrafe. Tod durch den Strick. Wegen vorsätzlichen Mordes. Noura wird zitiert mit den Worten: „Ich werde hingerichtet, bevor meine Träume in Erfüllung gehen konnten.“
Ihre Anwälte – hauptsächlich in den USA lebende Frauen, teils sudanesische Musliminnen – haben nun fünfzehn Tage Zeit, um in Berufung zu gehen. Aktivistinnen haben eine Twitter-Kampagne gestartet unter dem Namen #JusticeForNoura. Eine Petition wurde bereits von über 80.000 Menschen unterzeichnet. Amnesty International fordert die Aufhebung der Todesstrafe.
Zuletzt wurden 2011 sieben Menschen im Sudan hingerichtet. Die Todesstrafe gegen die – im neunten Monat schwangere – sudanesische Christin Mariam Ibrahim wegen vermeintlicher Abtrünnigkeit vom Islam konnte 2014 abgewendet werden.
Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand
Nouras Anwältinnen argumentieren, sie sei durch ihre Vergewaltigung traumatisiert gewesen und hätte unter Schock gestanden, was ihre Zurechnungsfähigkeit beeinflusst habe.
Der Guardian zitiert die Aktivistin Tara Carey von der NGO Equality Now: „Noura ist keine Kriminelle, sondern ein Opfer. Und als solches sollte sie behandelt werden. In anderen Ländern erhalten Opfer von Vergewaltigung und häuslicher Gewalt Unterstützung, um ihr Trauma zu überwinden.“
Im Sudan ist Vergewaltigung in der Ehe kein Straftatbestand (in Deutschland ist sie das seit 1997). Auf dem sogenannten „Gender Inequality Index“, mit dem die Vereinten Nationen Diskriminierung von Frauen statistisch zu erfassen versuchen, belegt der Sudan Platz 165 von 188.
AktivistInnen hoffen, dass der sudanesische Staatschef Omar al-Baschir Noura begnadigt. Aber was ist von einem Staatschef zu erwarten, der selbst vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Fahndung ausgeschrieben ist? Die Vorwürfe gegen ihn richten sich vor allem auf den Darfur-Krieg, bei dem sogenannte (im Auftrag der Regierung agierende) Reitermilizen („Dschandschawid“) reihenweise Frauen auf brutalste Art vergewaltigten. Geahndet wurden diese Verbrechen nie.
Applaus kam von der Familie des Ehemanns
Eine Augenzeugin, die während Nouras Prozesses anwesend war, berichtet auf Twitter, die Familie von Nouras Ehemann hätte bei der Urteilsverkündung applaudiert.
Noura kann in Haft Briefe empfangen, was eine Aktivistin für sie organisiert hat. Am besten man schreibe ihr auf Arabisch, aber Englisch gehe zur Not auch, so die Initiatorin. Die Email-Adresse lautet: JusticeForNoura@gmail.com
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit