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Tod des Fahrradaktivisten NatenomÖffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt

Der Autofahrer, der den Fahrradaktivisten Natenom überfuhr, hat seinen Strafbefehl nun doch akzeptiert. Der ADFC kritisiert fehlende Aufarbeitung.

Ghostbike für Natenom: Bei einer Gedenkfahrt hatten Ak­ti­vis­t:in­nen ein weißes Rad am Unfallort abgestellt Foto: Uli Deck/dpa

Berlin taz | Der Tod des Fahrradaktivisten Natenom wird nicht in einem öffentlichen Prozess vor Gericht verhandelt. Denn der Unfallfahrer hat einen gegen ihn erlassenen Strafbefehl nun doch akzeptiert. Das berichten übereinstimmend die BNN und der SWR unter Berufung auf das Amtsgericht Pforzheim. Der 78-jährige Autofahrer muss nun eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen zahlen. Zudem erhält er zwei Monate Fahrverbot.

Er hatte den Radfahrer laut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft am 30. Januar auf der Landstraße zwischen Neuhausen und Schellbronn in Baden-Württemberg „trotz guter Sichtverhältnisse aus Unachtsamkeit gänzlich übersehen“ und sei „daher ungebremst mit einer Geschwindigkeit zwischen 80 und 90 km/h auf den Fahrradfahrer aufgefahren“.

Die Staatsanwaltschaft war davon überzeugt, dass sich der verstorbene Fahrradfahrer im Vorfeld des Unfalls vorschriftsmäßig verhalten habe und insbesondere durch seine Warnweste sowie die eingeschaltete Fahrradbeleuchtung ausreichend für andere Verkehrsteilnehmer sichtbar gewesen sei.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hatte das Amtsgericht daher Anfang Oktober den Strafbefehl erlassen. Der Fahrer hatte dagegen Einspruch eingelegt. Wäre der nicht zurückgezogen worden, wäre es zu einem öffentlichen Verfahren gekommen.

Der Mann mit dem Abstandhalter

Der Fahrradaktivist Andreas Mandalka hatte sich in der Szene unter dem Pseudonym Natenom einen Namen gemacht. Ob auf seinem Profil auf Twitter, auf Mastodon oder in seinem Blog hatte Mandalka jahrelang über seine Erfahrungen als Radfahrer berichtet. Eins seiner wichtigsten Themen: der Abstand zwischen Auto und Fahrrad.

Um die Au­to­fah­re­r:in­nen auf Distanz zu halten, nutzte Natenom immer wieder auch Abstandhalter. Mal eine auf dem Gepäckträger quer liegende Fahnenstange, mal eine Schwimmnudel aus Schaumstoff. Das hatte ihm sogar Ärger mit der Polizei eingebracht.

Mandalka wollte nicht übersehen werden. Er trug immer eine gelbe Leuchtweste. Auch bei seinem Unfall, wie die Polizei schon nach dem Unfall bestätigt hatte.

Noch am Abend des Unfalls hatte sich Natenom über die Fahrerin eines „Riesen­arschlochpanzers SUV Geländewagens“ aufgeregt, die ihn auf der Landstraße erst abgedrängt und beim anschließenden Wiedertreffen auf einem Supermarktparkplatz auf ihrem Recht zum Vorbeidrängeln bestanden habe. Auf dem Rückweg wurde Mandalka getötet. Er wurde 43 Jahre alt.

Der Tod von Natenom hatte die Szene der Fahr­ra­dak­ti­vis­t:in­nen erschüttert. Bundesweit hatte es Gedenkfahrten gegeben.

Heftige Kritik vom ADFC

Die Beendigung des Verfahrens ohne öffentliche Verhandlung wird von Ak­ti­vis­t:in­nen scharf kritisiert. „Damit wird nicht mehr geklärt, wie es genau zum Unfall kam und wie der Autofahrer einen beleuchteten Radfahrer mindestens 10 Sekunden ‚übersehen‘ konnte“, sagte Bastian Wetzke vom ADFC Pforzheim der taz. Seiner Meinung nach sei die Staatsanwaltschaft nicht an einer öffentlichen Aufklärung und am Vertrauen in die Behörden interessiert gewesen.

Schon seit Längerem plant die Fahrradszene in Baden-Württemberg eine Sternfahrt zu Natenoms erstem Todestag. Am 2. Februar 2025 soll bei einer sogenannten Critical Mass aus Karlsruhe, Stuttgart und weiteren Städten gemeinsam nach Pforzheim geradelt werden. Ziel ist dann der Sitz der örtlichen Staatsanwaltschaft.

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10 Kommentare

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  • Warum muss ein Autofahrer, der verschuldet einen Menschen tot fährt, seinen Führerschein nicht dauerhaft abgeben?!

  • Ich hoffe doch mal sehr, dass sich der Unfallverursacher auch nach den lächerlichen 2 Monaten Fahrverbot nie wieder an das Steuer eines Autos setzt.

  • Natenom war ein Held.



    Wir müssen mehr dieser Helden auf dem Rad haben!

    Gegen Autofahrer! Für die Umwandlung von Straßen in Radwege!

  • Wie ist es denn möglich, dass ein offensichtlich fahruntüchtiger Mann einen Verkehrsteilnehmer tötet ... und dann 2 kurze Monate Fahrverbot erhält, statt lebenslanges Fahrverbot? Der nächste Tote folgt da doch auf den Schritt.

  • Oh wow Leute umzubringen ist ja eine richtige Ordnungswidrigkeit, wenn man es nur richtig anstellt.



    2 Monate Fahrverbot und 150 Tagessätze... das sind einmal auf die Straße setzen und zweimal über eine rote Ampel fahren. Was für ein sStaat.

  • Wie ist denn bitte möglich, dass eine ältere Person, die eine andere im Straßenverkehr tötet, weil sie offensichtlich nicht fahrtüchtig ist, nur 2 Monate Fahrverbot erhält - statt den Führerschein gänzlich entzogen zu bekommen? Der nächste Tote wartet in so einem Fall doch nur.

  • Ein Witz die Bestrafung. Unfassbar. Die Pappe müsste lebenslang weg und die Strafe mehrfach multipliziert.



    Und dann auch noch todesdreist diese lächerliche Strafe ablehnen.

    D.h., wenn ich mal jemanden loswerden will, dann fahr ich den einfach mit dem Auto über den Haufen und erzähl was von "oooops, übersehen".

  • Wow. Da wird (mutmaßlich) fahrlässig ein Mensch tot gefahren und es gibt dafür noch nicht mal eine Freiheitsstrafe. Geschätzte 4000 Euro Geldstrafe und zwei Monate Führerscheinentzug, da hab ich schon für weniger MPU machen müssen. Vorbestraft ist der Mann jetzt zwar aber das dürfte mit 78 einigermaßen egal sein.

  • "Die Beendigung des Verfahrens ohne öffentliche Verhandlung wird von Ak­ti­vis­t:in­nen scharf kritisiert. „Damit wird nicht mehr geklärt, wie es genau zum Unfall kam und wie der Autofahrer einen beleuchteten Radfahrer mindestens 10 Sekunden „übersehen“ konnte“"



    Diese Frage hätte auch in einem Verfahren wohl nicht mehr geklärt werden können.



    Andreas Mandalka ist tot und der beschuldigte Rentner wird seine Sicht der Dinge bereits ausführlich bei der Polizei zu Protokoll gegeben haben.



    Auch dieser Unfall zeigt, dass eine ständige Überprüfung aller Verkehrsteilnehmer auf ihre Tauglichkeit nötig wäre - das könnte vielen Verkehrsteilnehmern, aber natürlich vor allem Radfahrern und Fußgänger das Leben retten.



    Was es längst für einige Führerscheinklassen gibt, den 5-Jahres-Rythmus, wäre das Mindeste. Noch besser wären freilich jährliche Kurztests, aber das ist wahrscheinlich realistisch nicht zu schaffen vom Aufwand her.

  • "eine Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen (...). Zudem erhält er zwei Monate Fahrverbot." - das ist günstig für ein Menschenleben. Für das Besprühen eines toten Luxusgegenstandes, dessen Produktion und Nutzung laufend andere schädigen, wäre der 78-jährige ins Gefängnis gekommen. Bei einem Radfahrer ist das egal. Ich verstehe diese Urteile überhaupt nicht. Das heißt einfach immer wieder, dass einem nichts passieren kann, wenn man mit seinem Auto Menschen tötet.