Tierrechte in der Kunst: Schakale aus Styropor
Lin May Saeed war Bildhauerin und Tierschützerin. Eine Berliner Ausstellung stellt ihre Kunst den Tierplastiken von Renée Sintenis gegenüber.
Mit einem traurig-spekulativen Titel ist die erste große Einzelausstellung der Künstlerin Lin May Saeed in Deutschland versehen: „Im Paradies fällt der Schnee langsam“, lautet er. Der Satz öffnet einen weiten, ja existenziellen Assoziationsraum – Lin May Saeed starb nur zwei Wochen vor der Eröffnung an den Folgen eines Gehirntumors.
Was die in Würzburg als Tochter eines irakischen Vaters und einer deutschen Mutter geborene Künstlerin uns hinterlassen hat, ist vor allem die Mahnung, die Verhältnisse zwischen Mensch und Tier gerechter zu organisieren. Diesem Bedürfnis folgend schuf Saeed nicht nur eine Vielzahl von Tierplastiken, von denen ein ganzes Rudel das menschliche Publikum im Georg Kolbe Museum empfängt. Sie war auch als Tierschützerin sehr umtriebig. In einer Installation im Untergeschoss des Museums stellt sie nach, wie mittels eines per Betonklotz festgemachten Autos der Geflügelschlachthof Wietze blockiert wurde.
Anhand detaillierter Zeichnungen kann man sehen, wie der Betonklotz durchs Fahrzeug bis auf die Fahrbahn reichte und wie sich zwei Menschen damit fest verbanden. Die Künstlerin und Aktivistin empfahl das durchaus zur Nachahmung. Sie schuf auch große eiserne Tore für Landsitze ringsum Berlin, auf denen Menschen abgebildet sind, die kleine Kälbchen davontragen. „Liberation of Animals from their Cages“ heißt die Serie.
Filigrane Figuren von Renée Sintenis
Einer schönen Eingebung der seit einem Jahr amtierenden Direktorin des Kolbe Museums Kathleen Reinhardt folgend treten Saeeds Werke in einen Dialog mit denen der Tierbildhauerin Renée Sintenis, deren Œuvre schon länger vom Museum betreut und für die Öffentlichkeit wach gehalten wird. Sintenis schuf bereits 1932 die Vorlage für jenen Bären, der zum Wahrzeichen der Filmfestspiele Berlinale geworden ist. Ihre Tierfiguren sind vor allem filigran. Sintenis ließ aber auch – wie Saeed – das Alltagsleben in die Kunst einfließen. So nannte sie etwa einen den Kopf zur Klage gen Himmel richtenden Hund, den sie 1946 schuf, „Trümmerhund“.
„Im Paradies fällt der Schnee langsam“: Georg Kolbe Museum. Bis 25. Februar 2024
Saeeds Figuren nehmen meist mehr Raum ein. Oft sind es überlebensgroße Hunde und Schakale, die sie aus dem Werkstoff Styropor herausschält. Der Werkstoff ist bewusst gewählt, als subtile Klage gegen die Vermüllung der Natur: Styropor ist nicht biologisch abbaubar, die Kunst aus ihm ist daher toxisch. Gerne bedient sie sich auch der Mythenwelt des Kulturraums Mesopotamiens. So stellt sie etwa der Figur des Enkidu, der im Gilgamesch-Epos selbst als Naturwesen erscheint, noch einen Schakal zur Seite.
Ihr Wandbild über die Hammar-Sümpfe im Irak – die unter Saddam Hussein teilweise trockengelegt wurden, um der dortigen Bevölkerung den Widerstandsgeist auszutreiben – stellen eine Hymne auf das Zusammenleben von Mensch und Tier in einem gemeinschaftlich genutzten Raum dar. Die Wasseroberfläche der Sümpfe hat bereits den Wellencharakter eines Meeres. Rinder stecken die Köpfe aus dem Wasser, menschliche Behausungen schweben wie eine Arche Noah auf dem Wellengeflecht.
Auch biblische Geschichten animierten die Künstlerin. Sie zeigt den heiligen Hieronymus in genau dem Moment, in dem er einem hinkenden Löwen einen Dorn aus der Pfote zieht. Der bleibt der Legende nach zum Dank bei den Mönchen. Er muss dort Wachdienst schieben, wird später wegen eines vermeintlichen Fehlers sogar bestraft, bis sich zum Ende alles fein auflöst. Aufgrund der wechselvollen Machtbeziehungen zwischen Mensch und Löwe passt die Hieronymus-Legende fast schon zu perfekt ins Werk der bildkünstlerischen Tierschützerin Lin May Saeed.
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