Tiere im Krieg: Ziegenzucht im Binnenexil
Der Ziegenhof der Ukrainerin Olena Bilosorenko wurde im Krieg zerstört. Die Tiere überlebten. Andernorts hat sie ihn neu aufgebaut – samt Käserei.
Vor einem Jahr schien es, als sei es das gewesen mit der Ziegenzucht von Olena Bilosorenko. Eine russische Rakete schlug in ihren Hof ein, im Dorf Stanislaw, westlich von Cherson. Mehrere Gebäude brannten, das gesamte Futter war weg, ein Mann verletzt. Auch der Stall wurde getroffen.
„Als wir den ersten Schock überwunden hatten, hatten wir keine Hoffnung mehr beim Anblick all der Zerstörung“, sagt Bilosorenko rückblickend. „Wir haben uns nur auf Zehenspitzen herangewagt. Links und rechts brannten die Wände, die Ziegen drängten sich in der Mitte zusammen. Völlig verängstigt.“ Doch wie durch ein Wunder überlebten alle Tiere. „Da war uns klar, dass wir gehen müssen.“
Nach dem 24. Februar 2022 fiel auch Stanislaw unter russische Besatzung, im November 2022 wurde es von ukrainischen Streitkräften zurückerobert. Seitdem wird es von der russischen Armee beschossen.
Nun leben die Ziegen in Hwozdiw, einem Dorf unweit von Kyjiw. Besonders die wunderschöne Landschaft gefalle ihr hier, sagt Bilosorenko. Genauso die vielen Obstplantagen, der See, und dass ihr neuer Hof an einem Hang liege, der sie an die Klippen erinnert, die von Stanislaw steil zum Dniproufer abfallen. Da der neue Hof zuvor lange leer stand, muss viel restauriert werden. Die Nachbarn helfen mit Materialien und Arbeitskraft.
Zum Ziegenzüchten kam Olena Bilosorenko auf Umwegen. Zwei Jahrzehnte hatte sie am Theater von Cherson gearbeitet, zum Schluss managte sie die Gastspieltourneen. Doch vor fünf Jahren musste sie aus gesundheitlichen Gründen damit aufhören und beschloss, ihr Leben zu ändern.
„Mein Mann und ich nutzten die Gelegenheit, um aufs Land zu ziehen“, sagt sie. Sie wollten mehr Platz, mehr Freiraum. „Als Städter hatten wir keine Ahnung von Landwirtschaft und haben uns gleich zwei Ziegen angeschafft.“ Ihre Kinder haben ihnen dann noch zwei weitere geschenkt.
Akribische Käseherstellerin
Dann kamen die ersten Touristen, zuerst Familien mit Kindern. Sie tranken die frisch gemolkene Milch, fotografierten sich mit den Ziegen. „Als sie wieder weg waren, haben mein Mann und ich uns angesehen und wir wussten: das wird unser Geschäftsmodell!“, erzählt Bilosorenko. „Denn wir haben diese Freude gespürt. Die Erwachsenen wurden zu Kindern, sie hatten strahlende Augen. Ich weiß nicht mal mehr, ob wir Geld verlangt haben für den Besuch.“
Das andere Geschäft ist der Käse. „Die erste Milch von unseren Ziegen haben wir uns kaum getraut zu probieren. Ziegenmilch hat ja einen sehr speziellen Geschmack und Geruch. Aber sie war sehr lecker!“, sagt Bilosorenko. Vor allem war es gleich ziemlich viel. Auf YouTube fand sie dann ein Video, in dem eine Frau einen Weichkäse herstellt.
„Das sah alles sehr schön aus. Ich habe es mir aufmerksam angeschaut und dann sehr lange nach diesem Rezept gearbeitet.“ Mit der Zeit perfektionierte Bilosorenko es, lernte dazu, sah sich professionellere Videos an und trat auch der Vereinigung der Ziegenzüchter bei. Dort erhielt sie Hilfe bei den Rezepturen, der Tierhaltung sowie weitere gute Tipps. „Bei der Käseherstellung bin ich sehr akribisch“, sagt sie.
Inzwischen produziert sie rund ein Dutzend verschiedene Käsesorten. Nach dem Weichkäse kam ein Halloumi, anschließend hat sie sich an länger reifende Käsesorten herangewagt. Eine von ihnen, die Belper Knolle, ist ein Schweizer Hartkäse in Kugelform. Zur Käsemasse gibt man Knoblauch und Himalajasalz und wälzt die Kugeln in schwarzem Pfeffer.
Danach muss er zwischen drei Wochen und zwei Jahren reifen. Am Anfang ist er noch ganz weich, ähnlich wie Frischkäse, aber schon ein bisschen scharf. „Er passt gut im Salat“, sagt Bilosorenko. „Aber wenn er reifer wird, ähnelt er Parmesan und kann über Pasta, Omelette und Salat gerieben werden.“
„Wir schlachten überhaupt keine Ziegen“
Auch Lavendelkäse, Canestrato, Feta und Ricotta stellt sie aus der Ziegenmilch her sowie verschiedene Sorten Caciotta. „Am besten gefällt mir der mit selbst angebautem Spinat. Er hat so eine leuchtende Farbe und einen cremigen Geschmack.“ Sie selbst isst ihren Käse am liebsten auf Brot: „Ricotta auf eine Brotscheibe, ein paar Tomatenscheiben und obendrauf würziger Belper Käse. Das sind so super Sandwiches.“
Noch einmal geht Olena Bilosorenkos Blick zurück nach Stanislaw, wo alles begann. „Es hat mir das Herz zerrissen zu sehen, wie die Panzer kamen und das Dorf eingenommen wurde“, sagt sie. Die größte Angst während der Besatzungszeit hatten sie und ihr Mann davor, dass die russischen Militärs ihnen die Ziegen wegnehmen würden.
Oder schlachten. „Wir schlachten überhaupt keine Ziegen. Wir essen nicht das Fleisch unserer Tiere und verkaufen es auch nicht.“ Doch die Russen seien während der gesamten Besatzungszeit nicht einmal zur Ziegenfarm gekommen.
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„Als das Dorf dann befreit wurde, haben wir einige der Tiere an Menschen verschenkt, die ins Dorf zurückkamen, damit sie von etwas leben und sich eine neue Existenz aufbauen können.“
Dennoch war der Umzug nach dem Raketeneinschlag in den Ziegenhof unumgänglich. Mit 24 Ziegen, 13 Hunden und 9 Katzen ging es ins neue Zuhause. Dank der Vermittlung von Bekannten konnte Bilosorenko einen Mann aus der Nähe von Kyjiw finden, der dort einen landwirtschaftlichen Betrieb aufgegeben hatte und bereit war, sie dort aufzunehmen.
Beim Transport halfen dann die Militärverwaltung des Gebietes Cherson und eine britische Tierschutzorganisation. „Sie fanden einen Spediteur, was nicht selbstverständlich ist, denn Stanislaw liegt in der roten, besonders gefährdeten Zone. Nicht viele lassen sich darauf ein, dort überhaupt hinzufahren.“
Schon ein halbes Jahr leben Olena Bilosorenko, ihr Mann und die Ziegen nun im Kyjiwer Umland. Leicht ist das Leben auch hier nicht. Es gibt zu wenig Baumaterial, um Stallungen zu errichten, und die Ziegen werden immer mehr: „Es sind jetzt schon fast fünfzig. Wir haben vor, Zicklein zu verkaufen oder auch zu verschenken, weil der Platz hier gar nicht ausreicht für so viele Tiere. Wir sind aber sehr dankbar, dass uns so viele Menschen geholfen haben.“
Die Ziegen produzieren weiterhin Milch für Käse, aber nicht mehr so große Mengen. „Wir haben auch vor, bald wieder Touristen bei uns unterzubringen, um ihre glücklichen Augen zu sehen“, sagt Bilosorenko. „Genau damit haben wir ja auch begonnen damals.“
Aus dem Ukrainischen von Gaby Coldewey
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