Thüringer Rechtsterroristen: Ungelöste Fälle werden neu aufgerollt

Es mehren sich Hinweise auf weitere Anschläge der Thüringer Rechtsterroristen. Darunter ein Sprengstoffanschlag in Köln Anfang 2001.

Alle einschlägigen ungelösten Fälle seit Ende der 90er Jahre sollen überprüft werden. Bild: www.dokumentiert.de / photocase.com

DRESDEN/KÖLN/BERLIN taz | Tag für Tag ergeben sich Hinweise auf weitere Bluttaten, die möglicherweise auch von der 13 Jahre unerkannt agierenden Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" begangen wurden. Neben den neun Morden an Migranten zwischen 2000 und 2006 und dem Mord an einer Polizistin 2007 könnte auch ein Sprengstoffanschlag in Köln Anfang 2001 auf das Konto der Terrorgruppe um Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehen.

Die Analyse der Bekenner-DVD durch das Landeskriminalamt habe Hinweise auf einen solchen Zusammenhang ergeben, sagte der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger.

Am 19. Januar 2001 war in einem Lebensmittelshop in der Kölner Innenstadt ein Sprengsatz explodiert. Eine damals 19-jährige Deutschiranerin, die Tochter des Geschäftsinhabers, wurde dabei schwer verletzt. Gesucht wurde seinerzeit nach einem etwa 25 Jahre alten schlanken Mann deutscher Herkunft, der unmittelbar nach den Weihnachtsfeiertagen vorgegeben hatte, in dem Geschäft einzukaufen.

Angeblich um Geld zu holen, hatte er seinen Warenkorb im Laden zurückgelassen - und war nicht mehr zurückgekehrt. In dem Korb befand sich die Bombe: in einer rot lackierten Dose mit Sternenmuster. In einem Nebenraum abgestellt, explodierte sie erst Tage später. Die Ermittlungen verliefen im Sande.

Verbindungen zum "NSU" werden untersucht

Als Reaktion auf die nun bekannt gewordene Dimension rechtsextremen Terrors wollen der Bund und die Länder nun alle einschlägigen ungelösten Fälle seit Ende der 90er Jahre auf eine mögliche Verbindung zum "Nationalsozialistischen Untergrund" überprüfen. So könnte das LKA in Bayern das Messerattentat auf den ehemaligen Passauer Polizeichef Alois Mannichl womöglich noch mal aufrollen. Der war im Dezember 2008 vor seiner Haustür niedergestochen und schwer verletzt worden.

Laut der Aussage des für sein engagiertes Vorgehen gegen Neonazis bekannt gewordenen Mannichl soll der Täter vor dem Zustechen "viele Grüße vom nationalen Widerstand" bestellt haben. Auch dieser Fall konnte bisher nicht aufgeklärt werden. Mannichl sagte der taz, er wolle sich nicht an Spekulationen beteiligen. Er geht aber davon aus, dass ihm das LKA bald Fotos zum Vergleich vorlegen wird.

Überprüft wird auch ein erst vor Kurzem erfolgter Mord an einem Imbissbetreiber. Der 41-Jährige war erst am 1. November dieses Jahres im sächsischen Döbeln in seinem Geschäft ermordet worden. Ein maskierter Unbekannter richtete ihn mit vier Kugeln regelrecht hin. Vier Tage später explodierte in Zwickau das Wohnhaus der drei mutmaßlichen "NSU"-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Z.

Ein Polizeisprecher hatte zunächst eine Verbindung zu den Morden an türkisch- und griechischstämmigen Migranten zwischen 2000 und 2006 nicht ausgeschlossen, auch wenn der letzte Fall der Serie schon fünf Jahre zurückliegt. Nun wird zwar weiter eine mögliche Verbindung zum "Nationalsozialistischen Untergrund" geprüft, dies gilt aber inzwischen als unwahrscheinlich.

Fragen nach Verantwortung drängen

Immer drängender werden unterdessen die Fragen nach der Verantwortung der Sicherheitsbehörden und einem möglichen Versagen des Thüringer Verfassungsschutzes. Bundesinnenminister Friedrich forderte Aufklärung vom Geheimdienst des Landes. Es sei "sehr beunruhigend, dass zwischen der Mordserie in ganz Deutschland und der rechtsextremen Szene in Thüringen kein Zusammenhang erkannt wurde", sagte er. Die Linkspartei forderte eine "lückenlose Aufklärung der Taten, der genauen Hintergründe und der Verstrickungen des Geheimdienstes".

Am Montagnachmittag hielten alle Chefs der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern eine Krisenschalte ab. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte eine Umstrukturierung des Verfassungsschutzes. Die Aufklärung habe "überhaupt nicht funktioniert", sagte sie. Es müsse darüber geredet werden, ob der Verfassungsschutz mit 16 Landes- und einer Bundesbehörde "optimal organisiert" ist. Eventuell könnten Landesbehörden zusammengelegt werden.

In der Politik wird zudem wieder der Ruf nach einem neuen Anlauf für ein NPD-Verbot laut, auch Kanzlerin Angela Merkel und weitere führende CDU-Politiker machen sich inzwischen dafür stark.

Das Neonazi-Trio Mundlos, Böhnhardt und Z. gehörte in den 90ern der Jenaer Kameradschaftsszene an. Kurz vor ihrem Abtauchen nahmen sie, wie Fotos belegen, an einer NPD-Demo in Dresden teil. Mehrere Neonazi-Freunde der drei von früher sind heute nach wie vor sowohl in der Kameradschaftsszene als auch in der NPD aktiv.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.