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Theater in SenftenbergIch quäle mich, also bin ich

Eine Sporthalle wird zur Theaterbühne und mit ihr die Erinnerung an den Sport in der DDR. Weniger sportlich ist der Umgang mit dem Intendanten.

Aus dem Festspiel „Aktivist“ Foto: Steffen Rasche

Seit er vor drei Jahren als Intendant der „Neuen Bühne Senftenberg“ begonnen hat, gewinnt der Intendant Daniel Ris mit spektakulären Spielzeitauftakten an historischen Orten immer mehr Zuschauer und steigert damit die Eigeneinnahmen des Theaters. Überregional wird die Bühne inzwischen wieder so beachtet wie in den Zeiten der DDR. Ende September startete man nun in der riesigen Niederlausitzhalle, spielte also wieder mit Stadtgeschichte.

1959 als Sporthalle „Aktivist“ eröffnet, galt sie mit dem neuen Stahldach als größte freitragende Sporthalle Europas. In drei Wochen beginnt ihr 35 Millionen Euro teurer Umbau zu einer Mehrzweckhalle. Warum erhielt Daniel Ris im März dieses Jahres von den Trägern der Stadt Senftenberg und dem Landkreis Oberspreewald-Lausitz überraschend die Mitteilung, sein 2027 auslaufender erster Fünfjahresvertrag werde nicht verlängert?

Bis heute wird über die Gründe spekuliert. Denn der Intendant hat einen gleichgeschlechtlichen Lebenspartner, gibt sich bunt-vielfältig und redet auf Veranstaltungen gegen Nazis. Man sei froh, dass das Raunen und Flüstern darum nun wieder Befassung mit der Kunst weiche, so wird man in Senftenberg empfangen.

Na ja, künstlerische Maßstäbe sollte man beim Auftakt nicht so streng anlegen. Im ersten Teil eine stimulierende Debatte um die Rolle des Sports in der DDR und heute und im zweiten Teil eine unterhaltsame Show. Acht Spielerinnen und Spieler üben sich anfangs in Volkssport. Bald diskutieren sie über eine „Es war nicht alles schlecht“-DDR, die sich neben einer Bühne in der Kleinstadt Senftenberg eben auch die in jeder Hinsicht beachtliche Halle für Breiten- und Spitzensport leistete.

Auch der militante Sportunterricht der DDR wird parodiert

Die Texte des erst 1991 geborenen polnischen Regisseurs Kajetan Skurski zur DDR, die ihre Anerkennungskomplexe mit einer weltweit unvergleichlichen Sportförderung kompensierte, klingen anfangs ausgesprochen ostalgisch. Sportleidenschaft steht vor politischer Verzweckung. Ehrgeiz gepaart mit Gemeinschaftsgeist, Selbstüberwindung, Persönlichkeitsentwicklung, so etwas wie Zucht.

„Wer sich bewegt, ist müde und kommt abends nicht auf dumme Gedanken.“ Demgegenüber heißt es zur Zeitenwende 1989: „Ein Mensch ist im neuen System nicht mehr viel wert.“ Erst mit dem Schicksal des von der Stasi ausgebremsten Radsporttalents Wolfgang Lötzsch erscheint die Kehrseite der Debatte.

Nun wird der militante Sportunterricht in der DDR parodiert, klingt Doping an und die totale Hingabe an sportliche Spitzenleistungen wird hinterfragt. Wenn sich dann das Publikum auf Nebenräume der Halle verteilt, beginnt wirkliches Theater. Vielleicht ist das Solo der Schauspielerin Catharina Struwe das erschütterndste.

Ja, sie habe als Trainerin „die Mädchen laufen lassen, bis sie spuckten“. „Ich wollte, dass sie gewinnen, aber nicht für die DDR, sondern für mich.“ Weil ein tiefes Vertrauensverhältnis zu ihren Schützlingen bestand. „In ihren Augen war Feuer“, beschreibt sie. Und vergleicht sie mit einer nicht mehr belastbaren Generation heute, die mimosenhaft auf ihre Unversehrtheit achtet.

Der Abend ist pulikumsnah

Im zweiten Teil kam dann nur noch Show mit Spielmannszügen, Chor und Sportgruppe plus Supersportlerin Michaela. Das ist publikumsnah, nicht im Ansatz linksextremistisch, sondern identitätsstiftend. Mithin lausitztröstend.

Nach seinem De-facto-Rauswurf ärgert sich Intendant Daniel Ris, dass sein Traum von zehn Theaterjahren in Senftenberg gestoppt wurde. Er freut sich aber auch auf seine jetzt beginnende vierte Spielzeit – und fährt zugleich zum ersten Bewerbungsgespräch jenseits von Senftenberg. „Der Drops ist gelutscht“, resümiert er halbernst. Der Träger-Zweckverband von Kreis und Stadt, der ihn unbedingt loswerden will, wird in Kürze ebenfalls eine Neuausschreibung der Intendantenstelle veröffentlichen.

Welche Vorwürfe konkret an Daniel Ris hängenbleiben, ist nach wie vor unklar. Ende August hatte er fundiert und ausführlich auf eine Pressemitteilung der Träger entgegnet. Darin waren ihm Führungsfähigkeiten und eine „konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit“ abgesprochen, strukturelle Mängel und ein angeblicher Schaden von 250.000 Euro angelastet worden.

Über Andeutungen geht auch Senftenbergs Bürgermeister Andreas Pfeiffer (CDU) im Gespräch nicht hinaus. An der künstlerischen Eignung des Intendanten bestehe kein Zweifel, versichert er. Auffallend oft redet er von Strukturreformen, womit jedoch kein weiterer Personalabbau gemeint sein soll. Ein Thema ist aber offenbar die anderswo übliche künftige Trennung von Intendanz und kaufmännischer Geschäftsführung. Oder geht es im AfD-beherrschten Raum Senftenberg doch um Haltungsfragen?

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