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Tempo-30-ZonenDer Lärm bleibt

Hamburg will dutzende Tempo-30-Abschnitte auf besonders lauten Straßen einführen. Das wird nichts bringen, beklagen An­woh­ne­r:in­nen.

Bringt nix ohne Kontrolle: Tempo-30-Zone Foto: Jens Ressing/dpa

Hamburg taz | Raphael H. muss häufig schreien, wenn er vor seinem Haus steht, um sich mit anderen zu unterhalten. Seine Nachbarin Miriam W. kann das bestätigen. Beide wohnen in Hamburg direkt an der viel befahrenen vierspurigen Max-Brauer-Allee in Altona. Und während der Autoverkehr tagsüber einen immerhin konstanten Lautstärkepegel hat, werden sie nachts regelmäßig von Gas gebenden Autos oder Lastern geweckt.

„Das sind diese fiesen Lärmspitzen“, sagt W., als beide vorm Haus auf dem schmalen Gehweg stehen und auf den Straßenverkehr blicken. Kurz nachdem sie das gesagt hat, beschleunigt ein Auto lautstark, um noch schnell über Ampel zu kommen, ehe sie auf rot schaltet. Die Hoffnung, dass sich daran zumindest nachts etwas ändert, hatten beide kürzlich. Die ist mittlerweile weg.

Dutzende Tempo-30-Zonen auf stark befahrenen Straßen sollen in den kommenden Jahren in Hamburg eingerichtet werden. Das hatte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) im Mai im Rahmen des Lärmaktionsplans des Senats bekannt gegeben. „Es gibt in Hamburg Umweltprobleme, die wir nicht überhören können und dürfen und deren Hauptverursacher der Kfz-Verkehr ist“, sagte Kerstan damals.

Die beiden An­woh­ne­r:in­nen an der Max-Brauer-Allee hatte sich darüber zunächst gefreut, denn auch sie würden künftig davon profitieren: Ein Teil der Max-Brauer-Allee vor ihren Wohnungen gehört auch zu den Abschnitten, in denen es nach Ansicht der Umweltbehörde zu laut ist. Immerhin eine nächtliche Temporeduzierung hatte die Umweltbehörde dafür anvisiert.

35.000 Menschen sollen vom Tempo-30 profitieren

An einigen wenigen sogenannten Lärmbrennpunkten wurde das bereits in den vergangenen Jahren eingeführt. 2013 waren erstmals nächtliche Tempo-30-Gebote auf einigen viel befahrenen Straßen beschlossen worden. Im Laufe der Jahre kamen weitere Straßen hinzu, in denen es mit mindestens 60 Dezibel zu laut ist – lauter sogar, als es nachts in einem Gewerbegebiet zulässig wäre.

80 neue Tempo-30-Zonen auf viel befahrenen Straßen sollen in Hamburg bald eingerichtet werden

So auch an der nahe gelegenen Holstenstraße. Laut der Umweltbehörde dürfen sich rund 500 betroffene An­woh­ne­r:in­nen über einen reduzierten Lärm freuen, weil dort Fahrzeuge seit 2014 zwischen 22 und 6 Uhr mit maximal 30 Stundenkilometern fahren dürfen. Doch über die Rückseite ihrer Wohnungen sind Miriam W. und Raphael H. auch An­woh­ne­r:in­nen der Holstenstraße. „An das nächtliche Tempolimit hält sich niemand“, sagt H.

Er fragte kürzlich bei der Polizei nach, ob und in welchem Umfang die nächtliche Temporeduzierung kontrolliert würde. Genaue Angaben konnte die Polizei ihm nicht mitteilen. Allerdings gebe es auf allen Straßenabschnitten, die zur Tempo-30-Zone bestimmt wurden, keine stationären Blitzer. „Damit ist die Hoffnung weg, dass sich künftig vorm Haus etwas bessert.“ Ihre Erfahrungen aus der Holstenstraße zeigen den beiden, dass ohne Kontrollen ein Tempolimit nichts bringt.

Das wirft Fragen auf, wie viel Wert die Ankündigung der Umweltbehörde hat, dass bald rund 35.000 Ham­bur­ge­r:in­nen vom sinkenden Lärm profitieren sollen. Hamburg soll bis 2026 mehr als 80 neue Tempo-30-Zonen auf besonders viel befahrenen Straßen bekommen. Aktuell sind nachts etwa 130.000 Menschen von Lautstärken über 55 Dezibel betroffen.

Vorbild Stresemannstraße

Auf Nachfrage verweist die Umweltbehörde darauf, dass an einigen Stellen sogenannte Dialogdisplays – digitale Geschwindigkeitsanzeigen – installiert wurden, die Fah­re­r:in­nen auf ein überhöhtes Tempo hinweisen. „Untersuchungen belegen, dass diese Dialogdisplays eine positive Wirkung haben“, sagt eine Sprecherin.

Nur kann mit diesen Displays auch die Polizei nicht sagen, wie hoch der Anteil an Fah­re­r:in­nen ist, die sich nicht an die nächtliche Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Und sie konnte H. auf Nachfrage auch nicht sagen, wie häufig dort mobil kontrolliert würde. Er glaubt: selten.

Dass Temporeduzierung gepaart mit Blitzern und digitalen Geschwindigkeitsanzeigen tatsächlich nicht nur gegen den Lärm hilft, zeigt sich auf der nicht weit entfernten und wohl noch mehr befahrenen Stresemannstraße. Die verbindet die City mit der A7 und es gilt seit vielen Jahren auf einem Abschnitt ganztägig Tempo 30. Zwei fest installierte Blitzer stehen dort, hinzu kommen digitale Geschwindigkeitsanzeigen. Auch mobile Blitzer hatte die Polizei zeitweilig aufgestellt.

„Das Schlimme ist ja: Dort ist es nur so, weil es Tote gab“, beklagen die beiden Anwohner:innen. In den 90er-Jahren wurden mehrere Kinder und Erwachsene von zu schnell fahrenden Lastwagen überrollt. Erst nach massivem Protest der An­woh­ne­r:in­nen reagierte die Stadt mit Tempolimit und verstärkter Kontrolle. „Muss das auch erst vor unserer Haustür passieren?“, fragt H.

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9 Kommentare

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  • „LKW können“



    „Hier im Ort (geht stark bergab)“



    „bergauf“



    „Verkehr ist kein Problem. In 10 Jahren habe ich keine 5 Leute die Straße queren sehen“



    Jau! Typisch Hamburg.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Auf Mallorca gibt es viele digitale Anzeigen in den Städten, die genau die Geschwindigkeit anzeigen, die man fährt. Ist man darüber zeigt sich eine rote Zahl. Ist man darunter oder gleich wird die Zahl grün mit Daumen hoch (Gracias) angezeigt.



    Warum wird dieses superhochtechnische Verfahren (Zynismus) in Deutschland nicht auch angewendet? Warum gibt es hierzuland kaum intelligente Ampelanlagen, obwohl man gefühlte 50 Jahre schon darüber spricht?



    Warum sind unsere Behörden solche Nieten, möchte man fragen.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Die Geschwindigkeitsdisplays gibt es in Deutschland auch. Allein zweimal ganz in meiner Nähe. Ich halte die für überflüssige Geldverschwendung.

      Statt "intelligenter" Ampelanlagen (können die Schach spielen oder was ist an denen so schlau?) sollte es vor allem weniger Ampelanlagen geben. Stattdessen mehr Zebrastreifen und "rechts vor links". Das führt zu höherer Aufmerksamkeit und zu Entschleunigung.

  • Nebenbei: Warum können sogenannte Dialogdisplays die passierenden Kfz nicht zählen, getrennt nach deren Geschwindigkeiten?

    Und warum sind zu laute Autostereoanlagen nicht verboten?

  • Tempo 30 gebietet vor allem die Sicherheit der Fußgánger/innen und Fahrradfahrer/innen. Idealerweise sollte es aber in Ortschaften flächendeckend gelten - dann kommen Autofahrer/innen nicht durcheinander und man kann sich eine Menge Schilder sparen.

  • LKW können bei 30 lauter sein als PKW, weil dann die Getriebe mehr pfeifen... ist vollkommen normal. Und wurde schon oft nachgemessen und bestätigt.

    Hier im Ort (geht stark bergab):



    50: 4Gang, Leerlauf, rollen lassen



    30: 3Gang, 2500Umin-1, aktiv bremsen.

    bergauf ist man bei 30 entweder nahe dem Leerlauf oder muss den Motor auch wieder hochjagen... mit 50 lässt es sich viel besser fahren - leiser für die Anwohner und das Auto ist halt für 50 gebaut, da passen Drehzahl und Gang auch unter Last.

    Kann sich jeder ausrechnen was umweltfreundlicher ist!

    PS: nein, Verkehr ist kein Problem. In 10 Jahren habe ich keine 5 Leute die Straße queren sehen, und es hat Fußgängerübergänge mit Ampeln in einer Minute erreichbar!



    PPS: Hier regieren die Grünen. Daher ideologisch und sinnfrei: 30 überall!

    • @danny schneider:

      "nein, Verkehr ist kein Problem. In 10 Jahren habe ich keine 5 Leute die Straße queren sehen,"

      Super, der Autoverkehr ist also so gefährlich, daß sich kein Mensch mehr traut die Straße zu überqueren. In einer solchen Stadt möchte ich nicht leben müssen.

  • In einer Nachbarstadt hatte man Bodenwellen gelegt um den einfallenden Verkehr der Clubbesucher am Wochenende zu verlangsamen. Die wurden nach einem Monat entfernt da die Partygänger nun langsam mit ihren lauten Autos und Stereoanlagen durch den Ort führen und die Lärmbelästigung einfach nur länger dauerte.

    • @Karlchen:

      Bitte nennen sie doch Stadt und verlinken auf die (gescheiterte) Maßnahme, sowas wird doch mit Sicherheit irgendwo diskutiert. Interessiert mich, obwohl das natürlich nicht besonders relevant ist. Die Club-Situation ist ja nun wirklich nicht die Regel.